Wochenbericht 44

Wenn Unternehmen mit Liquidität spekulieren

Ein Unternehmen definiert sich über erzielte Renditen in seiner Kernkompetenz. Dies ist eine Maßzahl für Exzellenz. Was wenn das Management eingestehen muss, dass es besser ist, Geschäftskapital zu Durchschnittskonditionen am Kapitalmarkt anzulegen?

(Stuttgart, 3.11.) Es war kein Halloween-Scherz, was die FT am Donnerstag veröffentlichte: Im chinesischen produzierenden Gewerbe werden großflächig Investitionen gecancelt. Die freiwerdende Liquidität wird am Kapitalmarkt »angelegt«.

Der Hintergrund: Die chinesische Wirtschaft wächst so langsam, wie seit 30 Jahren nicht mehr. Niemand weiss, welchen Verlauf der Handelskrieg mit den USA als nächstes nimmt. Die Unternehmen stehen vor der Wahl, entweder Geld in Investitionen mit unkalkulierbarem Chance-Risikoprofil zu stecken oder mittels konventioneller Geldanlage auskömmliche Kapitalmarktrenditen zu erwirtschaften.

Gemäß East Money Information, einem Finanzdatenanbieter, kauften insgesamt 1.322 börsengelistete chinesische Unternehmen von Januar bis Oktober für 353 Mrd $ (2,5 Billion Yuan) Kapitalmarktprodukte, im wesentlichen über Schattenbanken. Wer bereits 2018 diese Strategie fuhr, erlöste im Durchschnitt eine Rendite von vier Prozent. Der Ertrag durch die gewöhnliche Geschäftstätigkeit war auf breiter Front geringer, in der Textilindustrie beispielsweise nur 2,3 %.

Diese Praxis strahlt inzwischen auf Börsengänge aus. Fangbank Electronics, ein Produzent von elektronischen Komponenten, gab zwei Wochen nach seinem erfolgreichen Börsengang in Shanghai bekannt, 93 Prozent der eingenommenen Mittel für 12 Monate am Kapitalmarkt anzulegen. Das Management begründete den Schritt damit, den Anlegern auf diese Weise eine höhere Rendite ausschütten zu können.

Diese Praxis wirft ein Schlaglicht auf derzeitige Verzerrungen an den globalen Kapitalmärkten. Eine Aktiengesellschaft ist dazu angehalten, für die normale Geschäftstätigkeit nicht benötigte Mittel an die Anleger auszuschütten. Diese können dann entscheiden, wie sie ihr Geld anlegen. Wenn Unternehmen den Anlegern diese Entscheidung ohne entsprechenden Auftrag der Vollversammlung abnehmen, ist eigentlich eine »Abstimmung mit den Füßen« fällig, fallende Notierungen einbezogen.

Am chinesischen Aktienmarkt baut sich gerade ein Schneeballregime auf. Unternehmen nehmen Geld am Kapitalmarkt auf, um es breit wieder am Kapitalmarkt zu investieren, also auch in sich selbst. Optimisten halten dies für ein temporäres Phänomen mit dem Ablaufdatum us-chinesisches Handelsabkommen. In einem Handelskrieg geht man ebenso wie in einem »richtigen Krieg« nach einem Friedensschluß nicht sofort wieder zur Vorkriegstagesordnung über. Diese Praxis könnte deshalb langlebiger sein, als aktuell antizipiert.

Schwarz auf Weiss: USA ist wieder im Krisenmodus

Das US-Haushaltsdefizit für das Fiskaljahr 2019 beträgt 984 Mrd. $. D.T. war angetreten, das Haushaltsdefizit innerhalb von acht Jahren zu eliminieren. Statt dessen gelang ihm das Kunststück, in einer konjunkturell positiven Phase das Haushaltsdefizit während seiner ersten Amtszeit quasi zu verdoppeln.

Die folgende Graphik zeigt den dramatischen Anstieg des Haushaltsdefizits in den letzten Jahren. Graphik US-Budged Defizit

The national debt “is unsustainable by any measure”

so äußerte sich Tim Penny, Vizevorsitzender des Committee for a Responsable Federal Budget. Dessen Blog bietet weitere Details.

Die Veröffentlichung ist Wasser auf die Mühlen von Hieronymus . Die FED hat auf ihrer jüngsten Sitzung wie erwartet angekündigt, das Bankensystem bis zum Jahreswechsel mit kurzfristiger Liquidität zu fluten. Die Ausgabenflut der Regierung hinterlässt deutliche Bremsspuren am Finanzmarkt.

Trotzdem: Zum Monatswechsel Rekordstände an den Aktienmärkten

Aktienmarktteilnehmer sind stramme Republikaner, so eine der vielen Börsenweisheiten. Wenn der Präsident »America Rocks« twittert, weil die (nachlaufenden) Arbeitsmarktdaten einen weiteren Beschäftigungsaufbau belegen, kauft man Aktien. Fast gleichzeitig veröffentlichte GDP-Wachstumszahlen sind mit 1,9 % p.a. zwar weniger als halb so hoch, wie im Wahlkampf versprochen und außerdem streng monoton zurückgehend. Dadurch lässt man sich die Party jedoch nicht verderben. Wichtig ist, was hängen bleibt: »America Rocks«.

Graphik Russell 2000 Während der S&P 500 und die Nasdaq zum Monatswechsel Allzeithöchststände markierten, erklomm der in der Graphik dargestellte Russell 2000 (Index mit 2000 US-MidCaps) die obere Begrenzung der Tradingrange seit März. Die Volatilität (blau dargestellt) ist wieder auf ein Niveau zurückgefallen, auf dem in der Vergangenheit keine nachhaltig positiven Preisimpulse mehr auftraten. Obwohl die Saisonalität bis zum Jahreswechsel weitere Preisschübe vorsieht, ist ein Ausbruch auf der Preisoberseite auf Monatssicht wenig wahrscheinlich. Das positive Marktszenario sieht stagnierende Notierungen im Bereich 1650 – 1550 vor. Der Blick auf das Jahresende 2017 im Chart zeigt allerdings auch, dass eine niedrige Volatilität einer dynamischen Marktentwicklung nicht entgegen stehen muss.

Die Woche an den Finanzmärkten.

  • Kosten des Brexit. Das National Institute of Economics and Social Research, ein britischer ThinkTank, ermittelte die volkswirtschaftlichen Kosten des ausgehandelten Brexit-Vertrags. Danach macht die britische Gesellschaft in den ersten 12 Monaten einen Verlust von 70 Mrd. £ (81 Mrd. €).

  • Juul: Altria schreibt Investment ab. Im Dezember 2018 erwarb Altria für 13 Mrd. $ eine Beteiligung über 35 % an dem E-Zigarettenhersteller Juul. Dies bescherte diesem eine Marktkapitalisierung von 37 Mrd. $. Juul schüttete nach dem Deal eine Bonuszahlung von 2 Mrd. $ an seine 4000 Mitarbeiter aus. Nun hat Altria seinen Gesellschafteranteil neu bewertet und auf 4,5 Mrd. $ reduziert und somit bilanziell einen Verlust von 8,5 Mrd. $ realisiert. Juul selbst reagiert mit Entlassungen auf das Abebben des Hypes und immer neue regulatorischen Hürden in den USA.

  • Japan/Korea: Industrieaktivität sinkt deutlich. In Japan ist es der sechste Monat in Folge mit einem Wert unter 50, was Kontraktion anzeigt: Der IHS Einaufsmanagerindex für das produzierende Gewerbe notierte im Oktober mit 48,4 nochmals tiefer, als im September (48,5). In Korea das gleiche Bild. Trotz Leitzinssenkung verharrt die Industrieproduktion (IHS IndustryActivityIndex) mit ebenfalls 48,4 deutlich im Kontraktionsbereich. Für Korea kann die Geschäftentwicklung Samsungs als Proxy herangezogen werden. Das Unternehmen berichtete für das Q3 über einen Ertragsrückgang von 52 % (gegenüber dem Vorjahresquartal) und bestätigte seinen pessimistischen Ausblick.

  • Boeing 737 MAX-Fallout: Chicago EinkaufsManagerIndex sinkt auf 43,2. In der letzten Woche beschäftigte sich Hieronymus mit staatstragenden Unternehmen. Die wesentliche Erkenntnis: Den staatsnahen Unternehmen gelingt es, die Kosten der eigenen Fehler an die Gesellschaft weiter zu geben. Diese zeigt sich in Illinois, dem Boeing-Cluster. Der lokale EinkaufsManagerIndex zeigt das vierte Mal eine Kontraktion an, diesmal begleitet von einem Einbruch des Auftagseingangs auf das Niveau des Jahres 2009. Je deutlicher die Mängel in der Organisation von Boeing werden, je fragwürdiger die Zukunftsaussichten, desto deutlicher die Auswirkungen bei Zulieferern, desto substanzieller der Schaden an der komplexen industriellen Infrastruktur.

  • Caixin China EinkaufsmanagerIndex für das produzierende Gewerbe steigt auf 51,7. Allein das genügte, um die Aktienmärkte in Asien zum Handelsauftakt im November deutlichen Rückenwind zu bescheren. Die von dem Finanzdienstleister erhobenen Daten kollidieren mit offiziellen Daten des Handelsministeriums. Diese waren kurz zuvor veröffentlicht worden und zeigen erneut eine Kontraktion des produzierenden Gewerbes an. Das Wirrwar statistischer Erhebungen der chinesischen Wirtschaft hält an. Dies öffnet der Spekulation Tür und Tor.