Wochenbericht 38

Verschuldungsgrenzen

Millionen gehen auf die Straße, fordern eine wirksame Klimapolitik. Das notwendige Umsteuern wird mit jedem versäumten Tag teurer. Gleichzeitig senden die Finanzmärkte akute Warnsignale: Die Verschuldung der USA stößt an ihre Grenzen.

(Stuttgart, 21.9.) Die aktuelle Ausgabe des Economisten widmet sich dem Klimaschutz:

Climate change touches everything this newspaper reports on. It must be tackled urgently and clear-headedly.

Schöne Worte, die in dem Heft aus unterschiedlichen Perspektiven untermauert werden. Es ist kaum verwunderlich, dass die Zeitung den Kapitalismus als Lösung der Aufgabe präsentiert.

Anders als viele Politiker streut der Economist den Lesern aber keinen Sand in die Augen, sondern berichtet sachlich über die Herausforderungen. Beim Lesen der Feature-Artikel beschleicht Hieronymus die Befürchtung, dass die Beteuerungen der Politik, man könne den menschengemachten Klimawandel noch auf ein akzeptables Maß begrenzen, reine Lippenbekenntnisse sind.

Die Grenzen der Staatsverschuldung

In dem letzten Wochenbericht fragte Hieronymus , wie lange die Finanzmärkte den Industriestaaten bereitwillig gigantische Geldmengen zur beliebigen Verwendung zu Null- oder gar Negativzinsen überlassen. Unbeabsichtigt ist diese Frage bereits jetzt um TOP-Thema avanciert.

Aufruhr am Repo-Markt.

Der Repo-Markt bedient kurzfristige Liquiditätsanforderungen des Finanzsektors. Am Montag setzte die FED völlig überraschend einen Notmechanismus aus der Finanzkrise in Kraft. Vorher war der Zinssatz für sehr kurzfristige Ausleihungen deutlich über den Zinskorridor der FED angestiegen. Seit Dienstag stellt die FED täglich Tender über 75 Mrd. $ bereit, die jeweils begierig aufgesogen wurden.

Im Sommer 2007 war der plötzliche Anstieg der Zinsen am Repo-Markt zurückblickend der erste handfeste Vorbote der nahenden Subprime- und Finanzkrise. Die Ursache des Anstiegs damals: Die Banken liehen sich gegenseitig kein Geld mehr, weil man der Qualität der gestellten Sicherheiten nicht mehr traute.

Damals lagen Unmengen mit AAA-gerateter, aber tatsächlich in höchstem Maße Ausfallgefährdeter Immobilienderivate in den Portfolien der Banken, die als Sicherheiten für kurzfristige Ausleihungen verwendet wurden. Das ist heute sicherlich nicht der Fall. Die Ursache des plötzlichen Liquiditätsengpasses muss also eine andere sein.

Hohe Staatsausgaben, Handelskriege und Quantitative Easing

Die Schuldenaufnahme der USA ist in den letzten drei Jahren förmlich explodiert. Das Schatzamt kommt kaum mit der Emission von US-Staatsanleihen nach. Die Märkte beobachten den Verlauf dieser Auktionen und protokollieren die Nachfrage. Bislang verlief dieser Prozess ohne sichtbare Frakturen, die US-Treasury konnte die erforderlichen Summen stets zu akzeptablen Konditionen einnehmen.

Parallel zur Schuldenaufnahme führt D.T. einen Privatkrieg gegen den Multilateralismus im Allgemeinen und China im Besonderen. Japan und China absorbierten in der Vergangenheit große Mengen emittierter US-Staatsanleihen. Dies war aus buchhalterischer Perspektive die Gegenbuchung zu den hohen Handelsbilanzüberschüssen. Beide Staaten reduzieren aktuell ihre Bestände an US-Staatsanleihen, fallen also als Abnehmer aktueller Auktionen aus.

Deshalb obliegt es den US-Geschäftsbanken, die angebotenen Staatsanleihen zu absorbieren. Dank der expansiven Geldpolitik der FED unter Bernanke und Yellen konnten sie dies bislang leisten. Seit 2009 hatte die FED schließlich Staatsanleihen erworben und die Verkäufer mit Cash ausgestattet.

Jetzt scheinen die Cash-Reserven der Banken aufgezehrt zu sein. In den USA steht gerade ein wichtiger Steuertermin ins Haus. Unternehmen weisen ihre Banken an, die Steuern von ihren Konten abzuheben. Das zehrt zusätzlich an den Cash-Reserven der Banken. Jede Bank versucht die notwendigen Überweisungen mit eigenen Barmitteln zu stemmen. Vorhandene Bestände von US-Treasuries mögen Cash-Äquivalente sein, wenn aber niemand Überschußliquidität ausweist, kann man diese nirgends gegen Cash tauschen. Als Konsequenz steigen die Zinsen für kurzfristige Ausleihungen.

Die schwache FED

Die FED ist die einzige Institution, die in dieser Lage helfen kann. Bereits im Beitrag Euro fällt unter 1,10 wies Hieronymus auf die Konsequenzen der Erosion der Autorität der US-Notenbank im Zuge der Politisierung dieser Institution hin. In dieser Woche bestätigte Jaw Powell, der FED-Vorsitzende, diese Einschätzung aufs Trefflichste:

I think we’ll learn quite a lot in the next six weeks

so beantwortete Powell auf der Pressekonferenz der FED zum Zinsentscheid die Frage nach der Strategie der FED zur Eindämmung der unerwarteten Zinskapriolen. Wie gespannt der Repo-Markt ist, zeigt die enorme Nachfrage. Für Übernachtausleihungen fragen die Banken täglich über 80 Mrd. $ nach.

Am Freitag verkündete die US-Notenbank, dass man zusätzlich zu den »Overnight-Tendern« solche mit einer Laufzeit von zwei Wochen auflegen wird. In zwei Wochen endet das Quartal und man hat Angst, dass das Bankensystem die bilanziell notwendigen Buchungen mangels Liquidität nicht mehr ausführen kann. Zunächst werden 90 Milliarden US-Dollar bereit gestellt.

Sehr kurzfristig und ungeplant hat die FED ein kurzfristiges Quantitative Easing aufgelegt. Zum Vergleich: Das neu aufgelegte Anleihenaufkaufprogramm der EZB hat ein Volumen von 20 Mrd. € im Monat und es beginnt nach einer sorgfältigen Vorbereitung im November.

Es zeigt sich nun, dass die Kommentare des D.T. zur Geldpolitik der FED mehr sind, als Politfolkore. Selbst die aktuelle Verschuldung ist nur mittels einer expansiven Geldpolitik der FED darstellbar. Die USA nähert sich damit der Praxis in Japan an, wo die Kreditaufnahme des Staats zu einem Großteil direkt von der Notenbank aufgekauft wird.


Nachtrag 8.10.2019
Die FED führt ein Anleiheaufkaufprogramm ein, um speziell die starken Zinsanstiege am REPO-Markt zu adressieren. Die Höhe der anzukaufenden Anleihen wird »organisch« bestimmt und stets der Nachfrage angepasst. Damit bestätigt die FED die hier geäußerten Einschätzungen. Zugleich führt sie die »Japanisierung« ihrer Geldpolitik fort. Die drei großen Notenbanken betreiben damit im Herbst 2019 wieder aktives Quantitative Easing.


Die Woche an den Finanzmärkten

  • Geldschwemme. Wie erwartet, senkte die FED den Leitzins um 25 BP. Dabei markiert die Inflation in den USA ein Mehrjahreshoch, Tendenz weiter steigend. Ganz anders ist die Situation in Australien und Japan. Japan wies erneut zurückgehende Außenhandelsdaten und weiter zurückgehende Inflationsdaten aus. Der australische Arbeitsmarkt schwächelt sichtbar. Für die Finanzmärkte bedeutet dies: Die Chancen auf weitere monetäre Stimulie sind gestiegen, also steigen die Preise für spekulative Assets, insbesondere Aktien.

  • Schweiz, Norwegen, Schweden. Die norwegische Notenbank erhöhte zum vierten Mal in Folge die Leitzinsen(auf 1,5%). Völlig andere Töne schlägt die schweizerische Kantonalbank an: Das Wirtschaftswachstum geht weiter zurück, es gibt keine Pläne, die Leitzinsen anzuheben. Die Absicht der schwedischen Riksbank, die Leitzinsen bald anzuheben, wird durch Wirtschaftsdaten unterhöhlt. Die Arbeitslosigkeit stieg auf 7,4% (Erwartung: 6.8%), die Krone wertete daraufhin deutlich ab.

  • Hexensabbat. Am Freitag verfielen Terminkontrakte auf Optionen und Futures von Aktien und Indizes. Die Marktpreise sind deshalb kurzfristig verzerrt.