Wochenbericht 33

Unter Elephanten

Das Weiße Haus baut an Schutzwällen für die Internetgiganten. Dabei gelten diese doch als die Erfolgsgeschichte der Gegenwart.

Stuttgart, 15. August.
Am Freitag unterzeichnete der US-Präsident eine Verfügung, wonach ByteDance, der Betreiber von TikToc, 90 Tage Zeit hat, sein US-Geschäft zu verkaufen. Zeitgleich strich er alle Ausnahmegenehmigungen für US-Unternehmen, noch bestehende Lieferverträge mit Huawei abzuwickeln. Alle Lieferungen an und Services für Huawei müssen nun aufwendig durch das Handelsministerium genehmigt werden. Das US-Handelsministerium prüft außerdem Schritte gegen Alibaba, sagte Trump am Samstag.

Erst vor einer Woche hatte das Weiße Haus allen US-Unternehmen Geschäftsbeziehungen zu ByteDance mit einer Frist von 45 Tagen untersagt und zugleich verfügt, dass WeChat in den USA abzuschalten sei.

Unmittelbar vor der heißen Phase des US-Wahlkampfes ist dies eine bemerkenswerte Verschärfung des Protektionismus. Es gibt absehbare Gewinner, Bauernopfer und es drohen Kollateralschäden.

Die Causa TikTok

Eindeutiger Verlierer ist Google – und das in doppelter Hinsicht. Zum einen konnte Google bislang wegen der Ausnahmegenehmigung Huawei-Smartphones mit Updates für Android versorgen. Das ist ab sofort in den USA nicht mehr legal möglich. Zum anderen geht es bei TikTok leer aus. Dabei hätte der Videodienst gut zum Portfolio von Alphabet gepasst.

Statt dessen erhält nun Microsoft die einmalige Chance, sich eine Videoplattform einzuverleiben und gleichzeitig State of the (chinese) Art of Artificial Intelligence geliefert zu bekommen.
Dies ist vermutlich das wahre Asset, dass bei TikTok zum Verkauf steht.

Die ByteDance App-Entwickler haben das Kunststück vollbracht, innerhalb kürzester Zeit in einem bereits gesättigten Markt ein virales und zugleich profitables Unternehmen zu platzieren. Der Kern von TikTok sind nicht die zahlreichen Videoclips. TikTok ist so beliebt, weil der Algorithmus es schafft, den Nutzern nur die Videos zu zeigen, die sie mögen und sie so an die Seite zu binden. Dieser Algorithmus kann natürlich auch für politische Kampagnen verwendet werden.
Und so reduziert sich die Causa TickTok dann doch wieder auf das Thema Propaganda: Die USA wirft China vor, über derartige Apps die Meinungsbildung in den USA zu beeinflussen.

Dieser Vorwurf kann stichhaltig sein, das Ganze könnte aber genauso gut ein Wahlkampfmanöver sein. Dafür spricht die Eile und der Zeitpunkt der Verkündung der Maßnahmen.

Noch im Wochenbericht 30 nahmen wir an, dass es der US-Regierung um die Sicherheit von Nutzerdaten geht, die ByteDance über die Platform TikTok sammelt. Inzwischen wird immer klarer, dass man es auf die Technologie abgesehen hat, die für den Erfolg verantwortlich ist. Wie zu Zeiten des Kalten Kriegs erheben die USA den Anspruch, allein über Hochtechnologie zu verfügen.

Tencent aus dem Schneider?

Überraschend ruhig ist es um die Verfügung geworden, wonach Tencent die App WeChat in den USA abschalten muss und ggf. auch sein Engagement in der Filmindustrie beenden muss. Tencent reagierte ausgesprochen entspannt auf die US-Drohungen und betonte, dass der US-Umsatz kaum zwei Prozent des Gesamtumsatzes der Online-Sparte ausmacht.

Die aktuelle Verfügung des Weißen Hauses beschränkt sich auf Dienstleistungen von Tencent in den USA und zielt auf die App Wechat ab. Diese ist für Tencent eher eine Image-Plattform, denn eine CashCow.

Mobile Endgeräte mit einer chinesischen Telefonnummer haben Zugriff auf Weixin, die chinesische Super-App. Endgeräte mit einer internationalen Nummer können WeChat nutzen, eine reduzierte Version des chinesischen Originals. Die App dient hauptsächlich zur Kontaktpflege von Auslandschinesen.

Eigentlich hat es die Trump-Administration auf die Technologie hinter Weixin abgesehen, der SuperApp in China..

Auf chinesischen Android Smartphones ist der Google-AppStore nicht verfügbar. Deshalb hat jeder Smartphonehersteller seinen eigenen App-Store. Chinesische Unternehmen bieten ihre Dienstleistungen gern über Mini-Apps an, die innerhalb von Super-Apps installiert werden. SuperApps sind ein Quasi-Betriebssystem für das Smartphone. Weixin ersetzt US-Dienste wie Twitter, WhatsApp, Facebook, PayPal, Netflix und Google und ist deshalb ein MustHave. Die App ist das Smartphone.

Ökonomisch macht es Sinn, eine SuperApp mit einem Strauß hochfrequenter, niedrigmargiger Services als Basis für die Bereitstellung hochmargiger, niedrigfrequenter Angebote zu betreiben. Tencent ist der unangefochtene Platzhirsch. Weixin kennt die Bedürfnisse der Nutzer sehr genau und platziert zielgerichtet Icons für den Zugang zu hochmargigen Services. Inzwischen entsteht eine Kultur verschachtelter SuperApps. So zeigt Weixin für die Essensbestellung über einen Lieferservice eine Basisversion von Meituan, einer SuperApp unter der Kontrolle von Tencent an. Nutzerdaten werden hierbei geteilt.

Abbildung 1: SuperApp innerhalb von Weixin

Westliche Digitalwirtschaft in der Sackgasse?

In Europa fristen SuperApps ein Schattendasein. Die europäische Datenschutzgrundverordnung steht einer Ausweitung dieser Geschäftsmodelle im Weg. Amazon versucht seit langem, Alibaba zu imitieren, Facebook kopiert Weixin. Jede Veränderung wird von Datenschützern kritisch beäugt und birgt die Gefahr eines Reputationsschadens. In den USA zeigen die jüngsten Anhörungen vor den Ausschüssen der Kammern des Parlaments ein wachsendes gesellschaftliches Umbehagen gegenüber den bestehenden Geschäftsmodellen der Internetgiganten.

Man könnte die Schützenhilfe für die US-Internetgiganten aus dem Weißen Haus als Eingeständnis einer Fehlentwicklung der Digitalwirtschaft interpretieren. Die Quasimonopole sind derzeit dermaßen profitabel, dass Zukunftsentwicklungen verschlafen werden. Man hat es versäumt, die zukunftsweisenden asiatischen Geschäftsmodelle westlichen Ansprüchen an Datensicherheit anzupassen und rennt den Trends dort mit weitem Abstand hinterher.

Dies wiederum mährt die Zweifel an der Nachhaltigkeit der aktuellen Bewertungen der Digitalunternehmen an der Nasdaq.

Die Woche an den Finanzmärkten

  • ThermoFisher – Qiagen: Ein Scheitern mit Ansage.
    Transatlantische Firmenübernahmen sind immer holprig. Das haben zuletzt Linde und Bayer gezeigt. ThermoFischer ergeht es nicht anders. Ursprünglich hatte das Übernahmeangebot 39 Euro betragen. Im Juli erhöhte das Management von Thermofischer dies auf 43 Euro. Dann kollabierte Wirecard und Qiagen hat die Chance in den DAX aufzusteigen.
    Qiagen ist zwar ein niederländisches Unternehmen, die Börsennotierungen sind jedoch in Deutschland und den USA (Nasdaq). Die Marktkapitalisierung ist höher als die der Covestro, die im September den DAX verlassen wird.
    Qiagen produziert Corona-Testkits und wird als Pandemiegewinner angesehen. Die aktuell stark gestiegenen Umsätze sind kaum nachhaltig, genauso wie die aktuelle Bewertung. ThermoFischer ist gut beraten, die Übernahme um 24 Monate aufzuschieben und sich Qiagen dann zu einem fairen Preis einzuverleiben.
    Für alle Spekulanten hat die Deutsche Bank ein Kursziel von 50 Euro für Qiagen ausgelotet (Aktueller Kurs: 42 €). Hieronymus vermutet hier eine Aktion der Sell-Side, mit der ein attraktives Marktumfelf für den Positionsabbau von jetzigen Großinvestoren geschaffen werden soll.

  • China: Spekulation um Hilfsprogramm.
    In China beschränkten sich die Corona-Hilfsprogramme auf die Bereitstellung von Liquidität und die Senkung von Marktzinssätzen. Damit wurde die Industrie gestärkt, also die Angebotsseite. Das Ergebnis: Die Industrieproduktion war im Juli um 4,9 Prozent höher, als im Vorjahresmonat.
    Der private Konsum ist jedoch nun den siebten Monat in Folge gesunken (-1,1 % gegenüber dem Juli 2019). Die Differenz von 6 Prozent Warenproduktion ging in den Export; die Nachfrage aus beschlossenen staatlichen Infrastrukturmaßnahmen greift erst ab Herbst.
    Die Zurückhaltung der Verbraucher hat strukturelle Ursachen. Die Sparquote ist hoch, genauso wie das kollektive Bankguthaben. Letzteres ist von 82 Billionen im Dezember 2019 auf 90,3 Billionen Yuan (12 Billionen Euro) im Juli gestiegen. Hieronymus tippt auf eine Kombination aus Massenimpfungen und einem großen Konjunkturprogramm als Krisenantwort der chinesischen Staatsführung. Ob dies schon zum Jahreswechsel passiert?

  • SaudiAramco: geheiligt sei die Dividende.
    Der halbstaatliche Ölkonzern aus Saudiarabien ist seinem Hauptaktionär verpflichtet. Dieser verlangt eine Ausschüttung von 75 Mrd. $. Diese Dividende wurde während des Börsengangs 2019 zugesagt. Der Gang an die Börse wurde auch mit der Aussicht auf steigende Unternehmensinvestitionen begründet. Dies wurde bereits damals als Marketing-Gag entlarvt. Jetzt zeigt sich, wie zweifelhaft die Werbeaussagen damals waren. Zeitgleich zur Ankündigung der Dividendenausschüttung wurde eine Halbierung der Investitionen bekannt gegeben: Anstatt – wie angekündigt – 40 bis 45 Mrd $ für die Erneuerung der Infrastruktur aufzuwenden sind nun Aufwendungen von 20 bis 25 Mrd. $ geplant.
    Während das Ölgeschäft auf Verschleiß betrieben wird, entstehen an anderer Stelle große Solarparks in der Wüst.

  • USA: Alte Gasleitungsinfrastruktur kann weiter genutzt werden.
    Ebenfalls auf Verschleiß arbeiten die Fracking-Unternehmen in den USA. Der Umweltminister hat nun verfügt, dass Unternehmen keine Strafen mehr drohen, wenn sie undichte Gasleitungen verwenden. Bisher mussten die Leckageraten von Gasleitungssystemen ermittelt und gemeldet werden. Die verhängten Strafen beliefen sich auf 850 Mio. $ pro Jahr, sagt der Umweltminister. Sowohl auf die Meßinfrastruktur als auf die Strafen will man zukünftig verzichten. Die Kostensenkungen sollen an die Verbraucher weitergegeben werden.
    Umweltschützer schätzen einen Anstieg der Methanemissionen um 370.000 Tonnen im Jahr, äquivalent einer Kohlendioxidemission von 8,4 Mio. Tonnen. Bereits vorher war Methan für 10 Prozent der nationalen Klmagasemissionen verantwortlich.
    Einen größeren Aufschrei gab es nicht. Die Umweltbewegung hofft auf auf ein RollBack unter einer Biden-Administration in 2021. Eine Klage gegen die Maßnahme wurde zwar eingereicht, eine Entscheidung bis zu den Wahlen ist aber ausgeschlossen.
    In Europa wurden fast zeitgleich neue und bessere Bestimmungen zur diffusen Methanemission in Kraft gesetzt.

  • Hongkong: Technologiefirmen werden in den HSI ausfgenommen.
    Seit Mai können Großunternehmen in den HangSeng-Index aufgenommen werden, auch wenn sie den Börsenplatz Honkkong nur für eine Zweitnotierung nutzen. Viele chinesische Unternehmen mit Listing an der Nasdaq lassen sich gerade in Hongkong nieder. Alibaba wurde jetzt für diesen Schritt durch Aufnahme in den HSI belohnt. Ebenfalls aufgenommen wurde der Smartphonehersteller Xiaomi. Am 7.September ersetzt Alibaba das Konglomerat Swire Pacific, dass beinah wegen seiner Kernbeteiligung an Cathay Pacific Insolvenz anmelden musste. Dessen Indexgewichtung ist auf 5 Prozent begrenzt.

  • Belarus: Anleihen als politische Druckmittel?
    Es gibt aktiv gehandelte Staatsanleihen aus Belarus. Die Börse in Stuttgart listet 6 in USD denominierte Anleihen, mit Fälligkeiten zwischen 2023 bis 2031. Die Rendite des Kurzläufers beträgt aktuell 8,6 Prozent.
    Seit der Wahl ist die Notierung von 102 (entsprechend 6,6 % Rendite) auf nunmehr 95 % gesunken.
    Die Anleihen sind zu Instrumenten der Politik geworden. Auf der einen Seite steht Russland, dass sich Vorteile von einer schwachen (weil nicht demokratisch legitimierten) Regierung Lukashenko verspricht, ein Szenario, dass auch vom Kapitalmarkt positiv gesehen wird. Auf der anderen Seite steht die EU, die Sanktionen verschärft. Ein Handelsverbot von belaruissischen Staatsanleihen ist nicht auszuschließen. Dieses Risiko will eingepreist sein.
    Bereits vor der Wahl musste Belarus einen Kupon von 6,875 Prozent für die Emission von Fremdwährungsanleihen bieten. Über zielgerichtete Sanktionen könnte die EU dem Regime im Minsk rasch und effektiv den Geldhahn zudrehen. Das würde tatsächlich nur die Machteliten treffen: Das Land ist mit 43 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nur mäßig verschuldet. Darin unterscheidet sich Belarus diametral von der völlig überschuldeten Ukraine.