Wochenbericht 37

Klimaschutz zum Nulltarif?

Politiker träumen davon, dass die Kapitalmärkte keine Entlohnung für Finanzierung der Klimaschutzmaßnahmen verlangen. Das wäre wunderbar, ist aber höchst unwahrscheinlich. Aktuell »verbrennen« StartUp's im Bemühen, rasch zu wachsen, 0,6% der globalen Wirtschaftsleistung. Mehr als in der Hochzeit der Dot.Com-Blase.

(Stuttgart, 14.9.) Klimaschutz ist teuer, insbesondere, wenn man wertvolle Jahre untätig hat verstreichen lassen. Doch: Hoffnung naht. Die EZB druckt (über die beschlossenen, unlimitierten Anleiheaufkäufe) auf absehbare Zeit monatlich 20 Mrd. Euro. Zusätzlich stellt die europäische Investitionsbank 100 Mrd. Euro pro Jahr zu Superkonditionen bereit. Schließlich ist da noch die Bürgeranleihe, die auch einen zweistelligen Milliardenbetrag einspielen dürfte: Geld ist im Überfluß verfügbar.

Aber was tut man damit? Anreize schaffen, damit die Staatsbürger freiwillig ihren nicht klimakonformen Lebensstil aufgeben! Sonst wählt das Staatsvolk AFD. Aber welcher Anreiz ersetzt den Traum einer Reise nach Australien (16 t CO2/Person – nachhaltig sind 2 t pro Jahr)? Welcher Anreiz ersetzt den Partner des Lebens, der leider weit weg arbeitet und den man jedes Wochenende treffen möchte? Aus Kapitalmarktsicht sind Investitionen in »Anreize« mit chronisch verlustausweisenden StartUp’s gleichzusetzen. Die Investoren stellen Geld bereit ohne dass absehbar ein ökonomischer Vorteil entsteht. Die Politiker haben derzeit die Hoffnung, dass der Kapitalmarkt ihnen ihr Versagen in den letzten Jahren durch NullZinsen verzeiht. Hieronymus hat seine Zweifel, dass die Kapitalmärkte sich tatsächlich hierfür instrumentalisieren lassen.

Der Zerfall der Autorität des Mario Draghi

Kaum war die Pressekonferenz(PK) nach dem EZB-Entscheid vorbei, gaben die Mitglieder des EZB-Rats die ersten Interviews. Jens Weidmann lud die Bild-Zeitung ein, Robert Holzmann (Österreich) produzierte sich bei Bloomberg TV, Klaas Knot (Niederlande) gab eine eigene PK, auf der er seine (abweichende) Auffassung über eine »richtige« Geldpolitik vortrug.

Tatsächlich war der letzte EZB-Zinsentscheid bemerkenswert. Üblicherweise hält sich ein scheidender Notenbankchef bei geldpolitischen Entscheidungen kurz vor seinem Amtsende zurück und überlässt der/dem Nachfolger(in) die Gestaltung der Zukunft. Die finale Entscheidung des Mario Draghi ist das genaue Gegenteil. Sie legt Frau Lagarde ein enges Korsett an, nimmt ihr auf absehbare Zeit sämtlichen Entscheidungsspielraum.

  • Die Anleiheaufkäufe werden fortgesetzt bis die Inflationsrate konstant oberhalb von zwei Prozent liegt.
  • Der Zinssatz von -0,5% hat ebenfalls kein Verfallsdatum.
  • Die LTRO-Einlagenfacilität für Banken ist auf Autopilot geschaltet. Sobald alte Tender auslaufen, werden wieder neue aufgelegt, mit denen die Banken die Vergabe von Krediten finanzieren können.

Zwei Tage nach dem Zinsentscheid wird deutlich, wie gespalten der EZB-Rat tatsächlich ist. Was ist ein Beschluß wert, von dem bekannt ist, dass ausgerechnet die Vertreter der »großen« Volkswirtschaften im Zentrum der Eurozone überstimmt wurden?

Fast scheint es, als ob Mario Draghi insbesondere Italien ein Abschiedsgeschenk machen wollte und ein letztes Mal seine Macht als Ratspräsident durchsetzte. Nun bereitet sich die EZB auf den Übergang auf Christine Lagarde vor. Hieronymus prognostizierte im Zuge der Betrachtung der Währungsmärkte eine Politisierung der Entscheidungsgremien der Notenbanken der Industrieländer. Nun – der Prozess beginnt früher und ist ausgeprägter, als damals vorhersehbar.

Die Historie zeigt, dass ein Wechsel an der Spitze einer großen Notenbank die Kapitalmärkte regelmäßig zu einem Stresstest der jeweiligen Notenbank einlädt. Alan Greenspan war unmittelbar nach seinem Amtsantritt mit der LTCM-Krise konfrontiert. Mario Draghi musste die Staatschuldenkrise meistern. Frau Lagarde könnte gezwungen werden, die Geldpolitik der EZB, die Draghi nun auf Autopilot gestellt hat, hektisch um 180 Grad zu drehen. Inzwischen berichtet Hieronymus fast wöchentlich über inflationäre Tendenzen in Teilbereichen. Eine Rückkehr der Geldentwertung ist die Achillesferse der Geldpolitik der Industriestaaten.

Die Politisierung der EZB ist im vollem Gange. Neun offene Kritiker der letzten geldpolitischen Entscheidung der EZB sägen bereits kräftig am Erbe des Mario Draghi.

Das Rennen um Aufmerksamkeit

Eine Begleiterscheinung des Nullzinsregimes ist eine steigende Bereitschaft zu Beteiligungen an StartUp-Unternehmen. Die Konkurrenz der Investoren um interessante StartUp’s lässt die Marktwerte dieser Jungunternehmen mit jeder weiteren Finanzierungsrunde explodieren. Mittlerweile werden weltweit über 400 Unicorns1 mit einer Bewertung von über einer Milliarde Dollar gezählt2.

Die Mehrzahl der finanziell bestens ausgestatteten Jung-Unternehmen arbeitet an Geschäftsmodellen, die auf Skaleneffekten basieren. Hierfür muss man möglichst rasch den globalen Markt besetzen. Wie zu den Zeiten des Goldrausches profitieren die Anbieter von Dienstleistungen, insbesondere Cloud­anbieter (Google, Microsoft, Amazon), die den Unternehmen unlimitierte Daten- und Rechenkapazitäten offerieren und die globalen Werbebtreibenden, Facebook und Google. Die FT behauptet, dass die Ausgaben der StartUp’s mehr als 10 Prozent der Einnahmen der Technologieriesen ausmachen. Die Ausgaben dieser Unternehmen entsprechen 0,6% der globalen Wirtschaftsleistungen.

Die Aufwendungen sind pures »Verbrennen von Anlegerkapital«. Sie werden nur mittelbar zum Zwecke der Gewinnerzielung getätigt. Die Gegenwart entspricht damit dem Zustand im Jahr 2000, als 0,4% der globalen Wirtschaftsleistungen hierfür aufgewendet wurden. Das Bridgewater Research wurde an die FT geleaked.

0,6% der globalen Wirtschaftsleistung wird von StartUp’s ohne mittelbare Gewinnerzielungsabsicht verbrannt.

Die Woche an den Finanzmärkten

  • Naspers, die südafrikanische Beteiligungsgesellschaft, listete einen Teil ihres Port­folios als IPO in Amsterdam. Prosus ist aus dem Stand der dritt größte Wert an dem Börsenplatz (hinter Royal Dutch Shell und Unilever). Man hofft auf einen zweiten «Tencent-Moment»: 2001 erwarb Naspers eine Beteiligung an ein damals völlig unbekanntes chinesisches StartUp namens Tencent. Zwischenzeitlich galt die Naspers Aktie als Proxy für Tencent-Aktien.
  • Industrieproduktion Eurozone: YOY:–2%, Deutschland: –6%, Italien: –2%, Frankreich, Spanien: +0,5%.
  • IFO: Hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Schwäche in der Industrieproduktion in Deutschland auf den Dienstleistungssektor überspringt. Reduktion des Wachstums­ziels 2020 von 1,7 auf 1,2%.
  • In den USA stiegen die Preise für Konsumgüter (ex Energie und Lebensmittel) im August um YOY um 2,4%, das ist der höchste Wert seit dem Sommer 2018 und entspricht dem Niveau von 2008. Die Großhandelspreise stiegen um 1,8%, dem höchsten Wert seit Mai. Trotzdem wird die FED die Leitzinsen am kommenden Donnerstag um weitere 25 BP senken.
  • Einen Tag nach dem EZB-Entscheid, die Anleihekäufe zur Verhinderung einer deflationären Entwicklung wieder aufzunehmen, veröffentlichte EuroStat, die europäische Statistikbehörde, neue Zahlen zur Lohnentwicklung: Die Arbeitslöhne stiegen in Q2/19 mit 2,7% so stark, wie zuletzt 2009.
  1. Nicht börsengelistete StartUp’s mit einer Marktkapitalisierung über eine Milliarde Dollar. 

  2. Gemäß einer Studie von CB insights (FT vom 15.09.2019, Titelseite).