Wochenbericht 14

Inflation als Kriegswaffe

Der Begriff Hybride Kriegführung ist in aller Munde. Der Westen führt einen Wirtschaftskrieg und setzt Sanktionen als Waffe ein. Russland schlägt mit imperialen Methoden zurück. Seine Waffe: Inflation.

Stuttgart, 9. April 2022.

Das derzeitige Aprilwetter ist ein gutes Spiegelbild der geopolitischen Weltlage. Das strahlt auf die Kapitalmärkte aus. Zur Orientierung richten sich die Blicke der Welt auf den 9. Mai. Danach ist dann Sommer, hoffen viele.

Vorher bestimmt Frankreich eine/n neue/n Präsidenten/in. Im März schien der Wahlausgang ein No-Brainer zu sein. Jetzt überwiegen die Zweifel. So schnell brechen gerade sicher geglaubte Wahrheiten zusammen.

Im Endspurt der Präsidentschaftswahl schwankt das Wählerfundament Macron’s bedrohlich. Die Kombination aus steigenden Preisen für alles und die Aussicht auf nachhaltige Flüchtlingsströme schaufelt der französischen Rechten die Wähler in ihre Mühlen.

Die Machtfrage in Frankreich entscheidet sich auch an der Frage, ob die Telefondiplomatie Macron’s gegenüber dem russischen Diktator trotz ihrer Erfolglosigkeit vom französischen Wahlvolk honoriert wird. Der polnische Premierminister Morawiecki, der sich politisch, wie der ungarische Präsident Orban, auf einer problematischen Reise von Links nach Rechts-außen befindet, hatte sich zuvor öffentlich hinter Marie Le Pen gestellt und die Gespräche Macrons mit den Anbiederungen von europäischen Staatsführern bei Hitler, Stalin und Mussolini verglichen. Macron bezichtigte Morawiecki daraufhin, Antisemit zu sein und sich unangemessen in den Wahlkampf einzumischen. Seitdem ist das polnisch französische Verhältnis gespannt.

Russland finanziert seit Jahren rechtsextreme Parteien in Europa. Die AFD und auch der Rassemblement National kritisieren deshalb die harten Sanktionen gegenüber Russland. Das ausgerechnet ein polnischer Ministerpräsident dies unterstützt, während Russland seelenruhig in Sichtweite der polnischen Grenze ukrainische Infrastruktur bombardiert, zeigt die Doppelzüngigkeit der regierenden PiS in Polen. Der gleiche Mensch besuchte übrigens zusammen mit seinen Amtskollegen aus Tschechien und Slovenien am 15. März medienwirksam Wolodymyr Selenskyj in Kiev.

Falls Le Pen französische Präsidentin würde (was wohl das Ende der harten Sanktionspolitik des Westens gegenüber Russland einläutet), wäre ausgerechnet ein Repräsentant eines unmittelbar von einem Einmarsch Russlands bedrohten Landes entscheidender Steigbügelhalter der Interessen des russischen Diktators Putin. Mehr Realsatire geht wohl nicht.

Tag des Sieges

Dem »Tag des Sieges«, den Russland stets am 9. Mai feiert, kommt 2022 eine besondere Bedeutung zu. Dann entscheidet sich, ob Putin den Krieg weiterhin als siegreich verkaufen kann. Für den Westen ergibt sich die einzigartige Chance, die Wirkung der Sanktionen zu verstärken. Man muss nur genug »Hardware« in Form von Waffen und militärischem Equipment in den Donbas verfrachten und gemeinsam mit den kampferprobten ukrainischen Soldaten die Rote Armee zurückdrängen. Die Vorbereitungen für die Entscheidungsschlacht laufen auf beiden Seiten auf Hochtouren.

Nachdem sich so viele im Februar in der Einschätzung des Kriegsverlaufs vergriffen haben, herrscht bei den bekannten Dampfplauderern derzeit Funkstille. Hieronymus geht weiterhin von einem Patt aus, einer Materialschlacht, die ein heißes Einfrieren des Konflikts und eine Teilung der Ukraine zum Ergebnis hat.

Konsequenzen einer geteilten Ukraine

In diesem Szenario würde die West-Ukraine in den Westen eingegliedert, Marshall-Plan und EU-Beitritt inbegriffen. Das Land hätte die Aufgabe, die autarke Versorgung mit Grundnahrungsmitteln sicherzustellen. Anrainerstaaten der EU könnten, Wohlverhalten vorausgesetzt, subventionierte Getreide- und Fleischlieferungen aus der Ukraine zu beziehen.

Russland würde sich die Ost-Ukraine inklusive der umfangreichen Rohstoffvorkommen einverleiben. Unter dem Donbas schlummern die nach Norwegen zweitgrößten Gasvorkommen Europas, bei Luhansk und Donesk gibt es unerschlossene Frackinggas-Vorkommen.

Russland empfiehlt sich in diesem Szenario als potenter Lieferant preiswerter fossiler Energie. Die fruchtbaren Böden in der Ostukarine stärken dessen Exportfähigkeit für Getreide und erlauben den Aufbau einer exportorientierten Fleischwirtschaft.

Möglicherweise hat Russland damit längerfristig sogar eine Preismacht für Energie und Getreide. Das eröffnete den Kreml strategische Machtoptionen, die eine Blockbildung ermöglichen.

Hierfür müssen die potenziellen Partnerstaaten zunächst gefügig gemacht werden. Eine Preismacht bei Schlüsselrohstoffen eröffnet genau diese Perspektive.
Background: Die Verbraucherpreisentwicklung in vielen Schwellenländern korreliert stark mit dem Preisniveau für Energie und Getreide.

Abbildung 1: Inflation in Ghana

Exemplarisch ist oben der Inflationsverlauf in Ghana dargestellt. Die Wertentwicklung der Landeswährung ist entgegengesetzt. Je teurer Basisrohstoffe sind, desto stärker wertet der Cedi ab.

Abbildung 2: Abwertung des ghanesischen Cedi

Aktuell befindet sich Ghana in einer ähnlichen Lage, wie 2014. Damals waren die Getreide- und Energiepreise ähnlich hoch. Damals wie heute sieht sich die politische Klasse ihrer Existenz bedroht.

Abbildung 3: Preisentwickluing für Weizen
Abbildung 4: Preisentwicklung für US-Crude-Öl

Eine starke Abwertung der lokalen Währung verteuert alle Importe und die Bedienung von Schulden. Sie trifft Länder mit einer unausgeglichenen Handelsbilanz naturgemäß besonders stark. Viele Schwellenländer sind von Energie- und Getreideimporten abhängig.

Wenn Russland bei Schlüsselrohstoffen eine Preismacht etablieren kann, vermag es mittels rabattierter Lieferverträge seinen machtpolitischen Einfluß in aufstrebenden Schwellenländern nachhaltig zu festigen.

Es spricht einiges dafür, dies als Hidden Agenda des Einmarsches in die Ukraine zu unterstellen. Damit brächte sich Russland als Imperialmacht des 21. Jahrhunderts in Stellung. Die »umworbenen« Schwellenländer können sich für den Monopokapitalismus amerikanischer Machart (IMF-Kreditprogramme), der Belt & Road-Initiative Chinas (Public Privat Partnerschaften mit chinesischem Management bei zentralen Infrastrukturprojekten) oder einer »Energiepartnerschaft« mit Russland entscheiden.

Die Türkei in der Falle

Insbesondere die Türkei steht wegen seiner Mitgliedschaft in der Nato und einer ähnlich desaströsen Energie-Abhängigkeitspoltik wie Deutschland, Österreich oder auch Italien vor fast unlösbaren Entscheidungsprozessen. Die Inflationsrate ist nicht umsonst auf 61 % YOY gestiegen. Gleichzeitig wertet die Lira wieder deutlich ab, von ca 13,5 pro Dollar im Februar auf aktuell 14,8 TRY/USD. Die machtpolitischen Optionen des dortigen Autokraten für den Aufbau eines neuen Osmanischen Reichs sind 2022 vollständig verschwunden. Das Land ist nach dem wahrscheinlichen Ausfall der Ukraine als geopolitischem Pufferstaat der wahrscheinlichste Ersatzkandidat. Mit viel Phantasie könnte diese Entwicklung sogar in die Bildung eines vereinten Kurdistans münden.

BIS warnt vor nachhaltig hohen Inflationsraten

Die Bank for international Settlements mit Sitz in Bern erklärte am Dienstag das Ende der disflationären Phase. Agustín Carstens, der Vorsitzende, machte die Zurückführung der Globalisierung für den Regime-Change verantwortlich. Unterbrochene Lieferketten lassen sich leicht wieder herstellen, sagte Carstens. Wenn wegen fragiler Lieferketten die Werschöpfung mit höheren Lohn- und Verarbeitungskosten erfolgt, sinkt die Profitabilität. Dies lässt sich im aktuellen Umfeld leicht über Preiserhöhungen ausgleichen.

Dieser Prozess wird durch die Inflationsbekämpfung, insbesondere der FED, verstärkt. Auslaufende US-Staatspapiere im Depot der FED werden seit dem 1. April nicht mehr durch neu emittierte Staatsanleihen ersetzt.
Wenn ein Großkunde für ein Produkt wegfällt, sinkt der Preis. So auch hier.
Die FED weist für April Rückzahlungen von ca. 135 Mrd. $ für auslaufende Staatsanleihen aus. Da die US-Treasury das Geld nur nach der Ausgabe weiterer Anleihen bereitstellen kann, entzieht diese Maßnahme der FED dem Finanzmarkt 135 Mrd $ an Liquidität in nur einem Monat.

Um die ungewöhnliche Menge neu emittierter Staatsanleihen abzusetzen, muss die US-Treasury den Investoren hohe Zinsen bieten. Damit setzen sich am »langen Ende« der Zinsstrukturkurve höhere Marktzinsen durch. Dies ist allerdings gleichbedeutend mit der Erwartung langfristig höherer Geldentwertung. Willkommen im Zeitalter des Quantitative Tightenings.

  • Adjustment to higher interest rates will not be easy
  • Nor will the required shift in central bank behaviour be popular.
    ( Agustín Carstens, BIS, 5.4.2022)

Sri Lanka vor dem Staatbankrott

Wie die Bilder sich gleichen. Leere Ladenregale und Zapfsäulen, Stromausfälle, stark steigende Verbraucherpreise, Massenproteste, Minister, die bereits Tage nach der Ernennung ihren Rücktritt erklären. Ob Argentinien 1999 oder Ägypten 2014 oder Sri Lanka 2022. Ein Staatsbankrott hat immer hässliche Begleiterscheinungen.

Gotabaya Rajapaksa ist seit 2019 Staatspräsident Sri Lankas. Er ernannte Freunde und Familienmitglieder zu Ministern und Beratern, senkte die Steuern, ohne die Einnahmen zu kompensieren oder die Kosten zu senken. Die Bonität des Landes sank stetig. 2020 verlor Sri Lanka die Fähigkeit, sich zu akzeptablem Konditionen zu verschulden. Seitdem können auslaufende Verbindlichkeiten nicht mehr prolongiert werden. Fremdwährungsanleihen wurden aus den Währungsreserven der Notenbank bedient.

Im April 2022 beträgt die Reserve der Notenbank noch 500 Mio $. Bis zur Jahresmitte werden Verbindlichkeiten im Volumen von 1 Mrd. $ fällig. Die Landeswährung ist im freien Fall, Banken sind funktionslos. Kryptowährungen sind auch hier der verbliebene Wertanker für die Mittelschichten.

Der IMF steht bereit, um den Fallout eines Defaults des Landes zu begrenzen, ihn vielleicht sogar zu verhindern.

Die Frage ist jedoch: Who’s next? Ägypten hat seine Landeswährung kürzlich um 15 Prozent abgewertet, in Tunesien steht ein solcher Schritt unmittelbar bevor. Weiter oben ist die dramatische Abwertung des Cedi aus Ghana abgebildet. Die Liste ließe sich fast endlos fortsetzen. Fremdwährungs-Verbindlichkeiten vieler Schwellenländer sind wegen der Abwertung der Landeswährungen toxisch geworden.

Die betroffenen Länder stehen vor der Wahl, sich auf neoliberale Bedingungen des IMF einzulassen (Austerität, keine oder geringe Zollschranken) oder auf einen Beistand durch China oder Russland setzen. Das erklärt die hohe Zahl an Enthaltungen und Neinstimmen bei der Abstimmung über den Ausschluss Russlands aus dem UN-Menschen­rechts­rat.

Die Schwellenländer erleben 2022 einen ähnlichen Finanzsturm wie 2013/4. Damals hatte sich Ben Bernanke in den Kopf gesetzt, die Bilanz der FED zu verkürzen. Der Ausgang ging als »Taper Tantrum« in die Geschichte ein: Der US-Dollar wertete auf, die Schwellenländer standen vor identischen Herausforderungen, wie aktuell. Der arabische Frühling mit dem Syrienkrieg waren eine Konsequenz.

Heute verstärken sich Inflationseindämmungsmaßnahmen in den USA, Covid-bedingte Lieferkettenunterbrechungen aus China und der von Russland verstärkte Preistrend bei Energie und Getreide gegenseitig.

Theoretisch könnte die von der Nato ausgestattete ukrainische Armee die reale Schlacht am Donbas für sich entscheiden und Russland aus dem Spiel entfernen. Ökonomisch macht dies kurzfristig nur einen geringen Unterschied. Dies ändert nichts daran, dass die Gesetze des Quantitative Tightenings gültig sind, dass Getreidepreise hoch bleiben und dass wegen der fehlgeleiteten Null-Covid-Politik Chinas Lieferketten noch eine ganze Weile gestört sind.

Die konventionelle Kapitalanlage ist 2022 im Werterhaltungsmodus. Anleger suchen ihr Heil in alternativen Renditequellen. Dies wird das Thema der Osterausgabe.

Ressourcen

  • Warsaw summons French ambassador after Macron calls Polish PM ‘anti-Semite’, FT, 8.4.2022
  • What if Putin Didn’t Miscalculate. NYT 29.3.2022
  • Crude surge stokes flames on Turkish inflation, FT 4.4.2022
  • Turkish inflation rate soars to 20-year high, FT 5.4.2022
  • Central banks warned of inflationary era, FT 6.4.2022
  • Preventing a crisis in emerging markets. FT 4.2022