Seit der Ankündigung des finalen Migrationszeitpunkts ist der Preis für Ethereum um 60 Prozent gestiegen (gegenüber 20 % für Bitcoin). Die im letzten Wochenbericht vermutete Bodenbildung im Kryptospace nimmt mehr und mehr Konturen an.
Die massiv verbesserte Effizienz dürfte angesichts nachhaltig hoher Energiekosten die Outperformance von Ethereum gegenüber Bitcoin fortschreiben, die vor etwa einem Jahr begann.
Diese grundlegende Entwicklung beeinflusst die Perspektiven des gesamten Marktsegments. Insgesamt verbessert sich das Sentiment im Kryptospace. Die Marktpreise haben sich maßgeblich von ihren Tiefs erholt. Zudem steigt das Medienecho. So bietet selbst die altehrwürdige Financial Times nun einen Digital Hub inklusive wöchentlichem Newsletter an. Erstmals wird dieses Marktsegment insgesamt kontinuierlich journalistisch mit höchsten Qualitätsstandards abgedeckt.
Die jüngste Preisentwicklung im Kryptospace ist genauso wie die Korrektur selbst eingebettet in übergeordnete Kapitalmarktentwicklungen. Die eigentliche Ursache war die Erkenntnis der Marktteilnehmer, dass die aufgerufenen Preise unvereinbar waren, mit einem Marktumfeld mit deutlich weniger Liquidität. Weniger Liquidität bedeutet schließlich: Die vorhandenen Assets konkurrieren um weniger Mittel, nur solche mit nachvollziehbaren Perspektiven werden von Anlegern mit Investments bedacht.
Die Preisentwicklung im Kryptospace kann inzwischen als Blaupause für traditionelle Finanzmärkte dienen. Deren Preise wurden in der Vergangenheit durch Geld- und Fiskalpolitik im Sinne von Keynes moderiert. Beide Moderationsinstrumente erfahren gerade einen massiven Wirkungsverlust. Die Notenbanken sind in einen Notfallmodus übergegangen und entziehen den Kapitalmärkten zur Inflationsbekämpfung massiv Liquidität. Der Fiskalpolitik gehen angesichts massiv steigender Zinslasten der Haushalte die Mittel zur Stützung der Konjunktur aus.
Angesichts dieser Entwicklungen stellt sich analytisch die Frage, ob es auch in den traditionellen Assetklassen bahnbrechender positiver Entwicklungen bedarf, um einen nachhaltigen Preisboden auszubilden. Zwar haben sich die Marktpreise dort auch von ihren Tiefs erholt. Eine klare Verbindung zu einer strukturellen Veränderung des Marktumfelds fehlt aber.
Die Zinsstrukturkurve in den USA ist inzwischen über den gesamten Bereich zwischen einem und dreißig Jahren Restlaufzeit invertiert (mit einem Ausreisser).
Restlaufzeit | 0,25 | 0,5 | 1 | 2 | 3 | 5 | 7 | 10 | 20 | 30 | Jahre |
Rendite | 2,45 | 2,93 | 3,02 | 2,99 | 2,95 | 2,87 | 2,86 | 2,78 | 3,24 | 3,00 | Prozent |
Die Anleihemärkte senden SOS! Die Zinssätze von Anleihen mit einem Jahr Laufzeit entsprechen denen von Anleihen mit 30 Jahren Laufzeit.
Das bedeutet:
Daraus folgt: Der eingepreiste Inflationsrückgang geht höchstwahrscheinlich auf das Konto rezessiver Entwicklungen.
Die Einkaufsabteilungen in den Unternehmen kennen den zukünftigen Bedarf an Waren und Dienstleistungen aus erster Hand. Seit März sinkt die (zukünftige) Nachfrage der Unternehmen.
In der jüngsten Erhebung von S & P sind die Einkaufsmanagerindizes sowohl in Europa als auch in den USA in den Kontraktionsbereich eingedrungen. In den USA erstmals seit Februar 2020, in Europa erstmals seit Herbst 2021. Der Abschwung ist insbesondere in den USA markant. Dort droht sich die Übertreibung aus dem Frühsommer 2021 (Coronahilfspakete nach dem Regierungswechsel) umzukehren.
Im Unterschied zu 2020 und 2021 (Europa) ist weder kurz- noch mittelfristig mit Stimuliemaßnahmen der Notenbanken oder der Fiskalpolitik zu rechnen.
Im Gegenteil. Die EZB hat am Donnerstag mit dem ersten Zinsschritt nach elf Jahren eine geldpolitische Zeitenwende eingeleitet. Ausgehend von Deutschland breitet sich zudem eine neue Austeritätswelle ihren Weg. In den USA lähmt das innenpolitische Patt die Legislative.
Erstmals in diesem Jahrtausend sind die Aktien- und Anleihemärkte auf sich allein gestellt. Selbst im Falle starker Preiseinbrüche sind keine stützenden Kräfte in Sicht.
Damit gleicht die Situation an den etablierten Kapitalmärkten der im Kryptospace. Dort sind Preisveränderungen von 10 Prozent am Tag keine Seltenheit, genauso wie Preishalbierungen und -verdopplungen auf Monatssicht.
Vor zwei Wochen war Hieronymus zuversichtlich, dass die Marktpreise für europäische (und US-amerikanische) Dividendentitel einen Boden ausbilden würden. Tatsächlich erholten sich die Aktiennotierungen signifikant.
Der negative Nachrichtenstrom reißt nicht ab. Es ist unwahrscheinlich, dass die Notierungen im Sommerhandel einen neuen Trend ausbilden. Bestenfalls verharren die Notierungen innerhalb der Handelsspanne der vergangenen drei Monate. Damit wäre charttechnisch noch »Luft nach oben«. Mangels tragfähigen Begründungen für stabile Marktpreise ist höchst zweifelhaft, ob das Preispotenzial des Kaufsignals ausgeschöpft wird.
Andererseits sind auch die Chancen auf neue Markttiefs begrenzt. Das geht aus der monatlichen Befragung von Fondsmanagern durch die Bank of America hervor. Die Juli-Befragung ergab eine historisch niedrige Aktienquote und warf die Frage auf, ob die Entwicklung des Herbstes 2008 nachvollzogen werden muss. Leider gibt es hierauf keine abschließende Antwort.
Die Unterinvestierung bei Aktien korreliert mit einer deutlichen Risikoaversion der Fondsmanager. Die Bereitschaft, in der Hoffnung auf (positive) Preisveränderungen spekulative Engagements einzugehen, ist so gering wie unmittelbar nach dem Kollaps von Lehman-Brothers.
Als weiteres Indiz für die Überverkauftheit des Aktienmarkts (und Indikation für eine Bodenbildung über die Sommermonate) führt die Bank of America die Ertragserwartungen professioneller Investoren an. Angesichts hoher Inflation, hoher und möglicherweise weiter steigender Energiepreise, eines ungewissen Winterverlaufs in Europa, fehlender fiskalpolitischer Unterstützung und einer zunehmend restriktiven Geldpolitik trauen die Fondsmanager den Aktiengesellschaften kaum positive Geschäftsentwicklungen zu.
Die Antworten der Umfrageteilnehmer spiegeln die aktuelle Assetallokation und die Bereitschaft/Notwendigkeit für Portfolioumbauten wider. Vor den Sommer haben die Fondsmanager ihre Depots konsequent bereinigt. Auf dem aktuellen Preisniveau besteht kein Anlass für Änderungen. An der Preisunterseite besteht keine Notwenigkeit weiterer Anpassungen der Assetallocation.
Sollten die Marktpreise kurzfristig wieder sinken, lösen Preissenkungen keine Verkaufslavinen aus. Spekulanten, die auf dem aktuellen Preisniveau Shortpositionen aufbauen, sind mit einem unattraktiven Chance-Risikoprofil konfrontiert.
Für einen Ausbruch aus der gegenwärtigen Tradingrange zur Preisunterseite bedarf es eines Schlüsselereignisses in Gestalt des Lehman-Kollapses (z.B. Einmarsch Chinas in Taiwan oder die Kapitulation der Ukraine). Auf der Preisoberseite sind keine spektakulären Preisschübe zu erwarten. Selbst Schlüsselereignisse (z.B. globale koordinierte Maßnahmen zur Stützung der Kapitalmärkte) wirken nur mittelfristig.
Im Mai nahmen die Finanzmärkte den Zahlungsausfall Sri Lankas achselzuckend zur Kenntnis. Auch die folgenden Unruhen hatten keine preisbestimmenden Implikationen. Den größten Schaden nahm China. Sri Lanka wurde im Rahmen der Belt and Road-Initiative großzügig unterstützt. Das offene Kreditvolumen beträgt fünf Milliarden Dollar. Damit wurden See- und Flughäfen, Eisenbahnlinien, Straßen, Sportstadien, Einkaufs- und Kongresszentren usw. finanziert. In der Mehrzahl handelt es sich um Leuchtturm- und Prestigeprojekte, deren ökonomischer Sinn fraglich ist. China muss die Kredite nun umschulden oder abschreiben.
Jetzt wiederholt sich das Spiel beim ungleich größeren Pakistan. China ist größter ausländischer Gläubiger und wichtigster Handelspartner. Pakistan als Mittelmacht mit Atomwaffen und direkter Grenze zu Indien ist auch geostrategisch für China wichtig. Ein Staatsbankrott bedeutet Instabilität und öffnet die Tore für Kreditprogramme des IMF und der Weltbank.
Das wäre ein herber Rückschlag für die Hegeomoniebestrebungen Chinas in der Region. Vor vier Wochen schnürte ein staatliches chinesisches Bankenkonsortium deshalb ein Rettungspaket über 2,3 Mrd. $. Damit konnte Pakistan fällige Zinszahlungen leisten und die Kapitalmärkte beruhigen, so hoffte man. Wie in Sri Lanka gelang es aber nicht, den Abfluss von Fremdkapital zu stoppen. Am Freitag wertete die pakistanische Rupie um mehr als 7 Prozent gegenüber dem US-Dollar ab. An der Börse in Frankfurt sank der Preis einer 2024 fälligen pakistanischen Staatsanleihe (Zinssatz: 8,25%) unter 50% der Nominalen. Die Ereignisse folgen dem Drehbuch des Default-Szenarios Sri Lankas im Frühjahr. Zuerst stützt China die Staatsfinanzen. Das ermöglicht eine bevorzugte Bedienung der Staatsanleihen. Hierdurch werden aber die Währungsreserven aufzehrt. Die Landeswährung wertet stark ab, die Inflation explodiert. Schließlich bricht der Außenhandel zusammen.
Aktuell wertet die Landeswährung exponentiell ab. Die Inflation ist binnen Kurzem auf 44 Prozent pro Jahr gestiegen (eine Verdopplung seit Juni, Abb. 8). Der Internationale Währungsfonds hat ein Nothilfspaket über 7 Mrd. $ geschnürt. Zur Umsetzung benötigen die Fondsmanager aber Ansprechpartner. Daran mangelt es in Pakistan genauso wie in Sri Lanka.
Angesichts der Fülle von Staaten mit hohen zweistelligen Inflationsraten und dynamisch abwertenden lokalen Währungen stellt sich die Frage, wie viele dieser mehr oder weniger gescheiterten Staaten akut von einem Default der Staatsschulden bedroht ist.
Bei vielen der in der Abb. 8 aufgeführten Länder ist China der größte Gläubiger. Der potenzielle Ausfall vieler Belt and Road-Kredite hat übergeordnete Konsequenzen. Dienten die (kreditbasierten) Investitionen doch als Liquiditätsquelle für die Volkswirtschaften.
Im Ergebnis wird den auch den Volkswirtschaften der Schwellenländer Liquidität entzogen. Die Welt steht vor einer globalen Rezession.