Tatsächlich wiederholt sich jedoch das Muster aus dem Jahr 2009.
China hat die Corona-Krise extrem gut gemanagt und »hilft« den Haupthandelspartnern. Diesmal nicht mit lukrativen Aufträgen sondern mit essentiellen Gütern: Atemmasken, Schutzanzügen und vermutlich auch bald mit wirksamen Medikamenten. Die Welt muss dem Reich der Mitte also dankbar sein.
Auch 2020 fordert China im Gegenzug einen größeren Anteil am Weltstahlmarkt und schafft schonmal Fakten. Die chinesischen Stahlwerke haben ihre Produktion weder während des chinesischen LockDowns noch später heruntergefahren. Auch wenn es absehbar keine Abnehmer gab, ging die Produktion weiter.
Anders im Rest der Welt. Das Krisenmanagement war vielfach mangelhaft und unkoordiniert. Mangels absehbarer Nachfrage sind überall die Stahl-Hütten heruntergefahren worden. Die FT zitiert James Campbell, einen Berater. Danach stehen aktuell 25 Prozent der Stahlproduktion in Europa und den USA, 66% der in Indien und 20% der in Japan still. Nirgends will man mittelfristig auf Halde produzieren.
Chinesische Hochöfen produzierten im Mai 2020 die größte Menge an Stahl überhaupt, sagt Goldman Sachs. Dies wird durch die Preisentwicklung für Eisenerz und Kohle, den Rohstoffen der Stahlproduktion bestätigt.
Von Krise ist an den Metallmärkten keine Spur.
Nutznießer sind beispielsweise australische Eisenerzkonzerne, wie Rio-Tinto oder BHP, eigentlich extrem zyklische Werte, deren Marktpreise sich – auf Chinas Gnaden – aktuell auf den Vorjahresniveau bewegen.
Europa wird in den nächsten sechs Monaten unter deutscher Ratspräsidentschaft den Weg hin zu einer wasserstoffbasierten Stahlproduktion skizzieren. China schafft derweil Fakten und beliefert die Welt mit preiswerten (dreckigem) Industriestahl.
Diese Entwicklung schreit nach einer protektionistischen Antwort der Industriestaaten. Anders als 2008/9 profitiert die Exportindustrie der Industriestaaten 2020/21 nicht mehr von den chinesischen Konjunkturprogrammen. In Europa stehen rechtspopulistische Kräfte in den Startlöchern, die überwiegend wirtschaftsliberalen Regierungen mit diesem Thema vor sich her zu treiben.
Es würde Hieronymus überraschen, wenn dieses Thema im aktuellen US-Wahlkampf ausgelassen würde. Barak Obama startete unmittelbar nach seiner Amtsübernahme ein »Buy American«-Programm zur Ankurbelung der heimischen Industrie. Donald Trump denkt nicht daran, die eingeführten Stahlzölle zu senken. Protektionismus als billige Krisenantwort ist parteiübergreifender Konsens.
Nach 2009 gelang es den Industriestaaten gemeinsam an einer multilateralen Weltordnung festzuhalten. Aktuell – so scheint es – stehen die Zeichen eher auf eine Wiederholung der Krisenantwort 1929ff denn 2009ff, denn – China tritt immer Selbstbewußter auf:
Die Verabschiedung eines Sicherheitsgesetz für Hongkong durch den chinesischen Nationalkongress darf mit Fug und Recht als größte Zäsur für Hongkong seit dem Abzug der Briten 1997 gewertet werden. China verleibt sich die Stadt nun endgültig ein.
Das hat nicht nur Konsequenzen für die Bewohner. Auch Wirtschaftstreibende sind betroffen. Multinationale Unternehmen mit einem Tätigkeitsschwerpunkt in Hongkong werden aktuell aufgefordert, öffentlich Stellung zu beziehen.
Jardine Matheson preschte bereits wenige Tage nach Verabschiedung des Gesetzes vor und stellte sich in einer Erklärung hinter die chinesische Führung. Die britischen Banken Standard Chartered und HSBC folgten in der vergangenen Woche.
Hierfür hagelte es Kritik. Die Manager der britischen Großbanken betonen, dass sie vor der Wahl gestanden wären, sich aus China zurück zu ziehen oder die geforderte öffentliche Erklärung abzugeben.
Von deutschen Konzernen mit signifikantem China-Geschäft sind derartige Erklärungen zumindest nicht öffentlich abgegeben worden. Ob dies der deutschen Diplomatie geschuldet ist oder Zufall? Nach den USA geht nun auch Großbritannien auf Abstand zu China. Wie lange die bundesdeutsche Chinapolitik (Wandel durch Handel) noch fortgeführt wird, ist völlig öffen. Der deutsch-chinesische Handelsgipfel in Leipzig wurde kurzfristig abgesagt, offizielle Begründung: Pandemie. Es darf spekuliert werden.
Fehlsignale durch Hochgeschwindigkeitsindikatoren.
Traditionelle ökonomische Indikatoren sind entweder nachlaufend (die Daten werden zunächst gesammelt und dann per Stichtag ausgewertet) oder sie versuchen in die Zukunft zu schauen (Vorlaufindikatoren). Aktuell versagen beide Ansätze. Angesichts der Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung liefern sie erst in ein paar Wochen oder gar Monaten Informationen, die Finanzmarktteilnehmer bereits heute verlangen.
Hochgeschwindingkeitsindikatoren füllen die Lücke. Das Problem: Die Indikatoren sind neu, sie sind zahlreich und sie sind beliebig.
Die Daten werden aus den Weiten des digitalen Raums extrahiert. So werden Verkehrsströme analysiert, Staulängen gemessen, Kreditkartenzahlungen ausgewertet oder die Auslastung von Parkplätzen vor Einkaufszentren erhoben. Auch existieren aggregierte Indikatoren, wie der »Weekly Economic Indicator« der New York FED oder der »Bloomberg Consumer Comfort Index«. Beide zeichnen sich durch eine ausgesprochene Volatilität aus und lassen dem Nutzer viele Freiräume für Interpretationen.
Befragt man aktuell beispielsweise Einkaufsleiter, erhält man die Aussage: »Wir wissen nicht, wohin die Reise geht.« Analysiert man das Universum der Hochgeschwindigkeitsindikatoren, ändert sich die Aussage nicht unbedingt: Bloomberg befragt inzwischen auch regelmäßig Menschen, die nichts anderes tun, als diese Indikatoren auszuwerten. Ihre daraus abgeleitete Prognose des Wirtschaftswachstums für das 2. Quartal 2020 schwankt zwischen -5 und +65 Prozent.
Investition in insolvente Firmen.
Spätestens wenn ein Unternehmen Gläubigerschutz beantragt (in den USA: Chapter 11) ist der Erwartungswert für Eigenkapital Null. Wer dennoch Aktien eines solchen Unternehmens handelt, kann mit Fug und Recht als Spekulant bezeichnet werden.
In der abgelaufenen Woche hat der US-Retail-Online-Trader Robinhood für Schlagzeilen gesorgt. Über dessen Plattform wurden ungewöhnlich viele Aktien jüngst insolvent gewordener Firmen gehandelt. Der Handel von dieser Plattform bewirkte eine Verdopplung der Marktpreise von Whiting Petroleum, Chesapeake, Hertz und JC Penney.
Der Broker wirbt aggressiv mit kostenloser Kontoführung und provisionsfreiem Handel. Es wird spekuliert, dass viele US-Amerikaner die gewährten staatlichen Zuschüsse bei RobinHood eingezahlt haben und damit fleißig zocken. RobinHood hat offenbar die kritische Größe erreicht und kann mit begleitend angebotenen (kostenlosen) Börsenbriefen eine Armada von Spekulanten aktivieren, um Marktpreise zu beeinflussen.
Hertz:: Aktienemission!
Vor fast zwei Wochen beantragte der US-Autovermieter Gläubigerschutz gemäß Chap. 11. Das Unternehmen ist also Insolvent. Ausgegebene Anleihen tragen das Rating »D«, der Schuldner ist bereits in Zahlungsverzug, bei Anleihen wird die Stückzinsnotierung ausgesetzt.
Ist ein Unternehmen insolvent, dann steht ihm der Kapitalmarkt für die Refinanzierung nicht mehr zur Verfügung. Zuerst müssen die Finanzen geordnet werden und die Gläubiger überzeugt werden, von ihre vertraglich zugesicherten Rechten abzutreten.
Selbst im Falle einer erfolgreichen Restrukturierung können Gläubiger weder von der Wiederaufnahme der Zinszahlungen noch von einer vollständigen Rückzahlung der Anleihen ausgehen. Die Notierungen der Anleihen von Hertz sind von Notierungen über 100 % bis März auf 10 % im Mai gesunken.
So weit so gut.
Nicht ins Bild passt die aktuelle Notierung der Anleihen. Aktuell handelt eine im Dezember 2022 fällige Anleihe in Stuttgart knapp unter 40 Prozent. Spekulanten gehen also davon aus, dass das Unternehmen die Insolvenz rasch beendet.
Am Freitag beantragte das Interims-Management dann die Ausgabe neuer Aktien im Wert von 1 Mrd. $. Ein ungewöhnliches Manöver in ungewöhnlichen Zeiten. Wie kann eine insolvente Firma plötzlich seine Eigenkapitaldecke aufstocken?
Die Antwort lautet »RobinHood«, s.o. Die Aktienrallye der vergangenen Tage könnte ein Window of Opportunity für die dringend benötigte Liquiditätsspritze schaffen. Das Nachsehen haben Bestandsaktionäre, die auf Jahressicht einen Wertverlust von 97 Prozent verbuchen und nun zusätzlich eine Verwässerung ihrer Anteile hinnehmen müssen.
Ebensfalls nicht ausgemacht ist, ob mit dem gemeinsamen Manöver des Interim-Managements mit dem Retail-Broker ein nachhaltiges Turnaround gelingt oder ob nur ein spekulatives Strohfeuer entfacht wurde.
Beyond Meat auf Expansionskurs.
Die Corona-Pandemie hat die Schwächen der Fleischwirtschaft eindrucksvoll gezeigt. Große Profiteure sind Anbieter von Fleischersatzprodukten. Die Protagonisten dieser Bewegung sind Impossible Food und Beyond Meat. Letztere ist börsennotiert.
Das Unternehmen ist global tätig und expandiert nun aggressiv in Europa. Dazu ging man eine Partnerschaft mit Zandenbergen ein. Zanderbergen ist ein prominenter Vertreter der Fleischwirtschaft in den Niederlanden und Deutschland. Die Strategie ist einfach: Präsentiere die Fleischersatzprodukte vis a vis zu konventionellen Produkten, imitiere das Original beim Geschmack und orientiere dich an dessen Marktpreis.
Die Konkurrenz schläft allerdings nicht. Diese rekrutiert sich aus global handelnden Lebensmittelkonzernen, wie Danone, Unilever und Nestle. Dort versucht man das Marktsegment nicht nur als direkte Konkurrenz zu Fleisch, sondern als Ergänzung zu anderen vegetarischen Lebensmitteln zu erschließen. Die Lebensmittelkonzerne segeln im Windschatten der aggressiven (und teuren) Marketingkampagnen der US-Protagonisten.
Volatilität wieder über 40 Prozent.
Seit dem 17. Mai sind die Aktienpreise in Europa in der Spitze um 700 Punkte gestiegen. Die Volatilität blieb während dieser Zeit permanent oberhalb von 25 %. In »normalen Marktphasen« signalisiert eine Volatilität von 25 % den Zenit einer Marktkorrektur.
In den letzten Tagen sind die Aktiennotierungen wieder zurück gekommen. Sehr prägnant ist der erneute Anstieg der Volatilität über 40 Prozent. Die Marktteilnehmer haben der Rallye nicht über den Weg getraut und entwickeln aktuell geradezu eine Risikoaversion.
Bleiben neue Hiobsbotschaften aus, schützt die bereits sehr hohe Volatilität vor weiteren Preisrückgängen. Dies ist einer hohen Risikowahrnehmung zuzuschreiben. Die Marktpreise könnten sich deshalb im Vorfeld des großen Verfalltags für Derivate am kommenden Freitag bereits im Bereich von 3.000 Punkten stabilisieren.