Wochenbericht 6

Test der Wertschöpfungsketten

Der Pawlowsche Reflex hat wieder zugeschlagen. Es gibt Geld: kaufen, kaufen kaufen! Die Marktteilnehmer haben gelernt zu kaufen, wann immer die Notenbanken die Geldschleusen öffnen. Die Konsequenzen der Abschottung Chinas sind jedoch nicht trivial.

(Stuttgart, 8. Februar) Wie im letzten Wochenbericht angekündigt, flutete die chinesische Notenbank den Finanzmarkt mit Liquidität. Trotz der Paralyse der chinesischen Gesellschaft gelang es, die Aktienpreise zu stabilisieren. Das ist kurzfristig natürlich positiv.

Dennoch lastet der Makel der stillstehenden chinesischen Produktion/Infrastruktur auf den Marktpreisen. Hinzu kommt die subjektive Wahrnehmung, dass die Maßnahmen zur Einhegung des Virus immer drastischer werden. In China selbst, aber auch in den Nachbarstaaten. Staaten schützen ihre Bürger vor (vermeintlichen) Gesundheitsgefahren. Die Konsequenzen für die Ökonomie in den weit entfernten Industriestaaten sind zweitrangig.

Aktienmärkte: Flummi-Effekt

Nach dem Neujahrsfest öffneten die chinesischen Finanzmärkte am Montag wieder ihre Tore. Die ersten Notierungen waren tiefrot – eine exzellente Kaufgelegenheit. Der Kursverlauf des MSCI Asia 50 ETF spricht Bände.

Abbildung 1: Preisverlauf des MSCI Asia50 (6 Monate) mit Trendunterstützung

Der Chart zeigt auch, dass die Euphorie nur einen Tag anhielt, die Notierungen verharrten etwa 5 $ unterhalb des Januar-Höchstpreises – und – die Kerzen sind mehrheitlich rot eingefärbt. Ein Hinweis auf Abgaben zum Handelsschluß, die allgemein institutionellen Marktteilnehmern zugeordnet werden.

Europa

Die Preise für Aktien stiegen nachrichtenlos kräftig. Die Abgaben der vergangenen zwei Wochen wurden komplett egalisiert. China ist weit weg, in Europa gehen die Uhren anders, so scheint es.

Abbildung 2: Preisverlauf des EuroStoxx50 (1 Jahr) mit Trendkanal und möglichem charttechnischem Widerstand

Die Stimmung der Marktteilnehmer drückt sich sehr schön in den Überschriften der Zeitungen und Newsletter aus. Am Donnerstag titelte der HSBC Marktkompas: Kapitalmärkte wittern Morgenluft. In der knappen Analyse werteten die Autoren die Normalisierung der US-Zinsstrukturkurve (siehe Wochenbericht 5) als positive Indikation für den Kapitalmarkt. In Kombination mit guten Wirtschaftsdaten aus den USA und den nun wieder sinkenden Handelsbarrieren sowie der Hoffnung auf eine anziehende Konjunktur in Europa entstand die Vorstellung eines prosperierenden Wirtschaftsumfelded.

Bereits einen Tag später ruderte HSBC kräftig zurück: »Ende der Krise der deutschen Industrie weiterhin nicht in Sicht«. Man realisierte, dass die Stimmung in den Handelssäalen deutlich besser ist, als die Realität. Der Euro fiel aufgrund dieser »Erkenntnisse« unter die Markte von 1.10 zum US-Dollar.
Hieronymus sieht auf dem aktuellen Preisniveau mehr Risiken als Chancen. Der Markt durchhandelte die komplette Tradingrange innerhalb von drei Tagen – getrieben allein von der Hoffnung auf die Wirkung der Liquiditätsspritzen. Die Marktteilnehmer überschätzen ihre Wichtigkeit. Die zumeist autoritären Regime in Südostasien haben zuerst das Ziel, ihre eigenen Machtbasis zu erhalten. Die Ökonomie ist zweitrangig. Dies wird nirgends deutlicher, als in Hongkong, wo man nichts mehr fürchtet, als einen Zusammenschluß der bestehenden Protestbewegung mit Kritikern der Gesundheitsvorsorge der Regierung. Deshalb schloss man die Grenze zum Perlflußdelta.

Lieferketten

Im Verlauf der Woche drangen erste Warnungen über bevorstehende Produktionskürzungen an die Öffentlichkeit. Ford denkt über eine Luftbrücke für den Transport von Teilen aus China nach, Fiat gar über einen Produktionsstop in besonders betroffenen Standorten. Aber nicht nur die Automobilindustrie hat lange, tief verschachtelte Lieferketten. Jetzt zeigt sich, wer seine Lieferketten robust gestaltet hat. Die Marktteilnehmer senken ihren Daumen bei bereits angeschlagenen Automobilherstellern, wie Daimler:

Abbildung 3: Preisverlauf des Daimler-Aktie (1 Jahr)

Beim schwäbischen Automobilbauer kommt erschwerend die Tatsache hinzu, dass chinesische Großinvestoren mehr als 20 % der Aktien halten und das Unternehmen mehr und mehr als chinesischen Interessen folgend wahrgenommen wird.

Die Woche an den Finanzmärkten

  • USA: Repo-Auktion mit ungewöhnlicher Nachfrage.
    Die NewYork-FED veranstaltet alle zwei Wochen eine Repo-Auktion. Sie bietet den Ankauf kurzlaufenden Staatsanleihen zu einem festen Zinssatz an. Das Volumen ist jeweils 30 Mrd. $. Am Dienstag senkte sie den Zinssatz von 1,6 % vor zwei Wochen um 0,1 Promille auf 1,59 % ab. Vor zwei Wochen waren Angebot (30 Mrd. $) und Nachfrage (39 Mrd. $) ausgeglichen. Diese Woche stellten institutionelle Kunden Anleihen im Wert von 60 Mrd. $ zum Verkauf. Die Auktion war also zweifach überzeichnet. Nun versuchen sich alle einen Reim auf den starken Nachfrageanstieg zu machen. Der Zinssatz am Repo-Markt selbst beträgt 1,65 %. Hieronymus interpretiert dies als einen Hinweis auf latent steigende Renditen am Rentenmarkt.

  • Spotify: Nutzerzahlen steigen, ebenso die Verluste.
    Im letzten Quartal 2019 schlossen mehr Nutzer denn je ein Abo ab, um ohne Werbung auf den Musikstreamingdienst zugreifen zu können. Dies liegt an dem ausgeweiteten Angebot an Podcasts, mutmaßt der Economist. Problem ist: Im Vorquartal war der Zustrom neuer Abonnenten geringer, dafür war das Verfangen profitabel(Ertrag: 54 Mio. $ ). Im Q4 machte Spotify 77 Mio. $ Verlust.
    Hieronymus muss an dieser Stelle eine Lanze für Byte FM brechen, ein Internet-Radio aus Hamburg, das ohne Werbung ein facettenreiches Musikangebot hat und nicht auf schneller, höher, weiter setzt (und auch nicht am Kapitalmarkt aktiv ist).

  • Tesla: PIF beendet Investment.
    »Saudis First« gilt auch in Riad, der Hauptstadt Saudiarabiens. Die »Söhne der Wüste« erhalten Stipendien für Auslandsaufenthalte, manche studieren auch. Zurück in der Heimat warten lukrative Jobs. Zum Beispiel bei PIF, einem der beiden Staatsfonds. Hieronymus konnte sich ein Schmuzeln kaum verkneifen, als vergangene Woche bekannt wurde, dass PIF sein Engagement bei Tesla inzwischen beendet hat. 2018 kaufte PIF 8,3 Millionen Tesla-Aktien und zahlte 2,8 Mrd. $. Im Dezember 2019 schlossen die ambitionierten Fondsmanager das Engagement. Sie realisierten einen Verlust von 800 Millionen US-Dollar. Das sind selbst bei einem Anlagevolumen von 320 Mrd. $ keine Peanuts mehr.

    Besonders Bitter: Seitdem ist der Preis der Tesla-Aktien förmlich explodiert.

  • Optionsstrategie. Was auch immer die Ursache für die Rallye in dem Wert ist – die Wahrscheinlichkeit einer Fortsetzung des Trends ist extrem gering. Auf Monatssicht ist selbst die Perspektive auf stagnierende Notierungen minimal. Dies ist ein ideales Szenario eine Optionsstrategie – in diesem Fall der Verkauf einer Call-Option.

    An den Finanzmärkten gibt es keine Selbstläufer. Die Volatilität ist mit über 100 Prozent extrem, der Wert schwankt zufällig mehr als zehn Prozent am Tag. Bei einem Aktienpreis von 800 Dollar würde der Verkauf nur einer Call-Option im Worst-Case zu einer Short-Position von 100 Tesla-Aktien im Wert von mindestens 80.000 $ führen, die pro Tag um 8.000 Dollar schwankt. Deshalb ist eine derartige Spekulation nur bei entsprechendem Working-Capital im Trading-Account vertretbar.
    Dann hat man jedoch die Statistik auf seiner Seite: Wahrscheinlichkeit eines profitablen Abschlusses: 78%, die Aktie darf bis März um 200$ teurer werden (basierend auf Wochenschlußkurs von 750 $). Ertragsziel: 4.000 $ pro verkaufter Option.