Wochenbericht 1/23

Neues Jahr …

Zum orthodoxen Weihnachtsfest wird die Sackgasse der Invasion Russlands in die Ukraine offensichtlich. Die Finanzmärkte preisen bereits den Abzug Russlands ein. Risiken wachsen in Asien.

Stuttgart, 7. Januar 2023.

Unter den Blinden

Zum Wochenschluss markierte der europäische Leitindex EuroStoxx-50 ein neues Verlaufshoch im Aufwärtstrend seit Oktober. Das ist insbesondere im Vergleich zu den Preisentwicklungen in den USA und Japan bemerkenswert.

Abbildung 1: Preisverlauf der Aktienindizes aus Europa (EU50 = EuroStoxx50, US500 = S&P 500, JP225 = Nikkei)

Noch im Sommer 2022 waren Aktientitel aus Europa klare Underperformer. Nun trägt der japanische Aktienmarkt die rote Laterne. Der Blick auf die Preisverläufe regt zu mannigfaltigen Spekulationen an:

  • Könnte es sein, dass US-Aktien für eine Weile keine Outperformer mehr sein werden?
  • Spiegeln die niedrigen Preise in Japan schlicht das aktuelle geopolitische Chance-Risiko-Profil mit Taiwan als Epizentrum der nächsten erwarteten Eskalation?
  • Ist die endlich eingeleitete industrielle grüne Transformation in Europa Triebkraft der Preisentwicklung?
  • Treibt etwa die Perspektive eines raschen Sieges der Ukraine bereits jetzt die Aktienpreise?

Vielleicht ist es einfach ein überfälliger Regimewechsel.
Die folgende Graphik stammt von Morgan Stanley. Sie ist für die Vertriebsmitarbeiter bestimmt und zeigt, wie sich die Outperformance bestimmter Regionen abwechseln.

Abbildung 2: Wechselspiel der Outperformance von Aktien in den USA gegenüber dem Rest der Welti (EAFE = Europa, Australien, Ferner Osten) seit 1971

Rückblickend waren US-Aktien seit der Finanzkrise »alternativlos«. Wie bereits während der Dot.Com-Blase verstärkte sich die Outperformance zum Ende des Zyklus. Ebenfalls wie damals wurde auch das bisherige Top der jüngsten Spekulationsorgie von massiven Übernahmeaktivitäten begleitet. Und — um den Dreiklang zu vervollständigen — wie damals sind die europäischen Aktienmärkte Schmuddelkinder in den Augen der (Privat-)Investoren.

Abbildung 3: Zu und Abflüsse aus Fonds mit Anlageschwerpunkt in den USA und Europa, Quelle: Bank of America

Eine nette Koinzidenz: Die letzte Phase der Outperformance von Märkten außerhalb der USA ist mit dem Siegeszug der BRIC-Staaten verknüpft. Zentrale Figur damals: der heutige brasilianische Präsident Lula. Die Outperformance ist den gestiegene Rohstoffpreise nebst dem damit verbundenen Kapitaltransfer in die BRIC-Staaten zuzuschreiben.

Fazit: Egal wie schnell die Ukraine Russland aus den besetzten Gebieten vertreiben kann, wie konsequent grüne Technologien in Europa gefördert werden oder wie sehr sich die Geopolitik auf Asien konzentriert. Wie man es auch dreht und wendet: Es gibt schlicht keine Phantasie für eine nachhaltige Outperformance Europas. Europa ist der Einäugige unter Blinden. Falls die USA als Preislokomotive pausieren, sind es wohl wieder die BRIC-Staaten, die den Trend treiben, diesmal höchstwahrscheinlich Indien.

Volatilität spricht für Normalität

Abbildung 4: VStoxx – Implizite Volatilität in Europa (2 Jahre)

Zum Jahresbeginn ist die Volatilität erstmals seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine unter 20 Prozent gesunken. Die Marktteilnehmer legen damit eine ungestüme Sorglosigkeit an den Tag. Absicherungen gegen Preissenkungen sind preiswert, wie seit einem Jahr nicht mehr. Allein die gesunkenen Risikoprämien »erklären« den Preisanstieg um 10 Prozent seit Oktober.

Diese Auswertung hat einen Schönheitsfehler: Auch in den USA ist die Volatilität zurückgekommen. Im Oktober betrug sie ebenfalls 33 Prozent. Aktuell notiert der VIX bei 21 Prozent, 2,5 Prozentpunkte höher als der VStoxx. Verkehrte Welt: In den USA ist der Abwärtstrend im Aktienmarkt trotz anhaltender Mittelzuflüsse vollkommen intakt

Abbildung 5: Preisentwicklung des S&P500 ETF (2 Jahre)

während der Trend in Europa konsequent abverkauft wird.

In einem Abwärtstrend ist der Rückgang der Volatilität im Zuge einer Bearmarketrallye eine Aufforderung für den Aufbau neuer Short-Positionen. Dass hat rückblickend 2022 hervorragend geklappt. Der Trendbruch in Europa dürfte den Appetit auf spekulative Shortpositionen dämpfen. Da sich Investoren den Preistrends sowohl in Europa als auch in den USA konsequent verweigern, könnte die transatlantische Divergenz noch eine Weile fortbestehen.

Turnaroundspekulationen

Einiges deutet auf eine Normalisierung an den Kapitalmärkten hin. 2022 sind die Bewertungen von zinssensitiven Unternehmen kräftig gesunken. Hier sind 2023 überproportionale Preiskorrekturen gerechtfertigt.

Vodafone

Abbildung 6: Preisentwicklung der Vodafone(2 Jahre, in Pence )

Dieser ehemalige Wachstumswert ist inzwischen ein lupenreiner Value-Titel. Auf dem aktuellen Kursniveau weist Vodafone eine Dividendenrendite von 8,9 % auf. Vodafone ist hoch verschuldet, es fehlt die Wachstumsperspektive. Zudem hat das Unternehmen ein eklatantes Führungsproblem. Allein zurückgehende Marktzinsen sollten den Aktienpreis über die 100 Pence Marke hieven.

Credit Suisse

In den nachrichtenarmen Tagen nach dem Jahreswechsel sorgte eine Übernahmespekulation für die britische Standard Chartered PLC duch die First Abu Dhabi Bank für Aufsehen. Obwohl die Meldung sofort dementiert wurde, stieg der Aktienpreis von 620 zum Jahreswechsel auf jetzt fast 700 Pence.

Abbildung 7: Preisentwicklung der Credit Suisse (2 Jahre, in $)

Die skandalgeschüttelte Credit Suisse ist bereits faktisch eine Bank des Nahen Ostens. Im Zuge einer Kapitalerhöhung erwarb die Saudi National Bank einen Anteil von 9,9 Prozent. Qatar Investment, der Staatsfonds hält weitere 3,5 Prozent. Der neue unternehmerische Wirkungskreis der Bank ist damit vorgezeichnet. Die Bank passt ideal in die korrupten Strukturen in den Zielländern und dürfte der beste Kandidat für einen Kapitaltransfer aus dem Nahen Osten in die Schweiz sein. Das geht (natürlich) mit steigenden Aktienpreisen einhergehen. Aktuell schüttet die Aktie eine Dividende von 5,4 Prozent aus.

Ressourcen

  • Why Standard Chartered remains a target despite its latest suitor walking away, FT 6.1.2023