Gegenwartsprobleme, wie die Entwicklung eines COVID-19-Impfserums schultern die USA natürlich allein.
Fast alles wird zu einer Systemfrage hochstilisiert, mit einer subtilen Propaganda unterlegt und über die sozialen Medien kommuniziert.
Am ersten April veröffentlichte Kentucky BioProcessing, ein Biotechnologieunternehmen unter dem Dach der British American Tabacco, einem der größten Tabakkonzerne der Welt, eine kurze Nachricht, wonach Tabakpflanzen einen natürlichen Impfstoff gegen Corona-Viren enthalten. Mit ein wenig staatlicher Hilfe, hieß es damals, könne man ab Juni bis zu drei Millionen Dosen des Impfstoffes pro Tag produzieren.
Das Erscheinungsdatum des Berichts verhinderte größere Irritationen.
Bereits im Februar versprach Moderna, ein Biotechnologieunternehmen aus Bosten, innerhalb von 42 Tagen einen Impfstoff gegen die Pandemieviren verfügbar zu haben. Am 5. März berichtete die FT über geheime Transporte mit Impfstoffkandidaten zu ebenfalls geheimen Testzentren. Dort sollten unter der Aufsicht des US-Gesundheitsministeriums Menschen probeweise geimpft werden. Vor wenigen Tagen begann das Unternehmen die Phase 2 der klinischen Tests. D.T. ließ es sich nicht nehmen, diesen »Erfolg« höchstpersönlich in die Welt heraus zu twittern.
Es vergeht kaum ein Tag ohne eine mehr oder weniger gut inszenierte »Erfolgsmeldung« von der Seren-Entwicklungsfront. Es ist beinah ein Fulltime-Job, die Übersicht nicht zu verlieren.
Gemäß der WHO werden 123 Impfstoffkandidaten getestet, davon 10 in klinischen Studien. Zwei Impfstoffkandidaten werden bereits in der Phase 2 an einer erweitern Testgruppe getestet, die acht übrigen stecken in Tests der Phase 1 fest. In dieser Gruppe sind fünf chinesische Impfstoffkandidaten enthalten. Das verdeutlicht die Dominanz Chinas auf diesem Feld (und erklärt die jüngste Eskalation des sino-amerikanischen Konflikts).
In den USA wird die Impfstoffentwicklung von der Barda (Biomedical Advanced Research and Development Agency) koordiniert und üppig finanziert.1 Die Barda kümmert sich auch um maximal beschleunigte Zulassungsverfahren. Die Regierungen in UK und den USA setzen auf eine unkonventionelle Beschleunigung der Virusforschung: Bereits nach einem absehbaren Erfolg der Phase-1-Tests werden im großtechnischen Maßstab Seren produziert. Man riskiert es, mit den Ergebnissen einer Testreihe von 100 Personen auf eine Verträglichkeit für fast 10 Mrd. Menschen zu schließen. Der Hintergrund ist kein Geheimnis: Die Wiederwahl des D.T. steht an. Gelingt es tatsächlich, bis Oktober zumindest in den USA eine flächendeckende Impfung verfügbar zu haben, hat Joe Biden keine Chance mehr. Hierfür ist kein Aufwand zu groß. Dann spielt auch keine Rolle mehr, dass absehbar mehr als 100.000 Amerikaner an der Pandemie verstorben sein werden.
Die übrigen Staaten der Welt gehen einen anderen Weg. Dort versucht man die Ausbreitung des Virus mit konventionellen Mitteln einzudämmen. Dann hat man ausreichend Zeit, ein gut verträgliches, hoch wirksames Serum zu entwickeln und gemäß den Standards der WHO zu testen. Parallel baut man über den Globus verteilt Produktionsstätten auf. Nach dem Abschluß der Tests kann dann in Rekordzeit die globale Serenproduktion angefahren werden.
Der Ansatz der Staatengemeinschaft hat zwei Schönheitsfehler: Erstens wird das Serum frühestens im Frühjahr 2021 in ausreichenden Dosen verfügbar sein.(Zu spät für D.T.) Zweitens ist dieser kooperative Ansatz Industriefeindlich. Die multinationalen Pharmaunternehmen gehen beim multinationalen Modell leer aus.
Die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Entwicklung eines Impfstoffes ist angesichts der Vielfalt der verfolgten Ansätze sehr hoch. Die Frage ist eigentlich nicht mehr ob, sondern wann eine Impfung verfügbar ist. Auffällig ist, dass Insider von einem späten oder sehr späten Zeitpunkt ausgehen. Es drängt sich der Eindruck auf: Je politischer die Rolle, desto optimistischer die Annahme über einen wahrscheinlichen Impfzeitpunkt.
In diesem Spannungsfeld erfolgt der Preisbildungsprozess an den Finanzmärkten. In der vergangen Woche ist die Volatilität an den Aktienmärkten erstmals wieder unter 30 Prozent gesunken. Jenseits aller wahltaktischen Rhetorik setzt sich die Hoffnung durch, dass die befürchtete zweite Pandemiewelle durch ein rasch verfügbares Serum vermieden werden kann. Dies ist problematisch, wie die jüngsten COVID-Ausbrüche in Deutschland zeigen. Die hohe Geschwindigkeit des »Back to Normal« macht eine wieder unkontrollierbare Ausbreitung des Virus viel wahrscheinlicher. In den USA steigen die Fallzahlen trotz oder wegen der schnellen Lockerungen immer weiter an.
Die Abbildung 2 zeigt das Dilemma der USA: das Ausmaß der Seuche wurde systematisch unterschätzt. Je mehr Daten vorliegen, desto pessimistischer werden die Prognosen. In der Abbildung, die der Economist aufbereitet hat, sind veröffentlichte Todesratenentwicklungen verschiedener Prognoseverfahren zusammengefasst. Alarmierend ist die jüngste Prognose von Youyang Gu, der ein KI-Ansatz zugrundeliegt. Aber auch die auf klassischer epidemiologischer Statistik aufbauende Prognose des IHME2 prognostiziert inzwischen eine stetige Weiterverbreitung des Virus. Im Grunde ist es eine Frage der Zeit, bis die öffentliche Meinung die Todesrate als nicht mehr akzeptabel empfindet und die Politik zu einem erneuten Kurswechsel zwingt. Die Wette des D.T. ist, dass dieser Zeitpunkt nach den US-Wahlen liegt.
Die Finanzmarktteilnehmer in den USA scheinen sich dieser Wette anzuschließen. Die Marktpreise klettern dort in froher Erwartung einer Post-Pandemie-Konjunktur bereits fleißig. In Europa ist die Stimmung noch gedrückt. Man könnte dies auch als Realismus bezeichnen.
Die Marktpreise schwanken in seit sieben Wochen um die Marke von 2850 (EuroStoxx 50). Zur Preisunterseite scheint der Aktienmarkt gut abgesichert zu sein. Spannend ist, ob sich der Optimismus aus Übersee auch hier durchsetzt.
Die Saisonalität spielt den Optimisten in die Hände: Legt man die Preisentwicklung europäischer Blue-Chips in der letzten Maiwoche übereinander, dann steigen die Marktpreise durchschnittlich um fünf Prozent. Dieser Preiseffekt verpufft jedoch in den ersten beiden Juniwochen wieder.
Hertz such Gläubigerschutz.
Die Nachfrage nach Mietautos ist zuletzt zusammengebrochen. Erstens war der Bedarf nach Mobilität Lockdown-bedingt gering. Zweitens hatten inbesondere in den USA Mietwagenkunden Angst vor Ansteckungen durch virenverseuchte Fahrzeuge.
Die Causa Hertz zeigt, dass auch ein Ankerinvestor, wie Carl Icahn (Beteiligung: 39 %), keine Versicherung gegen Insolvenz ist. In der Vergangenheit sicherte die Galionsfigur Icahn der Autovermietung einen preiswerten Zugang zu Fremdkapital. In der Krise entpuppt sich dies als Bumerang: Die Firma ist überschuldet, auch weil Icahn in klassischer Private-Equity-Manier die maximale Liquidität abgezogen hat.
Bereits vor dem Pandemieereignis war Hertz mit 19 Mrd. $ kritisch verschuldet. Im April versäumte man die Bedienung einer Anleihe. Damals verständigte sich das Management mit seinen Gläubigern auf einen Zahlungsaufschub um einen Monat. Das Unternehmen entließ ein Viertel seiner Belegschaft (10.000 MA) und bearbeitete Icahn. Erfolglos. Am Freitag reichte man Gläubigerschutz nach Chap. 11 ein.
US-Mietwagenunternehmen (Hertz, Avis, Enterprise) sind viel stärker von der Pandemie betroffen als ihre europäischen Konkurrenten (Sixt, Europcar). In Europa gehen die benutzen Mietwagen zu einem Festpreis zurück an den Hersteller, der die Fahrzeuge über die Autohäuser an Privatkunden veräußert. In den USA treten Mietwagenfirmen selbst als Anbieter von Gebrauchtwagen auf. Da auch der Gebrauchtwagenmarkt zusammengebrochen ist, kumulieren sich die Risiken bei Hertz, Avis & Co.
Virtual Silicon Valley.
Die Frage nach der Zukunft des Silicon Valley ist so alt, wie dessen Erfolgsgeschichte. Immer wieder stellt sich die Frage nach der Nachhaltigkeit des Geschäftsmodells.
Die Pandemie läutet die nächste Metamorphose ein. Nachdem Twitter es seinen Mitarbeitern freigestellt hat, ob sie ihren Schreibtisch wieder beziehen wollen oder permament im Home-Office bleiben, ist Facebook nachgezogen.
Spannend ist die Perspektive für die nicht mehr notwendigen Bürokomplexe. Hier bahnt sich die nächste Produktivitätsrevolution an. Das Valley wäre nicht das Valley, wenn man in der Zweitnutzung keine Protagonistenrolle einnehmen würde.
US-Ölförderung lastet kurzfristig auf Ölmarkt.
Als Reaktion auf negative Ölpreis zum April-Verfall der US-Ölsorte WTI sank die Ölförderung um 20 Prozent (2,3 Mio Barrel). Das entspricht der Summe der von der OPEC+ abgesprochenen Kürzung der Ölförderung in Russland und Saudi-Arabien. Die US-Firmen warten jedoch nur auf eine Stabilisierung der Ölpreise. Auf 12-Monatsicht kann die Ölförderung jederzeit wieder hochgefahren werden.
Doch die Fracking-Borlöcher altern schnell. Nach der Öffnung ist eine rasche Ausbeutung nötig. Fracking-Borlöcher können problemlos temporär geschlossen werden. Das ist in den letzten Monaten geschehen. Sobald die Ölpreise wieder anziehen, können Ölförderer mit sehr geringem Aufwand wieder durchstarten.
Die langfristige Perspektive unterscheidet sich diametral. Wegen der kurzen Lebensdauer der Borlöcher ist ein permanenter Explorationsaufwand nötig. Unterbleibt dies, kann die Produktion auch bei steigender Nachfrage nicht mehr erhöht werden. Die Exploration ist auf Jahressicht um 45 Prozent zurückgegangen. Zum Jahreswechsel werden sich die US-Ölförderer an den gesunkenen Verbrauch angepasst haben. Dann kann wieder eine gewisse Normalität in den Ölmarkt zurückkehren.
Shortselling Verbote aufgehoben – Hedgefunds verkaufen massif europäische Aktien.
Am Montag hoben die Finanzmarktregulatoren seit März bestehende Verbote von Leerverkäufen von Aktien aus Frankreich, Italien, Spanien, Österreich, Griechenland und Belgien auf. Sofort stiegen Hedge-Funds aus den USA und UK auf der Shortseite in den Markt ein. Breakout Point, ein Datenprovider, meldete am Dienstag und Mittwoch einen Anstieg der Shortquoten auf das höchste Niveau der letzten 12 Monate. Oben auf der Verkaufsliste befanden sich Air France / KLM, der französische Kabelhersteller Nexans, den ebenfalls französischen Automobilzulieferer Valeo, die Ence Energia Y Celulosa aus Spanien, die italienische Banco BPM und Saipem, ebenfalls aus Italien.
Die Börsenplätze Paris, Mailand und Madrid verzeichneten am Dienstag und Mittwoch außergewöhnlich hohe Handelsvolumina.