Wochenbericht 47

Black Friday Edition

Allen Unkenrufen zum Trotz erstrahlen die Städte in der nördlichen Hemisphäre auch zum Advent 2022 in vorweihnachtlichem Glanz. An den Börsen der Welt handeln Wertpapiere mit kräftigen Preisaufschlägen. Traditionell veröffentlichen die Banken nun ihre Einschätzungen für 2023. Hier herrschen Molltöne vor. Die Zeit des billigen Geldes ist vorbei. Spekulative Assets haben das Nachsehen.

Stuttgart, 26. November 2022.

Die Konsum-Saison ist nun offiziell eingeläutet. Die Politik ließ nichts unversucht, verunsicherte Konsumenten diesseits und jenseits des Großen Teichs an die Hand zu nehmen. »Seht her, ist doch gar nicht so schlimm» ist unisono die Botschaft. In den USA sind die Preise für Thanksgiving-Puten trotz Vogelgrippe nur moderat gestiegen, in Westeuropa wurden umfangreiche Hilfspakete aktiviert, damit alle ihrer Staatsbürgerpflicht zum vorweihnachtlichen Konsum nachkommen können und selbst die KP-China lässt sich nicht lumpen.

Alibaba machte den Anfang: Trotz unveränderter Corona-Lockdowns übertraf der Umsatz am »Singles Day« den des Vorjahres. Die »Black Week« liegt nun hinter uns, auf den ersten Advent folgt die »Cyber-Week«. Wir befinden uns im Zenit des Weihnachtsgeschäfts.

Interessant ist, wie sich die Menschen in den großen Städten der Ukraine verhalten. Anstatt sich, wie von Russland gewünscht, gegen die eigene Regierung zu wenden, nehmen sie ihr Schicksal in die Hand, rücken in geheizten Co-Working-Spaces zusammen, stellen Notstromgeneratoren vor die Eingänge oder servieren bei Stromausfall aufgewärmten Borscht. Vermutlich ist die Einverleibung der Vitalität der postsowjetischen ukrainischen Gesellschaft das eigentliche Kriegsziel Russlands.

Die TOP-Meldung aus Russland: Yandex verlässt Russland. Das einstige “Google Russlands” ist nach den westlichen Sanktionen nur noch ein Schatten seiner selbst. Die Aktien sind seit Februar vom Handel ausgesetzt. Zum letzten Kurs betrug der Marktwert 6,9 Mrd. $. Nun hat Putin höchstpersönlich der niederländischen Holding den Verkauf des Russlandsgeschäfts genehmigt.

Mehrere tausend Mitarbeiter haben sich aus Russland abgesetzt. Einige wurden in Auslandstöchtern weiterbeschäftigt. Der Kreml akzeptiert faktisch den Brain-Drain emigrierter hoch qualifizierter IT-Fachkräfte.

Nach neun Monaten wirken die Sanktionen.

Weihnachtsrallye oder Katerstimmung?

Ende November schließen viele institutionelle Marktteilnehmer ihre Bücher. Maßgeblich sind die Assetpreise zum Monatsultimo, nicht die zum Jahreswechsel. Ende November gehen auch die Jahresausblicke 2023 an die Kunden, die in den ersten beiden Novemberwochen erstellt wurden. Die Marktentwicklung aus dem November strahlt über diese beiden Kanäle ins nächste Jahr aus.

Im Dezember nimmt die Liquidität ab. Das macht den Monat insbesondere in schwachen Jahren empfindlich für wenig nachhaltige Preiskapriolen. Die Preisentwicklung im Jahr 2011 steht hierfür Pate:

Abbildung 1: Preisentwicklung des S&P500 aus dem Jahr 2011

Die Optimisten schauen angesichts der Preisentwicklung seit September auf das Jahr 2017.

Abbildung 2: Black-Friday-Ralley im Jahr 2017

Selbst in dem Jahr bildete sich in der »Black Week« ein lokales Preistop aus, dass im Dezember auskorrigiert wurde.

Quantitative Tightening

Ab 2018 versuchte die FED das Quantitative Easing seit 2009 rückabzuwickeln. Auslaufende Anleihen wurden nicht ersetzt. Das Ergebnis kennen wir: Aktienpreise stagnierten.

Abbildung 3: Bilanzausweitungen der FED seit 2009
Abbildung 4: Aktienpreisentwicklung 2019 — Quantitative Tightening

Für 2023 haben sowohl die FED als auch die EZB angekündigt, ihre Bilanzen zu verkürzen. 2023 liegen die Chancen bei Aktien eindeutig auf der Preisunterseite. Insbesondere, weil die knappe Liquidität in die lukrativsten Assetklassen strömt. Auch 2019 waren Anleihen attraktiver als Aktien.

Abbildung 5: Relative Attraktivität Aktien vs. Anleihen

Fazit: Die Aktienrallye der vergangenen zwei Monate steht auf einem schwachen Fundament. Die Ausbildung eines Preistops zum Monatswechsel entspräche vergleichbaren Aktienjahren. Für den restlichen Jahresverlauf sind maximal konstante Notierungen zu erwarten. 2023 müssen Aktien beweisen, dass sie bessere Investmentziele sind als Anleihen.

The Year of Yield

Das ist der Titel des Jahresausblicks von Morgan Stanley. Die Bank trommelt für Investments in Anleihen – und Europa.

  • Wenn (schon) Aktien, dann bitte dividendenzahlende, europäische Valuewerte.
  • Staats- oder Investmentgrade-Anleihen aus Europa sind die Top-Picks.
  • Alternativ empfehlen sich Anleihen aus Schwellenländern in lokaler Währung.
  • Morgan Stanley empfiehlt deutsche Staatsanleihen als TOP-Alpha-Quelle.

Das ist wirklich eine Überraschung. Zeitgleich titelt nämlich der Economist:

und beschreibt wortreich die Herausforderungen für den Kontinent angesichts der geostrategischen Realitäten.

Fakt ist: Die Abhängigkeit Europas von fossilen Energieträgerrnm bewirkt einen nachhaltigen Kapitalabfluss. Profiteure sind die arabischen Staaten und die USA. Normalerweise geht dies einher mit einer Abwertung der Währung. Da der US-Dollar 2022 aber bereits sehr stark aufgewertet ist, prognostiziert Morgan Stanley, trotz struktureller Schwächen, eine Fortsetzung der Aufwertung des Euro. Das hegt die Inflation ein.

Ungarische Staatsanleihen

Folgt man den Überlegungen der Analysten von Morgan Stanley, sind langlaufende, Euro-denominierte ungarische Staatsanleihen das ultimative Investment für das Jahr 2023.

Die ungarische Notenbank hat die Leitzinsen auf 13 Prozent angehoben und als Incentive für Banken die Zinsstrukturkurve des Forint stark versteilert. Hohe Erträge durch die Fristentransformaton (Finanzierung kurzfristiger Ausleihungen mit langfristigen Krediten) kompensieren Abwertungsrisiken der lokalen Währung und zieht institutionelles Kapital an. Der Forint hat sich zuletzt gegenüber dem Euro stabilisiert, die Maßnahmen scheinen also zu greifen.

Abbildung 6: Energiepreise in Europa (Quelle: Economist)

Die Risiken eines Investments in ungarischen Staatsanleihen sind mannigfaltig. Das Währungsrisiko kann leicht durch Euro-Anleihen eliminiert werden. Wie lange sich das Land noch die Abhängigkeit von russischen Energielieferungen leisten kann, ist kaum abschätzbar. Derzeit profitiert Ungarn von unschlagbar günstigen Energiepreisen. Sollte Russland, wie vom Economisten erwartet, 2023 sämtliche Energielieferungen nach Europa einstellen, müsste Ungarn zu deutlich höheren Preisen aus der EU versorgt werden. Das könnten sich weder die Haushalte noch die Industrie leisten. Ob das Land angesichts einer solchen Entwicklung seine Anleihen nicht mehr bedient, ist die Gretchenfrage.

Aktuell erhält man für ungarische Staatsanleihen mit einer Laufzeit bis 2050 gegenüber österreichischen Staatsanleihen einen Renditeaufschlag von fast vier Prozent. Ob dieser Aufschlag die Risiken adäquat abbildet?

Ressourcen

  • Ukraine – And the band played on, Economist, 26.11.2022, p. 30
  • Yandex seeks Putin approval for restructuring plan, FT 24.11.2022
  • 2023 Global Strategy Outlook – The Year of Yield, Morgan Stanley Research
  • National Bank of Hungary Preview: All eyes on stability , ING Think, 17.11.2022