Wochenbericht 4/23

Indisches House of Cards

Ein Bericht des Shortsellers Hindenburg birgt Sprengstoff für gutgläubige Kapitalanleger und das System Modi in Indien. Bislang hält sich der Schaden mit 52 Mrd. $ Verlust an Marktkapitalisierung in Grenzen. Gelingt es, die nun skeptischen Kapitalmärkte wieder einzufangen?

Stuttgart, 28. Januar 2023.

Die Jahresausblicke der Banken und Vermögensverwalter waren sich in zwei Punkten einig: (1) Das Aktienjahr 2023 ist für Investments in den Industrieländern inflationsbedingt kaum zu prognostizieren.(2) Schwellenländer bieten sich als Investitionsziele geradezu an.

Das Institute of International Finance berichtet, dass im Januar jeden Tag 1,1 Mrd. $ in EM-Fonds geflossen sind. 2022 waren die Produkte Ladenhüter, in der Summe floss sogar Kapital aus Anlagen in Schwellenländern ab.

Besonders optimistisch waren die Analysten bezüglich Indien. Kunden wurde nahegelegt, breitgestreute Fonds mit langfristigem Anlagehorizont ins Depot zu nehmen. Ein Blick auf den Chart des Sensex zeigt, warum:

Abbildung 1: Preisentwicklung des indischen Leitindex Sensex

Der Wochenbericht Indian Summer schlug in die gleiche Kerbe: »Die indische Wachstumsstory ist vor dem Hintergrund des Blockfreien-Status des Landes angesichts des Ukraine-Kriegs vollkommen intakt,« konstatierte Hieronymus im September 2022. Bei einer Wachstumserwartung von 6 Prozent für 2023 ist ein Investment doch ein Selbstläufer. Was kann da schief gehen?

Der Anlass für das Kapitel über Indien war der spektakuläre Wertverfall des Solarenergie-Pioniers Azure. Azure gelang es scheinbar spielend, preiswertes Fremdkapital zur Projektfinanzierung einzuwerben. Die Kenndaten waren Top, kanadische Pensionskassen Ankerinvestoren. Trotzdem sind die Aktien nach der Aufdeckung bilanzieller Unregelmäßigkeiten um 90 Prozent preiswerter geworden. Nun könnte sich das Spiel auf der Hauptbühne wiederholen.

Adani im Visier von Hindenburg

Am Mittwoch landete ein Mail von Hindenburg Research im Postfach. Der Shortseller hat üblicherweise wenig bekannte Unternehmen im Fokus, die er mit kaum überprüfbaren Anschuldigungen überzieht. Das Ziel ist einfach: Man informiert die Öffentlichkeit über vermeintliche Missstände und triggert so einen Preisrutsch. Der Short-Seller verdient an dem preiswerten Rückkauf von vorher teuer leerverkauften Aktien.
Das Mail vom Mittwoch war aber von einem anderen Kaliber

Von: Hindenburg Research <info@hindenburgresearch.com>
An: hieronymus@hieron-y-mus.de                       25.1.2023, 03:45
Betreff: Adani Group: How The World’s 3rd Richest Man 
         Is Pulling The Largest Con In Corporate History

Es folgt eine lange Liste an »Beweisen« für eine seit Jahren betriebene Preismanipulation mit Überkreuzbeteiligungen börsengelisteter Unternehmen der Adani Group, geschönte Bilanzen und nicht vorhandene Kreditsicherheiten. Das hat für den indischen Kapitalmarkt eine ähnliche Tragweite wie der Enron-Skandal 2001 in den USA. Die Adani-Group ist das dritt größte Unternehmen Indiens. Von einem Zusammenbruch des Firmenimperiums wären vermutlich einige Millionen Menschen betroffen.

Tatsächlich steht nicht nur Adani auf dem Prüfstand. Das Firmenimperium ist ein prominentes Aushängeschild des Kapitalismus Modi’scher Prägung. Wie in Russland stützt eine Oligarchenklicke das national-religiöse System der BJP. Die Protagonisten unterscheiden sich kaum von ihren Kollegen aus dem Dunstkreis von Putin: (Ambani, Adani, Sunil Mittal (Airtel), Anil Agarwal (Vedanta), die Hindujas, und Sudhir Mehta (Torrent Group), um die Wichtigsten zu nennen. Die zugehörigen Unternehmen sind Corporate India!

Eines unterscheidet Indien von Russland: Dort ist die Ausplünderung natürlicher Ressourcen die Quelle der Erträge. Indische Oligarchen müssen den internationalen Finanzmarkt anzapfen. Indischer Reichtum gründet sich in der exzessiven Verschuldung und der Abwälzung der Risiken an den internationalen Kapitalmarkt.

Der jüngste Coup der Adani’s legt hierfür Zeugnis ab:
Zeitgleich zur Veröffentlichung des Hindenburg-Berichts betrieb Adani eine Kapitalerhöhung (2,5 Mrd. $) für die börsengelistete Adani Enterprises. Institutionelle Anleger hatten ihre Tranchen gerade erhalten. Gemäß der FT sind Jupiter Asset Management, BNP Paribas, Société Générale und Goldman Sachs die Abnehmer. Sie müssen bereits am Tag eins ihres Investments einen 16-prozentigen Abschlag hinnehmen.

Die Tatsache, dass zwei französische Großbanken die Expansion des Adani-Imperiums exklusiv finanzieren, zeigt schlaglichtartig, wie wenig interessant der europäische Kapitalmarkt trotz des verbesserten Zinsniveaus immer noch ist. Ein Investment in einer extrem bewerteten indischen Aktiengesellschaft wird im Zweifel der Finanzierung der Energiewende in Europa vorgezogen, so ist zumindest der Augenschein. Jede Art der Umgehung der Sanktionen gegenüber Russland zum Zwecke der Profitmaximierung ist erlaubt, solange sie nicht ausdrücklich untersagt ist, könnte man die Vorgänge zugespitzt zusammenfassen.

Adani will trotz der Short-Seller-Attacke an der Platzierung neuer Aktien für Privatanleger am Montag und Dienstag festhalten. Das wird ein Lehrstück zur Loyalität indischer Spekulanten, zu ihrer Regierung und den korrupten bzw. kriminellen Seilschaften.

Weitere Details und Links zu weiteren Sekundärquellen zum Adani-Skandal bietet das aktuelle Chartbook von Adam Toozi.

Fazit. Unabhängig von der Validität der erhobenen Vorwürfe und der Nachhaltigkeit der losgetretenen Preisentwicklung: Der von Hindenburg aufgedeckte Skandal öffnet die Augen für die Ethik von Investments. Indien stellt sich als großer Gewinner des neu entflammten Ost-West-Konflikts dar. Nun wird aber überdeutlich, dass das »System Modi« sehr viele Analogien zum »System Putin« trägt. Es handelt sich um Manchester-Kapitalismus in Reinstform – finanziert vom internationalen Kapitalmarkt. Auch ein Retailinvestor muss sich der Tatsache stellen, dass er durch seine dort angelegten Ersparnisse diese Strukturen stützt und aktuell zusätzlich die Anstrengungen des Westens konterkariert, die imperialen Ambitionen Russlands zu ersticken.

Gelddruckmachine Japan

Parallel zur Aufwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar erholt sich auch der Yen von der Schwäche des Jahres 2022.

Abbildung 2: Entwicklung des Währungspaares USD/JPY

Die Aufwertung des Euro wird üblicherweise mit der veränderten Geldpolitik der EZB begründet. Die Zinsperspektiven in Europa gleichen sich perspektivisch denen in den USA an, das reduziert den Staubsaugereffekt der USA.

Bei Japan zieht dieses Argument nicht. Die japanische Notenbank, BoJ, hält eisern an ihrer Nullzinspolitik fest. Die Aufwertung muss andere Gründe haben.

Abbildung 3: Assetkäufe durch die Notenbanken seit 2008 ,Quelle: Tevor Noren/Twitter

Die obige Graphik liefert eine Erklärung. Weitgehend unbeobachtet hat die BoJ ihre Assetkäufe seit Oktober massiv ausgeweitet. Mehr noch: Die Intensität der Anleihenaufkäufe ist beispiellos. Sie wird nur von den Interventionen der FED im März 2020 übertroffen.

Japan stellt derzeit die Liquidität für den Kapitalmarkt bereit. Die Aufwertung des Yen ist ein Gradmesser für die globale Nutzung dieser Mittel.

Die Graphik zeigt auch, dass die FED ihre Bilanz, wie zuletzt 2018 und 2019, kontinuierlich verkürzt, dem Markt also Liquidität entzieht. Die EZB hat für 2023 Gleiches angekündigt. Die Welt hängt also mehr denn je am Tropf der BoJ.

Der Vorsitz der BoJ wird im März 2023 turnusgemäß neu besetzt. Ob der neue Vorstand die bisherige Geldpolitik fortsetzen wird oder ob die Neubesetzung auch in Japan die Zinswende einleiten wird, ist Gegenstand der Spekulation. Fakt ist: Der Wechsel an der Spitze der BoJ hat globale Implikationen. Es erscheint aus heutiger Perspektive ausgeschlossen, dass die BoJ ihre expansive Geldpolitik unverändert fortsetzt. Deshalb ist spätestens im März eine Zäsur bei der Preisentwicklung spekulativer Assets zu erwarten.

Pulver verschossen?

Seit dem Jahreswechsel ist der europäische Leitindex EuroStoxx um 10 Prozent teurer geworden. Die US-Werte im S&P 500 sind zeitgleich um durchschnittlich sechs Prozent gestiegen.

Damit haben Aktienindizes in den ersten 25 Handelstagen des Jahres bereits die durchschnittliche Jahresrendite »erwirtschaftet«. Kann es so weiter gehen?

Abbildung 4: Preisentwicklung des Eurostoxx50 und des S&P 500 seit dem Jahreswechsel

Ein Blick in die Vergangenheit senkt konsequent den Daumen. Im Jahr 2011 beispielsweise stiegen die Marktpreise im Januar in Europa um neun Prozent. Im Februar kletterte der Markt nochmals 50 Punkte. Dann begann die Staatsschuldenkrise. Bis zum Jahresende sank der Index um 600 Punkte.

Abbildung 5: Durchschnittliche Jahres-Performance des S&P 500 in Jahren mit einem vergleichbar positiven Jahresauftakt, Quelle: Sentix

Ganz so schlimm muss es nicht kommen. Die Analysten von Sentix haben sich die weiteren Jahresverläufe in Aktienjahren mit starker Januarperformance angeschaut. In der Abb. 5 ist die aktuelle Performance nebst dem Durchschnittspreisverlauf zum Stichtag 20. Januar eingezeichnet. Danach steht uns bestenfalls eine ermüdende Seitwärtsphase bevor.

Interessant ist auch, dass erfolgreiche Fondsmanager mit großen Mandaten trotz der beeindruckenden Kursentwicklung seit Oktober ihre strategische Sichtweise nicht verändert haben. So betonte Nicolai Tangen, verantwortlich für den norwegischen Staatsfonds (1,3 Billionen $ AUM), dass sich der Fonds auf eine längere Periode mit unterdurchschnittlichen Kapitalmarktrenditen eingestellt hat. Als wesentliche Ursache nennt er negative Folgen der hektischen Zinsanhebungen in den USA. Ins gleiche Horn bläst Karen Karniol-Tambour, verantwortlich für den Bridgewater Pure-Alpha-Hedge-Fund. Sie erwartet wegen der Ignoranz der Marktteilnehmer für die Folgen der Geldpolitik der FED wieder sinkende Assetpreise. Kritiker werfen an dieser Stelle ein: Klar, sie hat die Rallye seit Oktober verpasst und will nun ihren Kopf retten. Leider gehört Pure Alpha zu den erfolgreichsten Hedge-Funds überhaupt. Kaum vorstellbar, dass der Investmentprozess bei Bridgewater in der Einschätzung der Konsequenzen des aktuellen inflationären Marktumfelds kolossal daneben liegt.

Die FT gibt ihren Lesern den Rat, die Argumente der Vertreter des Smart Moneys ernst zu nehmen und nicht allzusehr auf die lauten Stimmen der Sell-Side-Fraktion zu hören. Dem schließt sich Hieronymus an. In der EuroStoxx-Strategie ist die Positionierung systembedingt moderat short. Dies könnte im Februar zu ähnlich positiven Ergebnissen führen, wie im ersten Monat dieses Jahres. Sollte sich die Vergangenheit wiederholen, wäre dieser Handelsansatz 2023 der Heilige Gral.

Marktplatz für Handelsstrategien

Die erste Handelsstrategie geht zum Monatswechsel in den regulären Testbetrieb. In der ESTX-Trading-Strategie werden systematisch Optionspaare auf dem EuroStoxx50 veräußert. Positionierung und Performance werden wöchentlich auf der Seite https://estx.hieron-y-mus.de aktualisiert. Im Februar werden zwei weitere Handelsstrategien online gestellt und diese Seite ein wenig umgebaut. Dann werden die Strategieschaufenster direkt von hier aus erreichbar sein. Die Handelssignale werden über einen twitter-ähnlichen Service an Handelsrechner verteilt. Aus regulatorischen Gründen ist aktuell nur eine Weiterleitung an einen Papertrade-Account bei Interactive Brokers möglich. Sobald der Service in den Regelbetrieb übergeht, kann auch ein normaler Account angeschlossen werden. Im Testbetrieb prüfen wir die Funktionalität auf Herz und Nieren und machen den Service rechtssicher. Wer mag, ist herzlichst eingeladen, einen Handelsrechner einzurichten und ein neues Kapitel in der Geldanlage aufzuschlagen.

Ressourcen

  • Investors pour money into emerging markets at near-record rate, FT 26.1.2023
  • Emerging market governments raise $40bn in January borrowing binge , FT 13.1.2023
  • Adani sell-off hits $52bn after short seller targets group Hindenburg Research report into Indian conglomerate comes as billionaire starts a $2.4bn share sal, FT 27.1.2023
  • The Long View – Smart money is still wary of the equity rally, FT 27.1.2023