Wochenbericht 11

Fallout des Kriegs

Die Finanzmärkte gehen wieder zur Tagsordnung über. In der letzten Woche keimte bei fast jeder Nachricht aus Kiev Optimismus auf und die Preise kletterten. Am Freitag schüttete die IEA dann Wein ins Feuer: Die Energiepreise dürften ab April nachhaltig steigen. Zudem findet in den kommenden Tagen eine historischen Abfolge von Gipfeltreffen statt. Das deutet auf eine erneute Eskalation der Krisensituation hin.

Stuttgart, 19. März 2022.

Am 18. November 1974 vereinbarten 16 OECD-Staaten die Gründung der Internationalen Energie Agentur (IEA), mit Sitz in Paris. Zuvor hatten die Staaten isoliert auf die Reduzierung der Öl-Förderung der OPEC als Bestrafung der Unterstützung der Expansion Israels in den Sinai und auf die Golanhöhen reagiert. Fortan sollte die IEA als Gegengewicht zur OPEC fungieren. Die zweite Funktion: Vorhalten und Management einer übernationalen strategischen Ölreserve. Diese wird nur in Krisenzeiten aktiviert: 1991 während des ersten Irakkriegs, 2005 nach dem Ausfall der Öl-Infrastruktur der USA nach Kathrina, im Zuge des Arabischen Frühlings im Jahr 2011 (Libyen-Krise) und – natürlich – 2022.

Angesichts des absehbar längerfristigen Ausfalls der Ölförderung Russlands versagen allerdings die Vorsorgeinstrumente der OEDC-Staaten, einschließlich die IEA. Am Freitag veröffentlichte die Organisation einen Maßnahmenkatalog für seine Mitgliedsstaaten. Das Ziel: Reduktion des Verbrauchs um drei Prozent ( 3 Mio. Barrel Öl am Tag). Um diese 3 Mio. Barrel wird sich die Ölförderung Russlands sanktionsgetrieben ab April minimal verringern.

Morgan Stanley erhöhte seine Ölpreis-Prognose für das dritte Quartal auf 120 $, Goldman Sachs geht von Durchschnittspreisen von 135 $ aus. Am Freitag schloss der Spot-Markt bei 108 $.

Die IEA-Miglieder vereinbarten bereits, 67,5 Mio. Barrel Öl aus der strategischen Reserve zu entnehmen. Weitere Entnahmen stoßen gegenwärtig auf heftige Widerstände. Nationale Öl-Lager­bestände sind mit 335 Mio. Barrel gemäß der IEA auf einem 8-Jahres-Tiefstand. Die Ölindustrie hat ihre Explorations-Investitionen in Übereinstimmung mit dem mittelfristigen Ziel, das fossile Zeitalter zu beenden, ebenfalls deutlich reduziert. Kurzfristig, so die IEA, lässt sich die Angebotsseite nicht ausbauen.

Mit ihrem Maßnahmenkatalog signalisiert die IEA unmißverständlich, dass die Staaten nicht auf plötzliche Ölquellen hoffen sollen. Die Unterbrechung russischer Öllieferungen ist keine akute Krise sondern auf absehbare Zeit der Status Quo.

Abbildung 1: 10-Punkte Plan der IEA

Der 10-Punkte-Plan liest sich eher wie ein Forderungspamphlet von Fridays for Future denn eine Empfehlung einer OEDC-Organisation. Eine Umsetzung in der BRD ist selbst mit einer progressiven Ampelkoalition nur unter erheblichen äußeren Zwängen denkbar. Praktisch wird die Politik diese Empfehlungen wohl erst bei Treibstoffpreisen von 3 € pro Liter und mehr in Erwägung ziehen.
Hieronymus leitet hieraus Zweierlei ab:

  • Die Gefahr weiter steigender Energiepreise lastet auf absehbare Zeit über der Ökonomie der OECD-Staaten.
  • Wegen der weiterhin extremen Abhängigkeit von fossilen Energieträgern müssen Unternehmen und Verbraucher möglicherweise bereits im Sommer zu Hand­lungs­veränderungen gezwungen werden.

Diese Perspektive ist kaum vereinbar mit prosperierenden Kapitalmärkten. Passive Investments sind zu hinterfragen!

Das Maßnahmenpaket der IEA zeigt andererseits die Gültigkeit des Trotzki’schem Diktums: Krieg ist eine Lokomotive in der Zeit.

Stagflation anstatt Covid-Recovery

Im positivsten, denkbaren Szenario gelingt es der Staatengemeinschaft, den heißen Krieg in der Ukraine halbwegs einzufrieren. Gemäß den westlichen Vorstellungen werden die Wirtschaftssanktionen Russland seiner industriellen Basis berauben und den Staat irgendwann kollabieren lassen.

Daneben existieren eine Reihe, weniger auskömmlicher Verlaufspfade. In der FT hat Martin Wolf sein Verdikt mit folgenden Worten geschlossen:

After the battle of Austerlitz in 1805, William Pitt the Younger said, presciently: “Roll up the map [of Europe]; it will not be needed these 10 years.” Russia’s war on Ukraine has similarly transformed the map of our world. A prolonged bout of stagflation seems certain, with large potential effects on financial markets. In the long term, the emergence of two blocs with deep splits between them is likely, as is an accelerating reversal of globalisation and sacrifice of business interests to geopolitics. Even nuclear war is, alas, conceivable.

Die OECD hat ihre Wachstumsprognose deutlich revidiert. Danach »kostet« der Ukraine-Krieg Europa etwa 1,5 %, der USA etwa 0,5 % und der Welt insgesamt etwa 0,7 % Wirtschaftswachstum. Andreas Peichl (IFO Institut + EconPol Europe) fürchtet gar einen Einbruch der deutschen Wirtschaft um 3 %.

Gleichzeitig treibt der Konflikt die Inflation in Europa um 2 %, in den USA um 1,4 und global um 2,5 Prozent über das bereits bestehende Niveau.

Die Sicht der Sell-Side

Zeitgleich zur Veröffentlichung der IEA lud die Fondsgesellschaft Union Investment institutionelle Kunden zu einer Webkonferenz. Die Aussagen der Analysten entsprechen größtenteils den hier vorgetragenen Argumenten.

  1. Der Einfluss des Krieges in der Ukraine auf die globalen Märkte lässt nach. Von den sinkenden Renditen im sicheren Hafen der Staatsanleihen ist kaum etwas geblieben und auch der fallende Ölpreis zeigt einen Rückgang der Risikoprämien an. Letztlich ist Russland für die Weltwirtschaft unbedeutend.
  2. Der Inflationsanstieg ist breiter und längerfristiger als vor dem Ukrainekrieg erwartet. Auch die Inflationserwartungen im Euroraum steigen.
  3. Die Zentralbanken lassen sich durch den Krieg von der Straffung der Geldpolitik nicht abbringen. Das war das Ergebnis der EZB-Sitzung am 10. März 2022. Die Wertpapierkäufe werden schneller als gedacht verringert, auf 40 Mrd. € im April und 20 Mrd. € im Juni. Der zuvor für neun Monate angedachte Prozess der Rückführung dieser Käufe wird auf drei Monate verkürzt. Die EZB räumt sich zwar Spielraum ein, auch bei den Leitzinsen, die nun nicht mehr quasi automatisch kurz nach dem Ende der Anleihekäufe angehoben werden sollen. Aber insgesamt lieferte die Zentralbank eine falkenhafte Ansage.

Die Schlußfolgerungen sind dann aber bemerkenswert:

Die Farbe Grün ist nicht umsonst gewählt. Trotz aller Risiken sehen die Analysten von Union Investment nirgends Rezessionsgefahren. Die Fondsgesellschaft hat ihre Wachstumsprognosen für 2022 auf dem Vorkriegsstand belassen. »Letztlich ist Russland für die Weltwirtschaft unbedeutend«. Steigende Lebensmittel-, Energie- und Metallpreise, absehbar mehrere Millionen Kriegsflüchtlinge in Europa, und die massive finanzielle Repression der EZB –im Basisszenario hat dies keinerlei Einfluß auf die wirtschaftliche Entwicklung. In einem Risikoszenario (Ölpreis > 150$) sehen die Analysten Europa in eine Rezession schlittern.

Der Ausblick ist interessant.

Die Fondsgesellschaft zeigt die Verlaufspfade eines Spreads Value/Growth-Aktien in den USA nach dem Lehman-Crash und dem März 2020. Sollte die Politik ähnlich vorgehen, wie 2020, muss man Wachstumswerte haben. 2009 realisierte ein Festhalten an Value-Werten einem Renditevorteil von ca. 3 Prozent. Dies ist aktuell der wahrscheinlichere Entwicklungspfad. Die Graphik zeigt allerdings auch schonungslos die Realität: Aktuell haben die Value-Titel ihr historisches Potenzial bereits weitgehend ausgeschöpft.

Trotz eines Festhaltens an der ursprünglichen Wachstumsprognose sind die Fondsmanager im Hausea also Union Investment keinesfalls optimistisch. Weder für Europa noch für die USA. Stock-Picking ist angesagt und Erbsen-zählen — und Energiesparen natürlich.

Ressourcen

  • Oil supply shortage fears add to price volatility, FT 19.3.2022
  • IEA: 10 Point plan to cut oil use
  • The global economy’s growing risks: stagflation, refugees and lockdowns , FT 18.3.2022
  • Martin Woflf – Russia’s war will remake the world, FT 15.3.2022
  • Russia energy embargo threatens to cut 3% from Germany GDP, warns think-tank,FT, 14.3.2022
  • Union Investment: Aktuelle Entwicklungen im Russland-Ukraine- Konflikt und ihre Kapitalmarktauswirkungen, Frankfurt 15.3.2022