Background: Die Verbraucherpreisentwicklung in vielen Schwellenländern korreliert stark mit dem Preisniveau für Energie und Getreide.
Exemplarisch ist oben der Inflationsverlauf in Ghana dargestellt. Die Wertentwicklung der Landeswährung ist entgegengesetzt. Je teurer Basisrohstoffe sind, desto stärker wertet der Cedi ab.
Aktuell befindet sich Ghana in einer ähnlichen Lage, wie 2014. Damals waren die Getreide- und Energiepreise ähnlich hoch. Damals wie heute sieht sich die politische Klasse ihrer Existenz bedroht.
Eine starke Abwertung der lokalen Währung verteuert alle Importe und die Bedienung von Schulden. Sie trifft Länder mit einer unausgeglichenen Handelsbilanz naturgemäß besonders stark. Viele Schwellenländer sind von Energie- und Getreideimporten abhängig.
Wenn Russland bei Schlüsselrohstoffen eine Preismacht etablieren kann, vermag es mittels rabattierter Lieferverträge seinen machtpolitischen Einfluß in aufstrebenden Schwellenländern nachhaltig zu festigen.
Es spricht einiges dafür, dies als Hidden Agenda
des Einmarsches in die Ukraine zu unterstellen. Damit brächte sich Russland als Imperialmacht des 21. Jahrhunderts in Stellung. Die »umworbenen« Schwellenländer können sich für den Monopokapitalismus amerikanischer Machart (IMF-Kreditprogramme), der Belt & Road-Initiative Chinas (Public Privat Partnerschaften mit chinesischem Management bei zentralen Infrastrukturprojekten) oder einer »Energiepartnerschaft« mit Russland entscheiden.
Insbesondere die Türkei steht wegen seiner Mitgliedschaft in der Nato und einer ähnlich desaströsen Energie-Abhängigkeitspoltik wie Deutschland, Österreich oder auch Italien vor fast unlösbaren Entscheidungsprozessen. Die Inflationsrate ist nicht umsonst auf 61 % YOY gestiegen. Gleichzeitig wertet die Lira wieder deutlich ab, von ca 13,5 pro Dollar im Februar auf aktuell 14,8 TRY/USD. Die machtpolitischen Optionen des dortigen Autokraten für den Aufbau eines neuen Osmanischen Reichs sind 2022 vollständig verschwunden. Das Land ist nach dem wahrscheinlichen Ausfall der Ukraine als geopolitischem Pufferstaat der wahrscheinlichste Ersatzkandidat. Mit viel Phantasie könnte diese Entwicklung sogar in die Bildung eines vereinten Kurdistans münden.
Die Bank for international Settlements mit Sitz in Bern erklärte am Dienstag das Ende der disflationären Phase. Agustín Carstens, der Vorsitzende, machte die Zurückführung der Globalisierung für den Regime-Change verantwortlich. Unterbrochene Lieferketten lassen sich leicht wieder herstellen, sagte Carstens. Wenn wegen fragiler Lieferketten die Werschöpfung mit höheren Lohn- und Verarbeitungskosten erfolgt, sinkt die Profitabilität. Dies lässt sich im aktuellen Umfeld leicht über Preiserhöhungen ausgleichen.
Dieser Prozess wird durch die Inflationsbekämpfung, insbesondere der FED, verstärkt. Auslaufende US-Staatspapiere im Depot der FED werden seit dem 1. April nicht mehr durch neu emittierte Staatsanleihen ersetzt.
Wenn ein Großkunde für ein Produkt wegfällt, sinkt der Preis. So auch hier.
Die FED weist für April Rückzahlungen von ca. 135 Mrd. $ für auslaufende Staatsanleihen aus. Da die US-Treasury das Geld nur nach der Ausgabe weiterer Anleihen bereitstellen kann, entzieht diese Maßnahme der FED dem Finanzmarkt 135 Mrd $ an Liquidität in nur einem Monat.
Um die ungewöhnliche Menge neu emittierter Staatsanleihen abzusetzen, muss die US-Treasury den Investoren hohe Zinsen bieten. Damit setzen sich am »langen Ende« der Zinsstrukturkurve höhere Marktzinsen durch. Dies ist allerdings gleichbedeutend mit der Erwartung langfristig höherer Geldentwertung. Willkommen im Zeitalter des Quantitative Tightenings
.
- Adjustment to higher interest rates will not be easy
- Nor will the required shift in central bank behaviour be popular.
( Agustín Carstens, BIS, 5.4.2022)
Wie die Bilder sich gleichen. Leere Ladenregale und Zapfsäulen, Stromausfälle, stark steigende Verbraucherpreise, Massenproteste, Minister, die bereits Tage nach der Ernennung ihren Rücktritt erklären. Ob Argentinien 1999 oder Ägypten 2014 oder Sri Lanka 2022. Ein Staatsbankrott hat immer hässliche Begleiterscheinungen.
Gotabaya Rajapaksa ist seit 2019 Staatspräsident Sri Lankas. Er ernannte Freunde und Familienmitglieder zu Ministern und Beratern, senkte die Steuern, ohne die Einnahmen zu kompensieren oder die Kosten zu senken. Die Bonität des Landes sank stetig. 2020 verlor Sri Lanka die Fähigkeit, sich zu akzeptablem Konditionen zu verschulden. Seitdem können auslaufende Verbindlichkeiten nicht mehr prolongiert werden. Fremdwährungsanleihen wurden aus den Währungsreserven der Notenbank bedient.
Im April 2022 beträgt die Reserve der Notenbank noch 500 Mio $. Bis zur Jahresmitte werden Verbindlichkeiten im Volumen von 1 Mrd. $ fällig. Die Landeswährung ist im freien Fall, Banken sind funktionslos. Kryptowährungen sind auch hier der verbliebene Wertanker für die Mittelschichten.
Der IMF steht bereit, um den Fallout eines Defaults des Landes zu begrenzen, ihn vielleicht sogar zu verhindern.
Die Frage ist jedoch: Who’s next? Ägypten hat seine Landeswährung kürzlich um 15 Prozent abgewertet, in Tunesien steht ein solcher Schritt unmittelbar bevor. Weiter oben ist die dramatische Abwertung des Cedi aus Ghana abgebildet. Die Liste ließe sich fast endlos fortsetzen. Fremdwährungs-Verbindlichkeiten vieler Schwellenländer sind wegen der Abwertung der Landeswährungen toxisch geworden.
Die betroffenen Länder stehen vor der Wahl, sich auf neoliberale Bedingungen des IMF einzulassen (Austerität, keine oder geringe Zollschranken) oder auf einen Beistand durch China oder Russland setzen. Das erklärt die hohe Zahl an Enthaltungen und Neinstimmen bei der Abstimmung über den Ausschluss Russlands aus dem UN-Menschenrechtsrat.
Die Schwellenländer erleben 2022 einen ähnlichen Finanzsturm wie 2013/4. Damals hatte sich Ben Bernanke in den Kopf gesetzt, die Bilanz der FED zu verkürzen. Der Ausgang ging als »Taper Tantrum« in die Geschichte ein: Der US-Dollar wertete auf, die Schwellenländer standen vor identischen Herausforderungen, wie aktuell. Der arabische Frühling mit dem Syrienkrieg waren eine Konsequenz.
Heute verstärken sich Inflationseindämmungsmaßnahmen in den USA, Covid-bedingte Lieferkettenunterbrechungen aus China und der von Russland verstärkte Preistrend bei Energie und Getreide gegenseitig.
Theoretisch könnte die von der Nato ausgestattete ukrainische Armee die reale Schlacht am Donbas für sich entscheiden und Russland aus dem Spiel entfernen. Ökonomisch macht dies kurzfristig nur einen geringen Unterschied. Dies ändert nichts daran, dass die Gesetze des Quantitative Tightenings gültig sind, dass Getreidepreise hoch bleiben und dass wegen der fehlgeleiteten Null-Covid-Politik Chinas Lieferketten noch eine ganze Weile gestört sind.
Die konventionelle Kapitalanlage ist 2022 im Werterhaltungsmodus. Anleger suchen ihr Heil in alternativen Renditequellen. Dies wird das Thema der Osterausgabe.