Wochenbericht 5/23

Woche der Notenbanken

Die Spekulation darüber, wer was und warum gerade jetzt ge- oder verkauft hat, ist so alt wie der Kapitalmarkt. In der »Woche der Notenbanken« laufen die Marktastrologen zur Hochform auf.
In Indien kehrt man das zerschlagene Porzellan nach der Shortseller Attacke zusammen. Es bleibt die Frage: Kann es so weiter gehen?

Stuttgart, 4. Februar 2023.

Nun sind sie also durch, die geldpolitischen Einwürfe der wichtigsten Notenbanken.

  • Japan: Leitzins: -0,1% (unv.), Ankündigung weiterer Anleiheaufkäufe
  • Großbritannien: Leitzins 4% (+0.5), Zinsanhebungen vermutlich abgeschlossen
  • USA; Leitzins: 4,5 - 4,45% (+0,25%), weitere Zinsanhebungen angekündigt
  • Eurozone: Leitzins: 3% (+0,5%), weitere große Zinsanhebungen angekündigt

Es war Jaw Powell, der Vorsitzende der FED, der die magischen Worte sprach und die Marktteilnehmer elektrisierte:

while I an cautious about declaring victory, I do see a path to bringing inflation back to target without a really significant economic decline.

Im weiteren Verlauf der Pressekonferenz stellte er die bisherigen Langfristprognosen der Mitglieder der FED in Frage. Die berühmten “Dot-Graphen”, in denen die stimmberechtigten Mitglieder des Offenmarktausschusses ihre geldpolitischen Projektionen für die nächsten Quartale kommunizieren, sind nicht mehr das Maß der Dinge. Stattdessen verlässt sich Powell auf die konkrete Datenlage.

Das wurde als Eingeständnis gewertet, dass die bisherigen Projektionen zu viele Zinsschritte ankündigten. Damit kehrt die FED zur Kommunikation unter Volcker/Greenspan zurück und sendet ein weiteres Normalisierungssignal. Geldpolitik wird weniger wichtig.

Im Ergebnis verteuerten sich Aktien und Anleihen. Der US-Dollar wertete ab. Dann, kaum 24 Stunden später, trat Christine Lagarde vor die Presse und begründete den Zinsschritt der EZB. Die Aktienmärkte reagierten kaum. Der Euro sehr wohl.

Abbildung 1: Entwicklung des Währungspaares EUR/USD

Binnen Kurzem wertet der Euro um 2 ct. gegenüber dem US-Dollar ab. Zum Handelsschluß am Freitag wurde die Tradingrange seit dem Jahreswechsel angehandelt. Die Dynamik ist ungewöhnlich hoch.

Auch der japanische Yen und der Australdollar werten seit Donnerstag deutlich gegenüber dem US-Dollar ab. Überall steht die Aufwertung seit Oktober zur Disposition.

Dies mag kurzfristiges »Marktrauschen« sein. Angesichts der Tragweite wird Hieronymus diese Entwicklung in den kommenden Tagen genau verfolgen. Schließlich ist die Abwertung des US-Dollar seit Oktober ein, vielleicht sogar der maßgebliche Faktor des Preistrends am Aktienmarkt. Eine Fortsetzung des sehr jungen Währungstrends könnte eine Konsolidierung der Aktienmärkte einleiten.

Shortsqueeze in den USA

Die These einer möglichen Ermüdung des Preistrends an den Aktienmärkten wird auch von Berichten über die Kapitulation von Hedgefunds in den USA gestützt. Nach schmerzhaften Erfahrungen mit Wetten auf fallende Notierungen bei Meme-Stocks im Jahr 2020 sind die Risikolimits offenbar deutlich reduziert worden. Gemäß der FT ist ein Großteil des Preisanstiegs in den USA (z.B.Nasdaq +3,3%, größter Tagespreissprung seit Januar 2021) dem Rückkauf von Shortpositionen zuzuschreiben.

Zum Abschluß dieser Woche kommen einige Faktoren zusammen:

  • Aus Spekulationen über die weitere Geldpolitik wurden Gewissheiten.
  • Die Berichtssaison nähert sich ihrem Ende.
  • Baerische Engagements sind abgeräumt.
  • Gemäß der Saisonalität markieren Aktienmärkte in der ersten Februarhälfte ein temporäres Preismaximum.

Möglicherweise waren die Aussagen der Vorwoche Pulver verschossen etwas verfrüht …

Optionsmarkt zeigt weiterhin baerisches Sentiment

Auch wenn es Hinweise gibt, dass Investoren, die den sehr baerischen Jahresprognosen der Banken und Vermögensverwaltern gefolgt sind, angesichts des dynamischen Markttrends kapituliert haben, dominiert zumindest in Europa weiterhin die Vorsicht. Der Optionsmarkt ist ein guter Indikator hierfür. Mit Put-Optionen kann ein Portfolio gegen Preiseinbrüche abgesichert werden. Call-Optionen dienen der Spekulation auf weiter steigende Notierungen. In idealen Märkten kosten symmetrisch um den Marktpreis gewählte Puts genauso viel wie Calls. Tatsächlich sind Put aktuell deutlich teurer. Will man aktuell sein Depot aus europäischen Aktien bis September gegen einen Preisrutsch um 550 Punkte absichern, zahlt man für einen entsprechenden Put (Strike: 3700) 80 €. Ein symmetrisch angeordneter Call (Strike 4800) ist deutlich günstiger – die Nachfrage ist einfach geringer. Ein preisgleicher Call hat einen Strike von 4500. Die Differenz von 300 Punkten ist eine Maßzahl für die Preiserwartungen der Marktteilnehmer.

Diese Observation deckt sich mit Sentimenterhebungen (Sentix, Börse Frankfurt). Trotz der besseren Performance seit Oktober ist am europäischen Aktienmarkt keine Kapitulation baerisch eingestellter Marktteilnehmer meßbar. Es gibt also keinen unmittelbar zwingenden Anlass, »gegen« den Markttrend zu wetten. Entsprechend ist die EuroStoxx-Handelsstrategie positioniert.

Nachwort: Adani

In der Woche eins nach dem Einschlag des Hindenburg Reports zu den Preismanipulationen im Adani-Imperium hat sich der Börsenwert der hoch verschuldeten Adani-Gesellschaften mehr als halbiert (Adani Total Gas, Adani Green Energy), Gläubiger von Adani-Anleihen sehen große Preisabschläge und können die Anleihen nicht mehr als Sicherheiten benutzen, Lord Jo Johnson, der Bruder von Boris Johnson, muss erklären, ob er Erfüllungsgehilfe bei den Preismanipulationen war und schließlich musste die Kapitalerhöhung bei Adani-Enterprises abgesagt werden. In der Summe hat sich die Marktkapitalisierung der börsengelisteten Unternehmen um 100 Mrd. $ reduziert (ca. 35 %).

Im Ergebnis zeigte Hindenburg der Adani-Familie die Grenzen ihrer Allmacht auf. Die Kapitalerhöhung diente der Reduzierung der – angesichts steigender Marktzinsen – viel zu hohen Gesamtverschuldung. Die selbst für indische Verhältnisse mit einer abenteuerlichen Finanzierung errichteten Solarparks stehen angesichts neuer Kreditkonditionen inmitten einer Neubewertung. Der weiteren Expansion des Imperiums wurde Einhalt geboten. Am Dienstag übergab die israelische Regierung der Adani-Group gegen eine Zahlung von 1,2 Mrd. $ den Hafen von Haifa. Nachdem die Kapitalerhöhung (2,5 Mrd. $) geplatzt ist, reißt diese Akquisition ein großes Loch in die Liquidität der Adani’s.

Der Hindenburg Report öffnete die Augen für die Konzentration an Macht und Kapital in Indien. Dort scheint alles einer Handvoll Oligarchen zu gehören. Wer investieren möchte, kommt möglicherweise ohne die Adani-Gesellschaften aus. Aber ohne das Aktienmarktschwergewicht Reliance Industries (Ambani-Familie) geht es kaum. Reliance zeigt die Monopol-Strukturen des indischen Kapitalismus unter einem Brennglas. Über das Investment-Vehikel haben die Ambanis ein frühkapitalistisches Abbild der Berkshire Hathaway erschaffen, dass den indischen Telekom-Markt dominiert, bei Solarfarmen die Standards setzt, den Öl- und Basischemikalenmarkt dominiert, und im Einzelhandel mit der hiesigen Lidl & Schwarz vergleichbar ist. Ohne diese Aktie ist kein adäquates Investment in Indien möglich.

Abbildung 3: Preisentwicklung der Reliance Indutries

Die Aktie wurde im Zuge des Abverkaufs der Adani-Aktien mitverkauft. Der Chart zeigt, dass das Mißtrauen gegenüber indischen Oligarchen auch vor dem Hindenburg Report verbreitet war. Positiv ausgedrückt, konsolidiert die Aktie den Aufwärtstrend seit 2019 (und davor). Der jüngste Abverkauf fällt aber in eine Periode global steigender Aktienmarktnotierungen. Außerdem dürfte Reliance wie kaum ein anderes indisches Unternehmen von seinen Handelsbeziehungen zu Russland profitieren.

Im Rahmen einer möglichen Marktberuhigung kann der aktuell niedrige Aktienpreis eine Kaufgelegenheit sein. Ein Investment ist ein Schuss ins Ungewisse, eine Wette auf eine weitere Russifizierung Indiens, die erfolgreiche Fortsetzung des indischen hindunationalen (postfaschistischen) Frühkapitalisums, ja sogar auf eine Wiederkehr eines BRICS-Investment-Case.

In diesen Zusammenhang sind die Aussagen von Lula da Silva aus Brasilien interessant, der die Allianz zu Russland und China sehr prominent in den Fokus der Weltöffentlichkeit platziert hat. Auch Südafrika hat dieses lockere Wirtschaftsbündnis zuletzt protegiert.

Ressourcen

  • Hedge funds rush to unwind bets on falling markets as stocks surge, FT 4.2.2023
  • Adani/TotalEnergies: French company’s due diligence was inadequate, FT 3.2.2023
  • Jo Johnson quits as director of UK firm with Adani ties, FT 2.2.2023
  • Ambani’s ambition to turn Reliance into internet titan wins backing, FT 18.5.2020
    (guter Übersichtsartikel über das Ambami Imperium)
  • India’s Reliance has ruthless Retail ambitions , FT 19.11.22
    (Das Einzelhandelsimperium)