Im Wochenverlauf hatten die Aktienmärkte die Abgaben der Vorwoche auskorrigiert, die Volatilität kam ein wenig zurück. Die Rede des FED-Vorsitzenden fiel in die Handelszeit der europäischen Börsen. Diese reagierten mit deutlichen Preissenkungen.
Charttechnisch hat der Sommerhandel eine interessante Konstellation hervorgebracht:
Die Mehrzahl der aktiven Marktteilnehmer ist derzeit baerisch bis sehr baerisch eingestellt. Zu präsent ist der Preisverlauf der Aktienmärkte im Jahr 2008:
Damals kollabierte Bear Stearns im März. Die Notierungen pendelten über die Sommermonate seitwärts, bis am 15. September dann der Lehman-Schock die Märkte final auf Talfahrt schickte. Zugegeben: Heute bergen die absurden Gaspreisnotierungen (Gas ist in Europa um eine Zehnerpotenz teurer als in den USA) die Gefahr einer kaum vorhersagbaren Schieflage eines systemrelevanten Unternehmens aus dem Energiekomplex. Andererseits: Es ist ein Widerspruch in sich, dass der Mainstream einen starken Preiseinbruch zuverlässig prognostiziert. Allein die Tatsache, dass viele Marktteilnehmer eine Analogie zu 2008 antizipieren, ist der beste Schutz vor einer Wiederholung. Zur Einordnung: Wir sprechen über einen Preiseinbruch von 30 Prozent, also einer Notierung von 2.600 im Eurostoxx. Das würden sehr viele gern zum Aufbau strategischer Positionen nutzen.
Im Ergebnis hat sich im Wochenverlauf die Wahrscheinlichkeit der Ausbildung eines neuen Jahrestiefs bis September erhöht. Es macht auch Sinn, auf weitere Preissenkungen vorbereitet zu sein. Eine echte Überraschung wären jedoch steigende Notierungen, für die Begründungen irgendwann nachgeliefert werden. Hierauf ist das Risikomanagement der wenigsten vorbereitet. Dort liegt aktuell das größte Preispotenzial, wenngleich mit einer überschaubaren Eintrittswahrscheinlichkeit.
Zwei Kreditkartenunternehmen beherrschen den Markt: Visa und Mastercard. Beide verdienen glänzend, beide sind global tätig. Beide sind vereint in der Abwehr missliebiger Konkurrenten. Wie lange können sie die Entwicklung aufhalten?
Der Trend zur bargeldlosen Gesellschaft in dynamisch und nachhaltig. Große Profiteure sind Zahlungsabwickler, insbesondere Debit- und Kreditkartenanbieter. In Europa haben sich Debitkarten durchgesetzt, in Asien teilen sich die US-Kreditkartenanbieter und Onlinepaymentdieste wie WeChat und Alipay den Markt. Die USA ist das Stammland von Visa und Mastercard. Ihr Marktanteil dort: 75 %. Dieser Markt ist gigantisch; allein die Transaktionsgebühren summieren sich auf 138 Milliarden US-Dollar pro Jahr.
Die Hauptursache für die monopolartigen Erträge: Die Fees sind eine Zehnerpotenz höher als im Rest der Welt. In der EU sind die Transaktionskosten auf 0,3 % des Umsatzes gedeckelt, in Asien verlangen Alipay und WeChat nur 0,1 %. In den USA erwirtschaften die Kreditkartenunternehmen 2 – 3,5 % des Umsatzes, je nach Art der Kreditkarte. Nach den Lohnkosten sind die Kosten für den Zahlungsverkehr häufig die größten Kostenposten von Einzelhändlern. Wie es sich für Oligopolisten gehört, erwirtschaften Visa und Mastercard exklusive, dem Drogenhandel vergleichbare Profitmargen: 51 bzw. 46 Prozent.
Am 28 Juli brachten Richard Durbin (Demokraten) und Roger Marshal (Republikaner), zwei einflussreiche Senatoren, den Credit Card Competition Act (CCC) in die politische Debatte ein. Bis auf den erwartbaren Gegenwind durch Lobbyisten findet diese Initiative parteiübergreifend Befürworter. Der CCC hat ein beträchtliches disruptives Potenzial.
Es ist keine Zerschlagung oder sonstige Regulation der Kreditkartenunternehmen vorgesehen. Stattdessen wird den Händlern angeboten, selbst zu entscheiden, über welchen Dienstleister eine Zahlung verbucht werden soll. Jeder Händler soll bei jeder Transaktion wählen dürfen, ob er die Zahlung über die Oligopolisten laufen lässt oder ob ein Nischenanbieter den Zuschlag erhält. Neben den Oligopolisten soll jeder Händler mindestens einen kleineren Konkurrenten auswählen können. Die Senatoren sind zuversichtlich, dass sich sehr rasch eine heterogene Zahlungsabwicklungsinfrastruktur bildet, die deutlich effizienter und kostengünstiger arbeitet als das aktuelle System.
Mit der Verabschiedung des CCC drohen den Oligopolisten empfindliche Ertragseinbußen. Wenn es darum geht, einen Gebührenkuchen im Umfang von 138 Mrd. $ neuzuverteilen, dürfte der US-Kapitalismus seine Stärken ausspielen.
Die Konkurrenten laufen sich bereits warm. Sie heißen Klara (Buy now, pay later), Stripe, Plaid und Catch. Versuchen der Oligopolisten, die Firmen aufzukaufen, hat das Kartellamt eine Absage erteilt.
Die Aktienpreise von Visa und Mastercard treten auf der Stelle. Kein Wunder. Noch sprudeln die Erträge und die Unternehmen leisten sich eine konservative Dividendenpolitik (Visa: Payout-Ratio: 21%, Dividendenrendite: 0,7 %). Selbst im Worst-Case ist zumindest die Dividende sicher. Der Aktienpreis hat sich in den letzten 12 Monaten allerdings um 10 $ verringert; es wird eine Dividende über 1,5 $ im Jahr ausgeschüttet.
Bei den Kreditkarten-Oligopolisten bietet sich eine inverse Stillhalterposition an, also der Verkauf von Call-Optionen, ohne die Aktie selbst zu halten.
Im Juni entzog der Supreme Court, das höchste Gericht der USA, schwangeren Frauen in den USA das Selbstbestimmungsrecht. Seitdem können alte Männer befinden, dass schwangere Frauen in einzelnen Bundesstaaten kein Recht auf Abtreibung haben, auch wenn dies ihr eigenes Leben kosten würde.
Unmittelbar nach der Verkündung des Urteils begann das Comeback der Demokraten im bereits verloren geglaubten US-Midterm-Wahlkampf.
The court’s decision was followed almost immediately by an uptick in the polls for the national Democratic party and a surge of funding for its candidates. (FT)
Seither berichten Demokraten stolz über stark gestiegene Wahlkampfspenden und die Zustimmungsraten für den altersschwachen Präsidenten steigen wieder. Abtreibung war zentrales Wahlkampfthema bei den Nachwahlen in New York, die der demokratische Kandidat in der vergangenen Woche klar für sich entscheiden konnte.
Es melden sich die ersten Wahlforscher zu Wort, die aus Wählerbefragungen eine gute Chance herauslesen, dass der US-Senat in demokratischen Händen bleibt. Damit wäre die Biden-Administration auch 2023 handlungsfähig.
Diese Entwicklungen überraschen und nähren die Hoffnung auf eine größere Widerstandsfähigkeit der US-Demokratie gegen Widersacher von rechts. Sollte die Zwischenwahl das aktuelle Kräfteverhältnis nur marginal verändern, könnte die Biden-Administration neben der Regulierung des Kreditkarten-Markts auch die Geschäftsmodelle der großen Digitalkonzerne hinterfragen und die Marktkräfte in diesem Bereich erneut entfesseln. Der US-Aktienmarkt kann hiervon nur profitieren.