Wochenbericht 8

Kriegsfolgen

Das ist neu. Eine Atommacht führt mitten in Europa einen heißen Krieg. Genauso neu sind die Preismuster an den Finanzmärkten, zumindest für unsere Generation. Ein erster Aufschlag zum Sortieren.

Stuttgart, 26. Februar 2022.

Plötzlich gibt es wieder einen sichtbaren Feind. Zumindest für den vereinten »Westen«. Ein Diktator befiehlt den Einmarsch in das Nachbarland und Soldatenroboter exekutieren den vorbereiteten Masterplan. Der Vergleich mit dem Einmarsch der Wehrmacht in Polen drängen sich auf.

Wie 1939 ist die Weltgemeinschaft auch heute nicht vereint: Damals begrüßten Russland und Japan den Einmarsch, heute schauen autoritäre Regime verzückt auf die Ereignisse in der Ukraine: China, Indien, Pakistan, Brasilien, um nur einige zu nennen. Kleines Detail am Rande: Hitler’s »Mein Kampf« ist das meistgelesene Buch in Indien.

Bislang geht die Strategie Russlands auf: Die westlichen Staaten lassen die russischen Soldatenroboter gewähren. Die Sanktionen sparen den Rohstoff- und Energiesektor aus. Das sind aber wesentlichen Einnahmequellen Russlands.

Oxford Economics veröffentlichte am Freitag eine Prognose der ökonomischen Folgen der beschossenen Sanktionen: 2022 sinkt die Wirtschaftsleistung Russlands kriegs- und sanktionsbedingt um 0,7 %, 2023 und 2024 um jeweils 1,2 %. Für die Eurozone wird ein Rückgang des GDP um 0,3 bzw. 0.45 % erwartet, die USA ist kaum betroffen.

Gemäß einer Prognose von Capital Economics würde der Ölpreis auf 120 bis 140 $ klettern, falls Russland seine Öl-Exporte sofort einstellen müsste. Das entspräche dem bisherigen Höchstpreisen aus dem Jahr 2008. Die Hauptlast dieser Maßnahme würden (neben den ehemaligen Ostblockstaaten) Deutschland, Italien und Österreich tragen. Das weiss auch der Kreml. Wen wundert es, dass Putin die diplomatischen Bemühungen der europäischen Staatschefs ein ums andere Mal ins Leere laufen lies? An dieser Stelle sei ausdrücklich auf die diesbezüglichen Analysen von Margarete Klein und Sabine Fischer in der jüngsten Publikation der Stiftung Wissenschaft und Politik hingewiesen.

Finanzmarktreaktion

Zum Wochenschluß notiert der EuroStoxx 50, also die Summe der 50 größten Unternehmen der Eurozone, bei knapp 4.000 Punkten und damit auf dem Niveau der Marktkorrekturen im Juli und September 2021. Der Preisrutsch ist keinesfalls vergleichbar mit dem Einbruch im März 2020, erfolgt aber – anders als damals – in einem eh schon schwachen Marktumfeld.

Abbildung 1: Preisentwicklung des EuroStoxx50 (1 Kerze = 1 Woche)

Am Donnerstag unterschritt der Index Intraday die Schwelle von 3.800 Punkten. Dank der Hoffnung auf ein rasches Ende der Kriegshandlungen erlebten die Aktienmärkte ab Handelsbeginn in den USA einen dynamischen Rebound.
Die Rede des US-Präsidenten zur Nation verstärkte den Trend, der durch ein “Kaufen, wenn die Kanonen donnern” eingeläutet wurde. Gemäß Bloomberg breitete sich an den Märkten eine patriotische Stimmung aus. Als an der Wallstreet die Schlußglocke klingelte, riefen einige voller Inbrunst “USA, USA …”. Am Freitag setzte sich der Rebound fort.

Abbildung 2: Preisentwicklung des EuroStoxx50 (1 Kerze = 1 Monat)

Gerade der Fakt, dass der Rebound in einem etablierten Abwärtstrend sehr dynamisch ausfällt, macht Hieronymus mißtrauisch. Die Marktreaktion trägt alle Anzeichen einer kurzlebigen, trendbestätigenden Baermarketrallye.

In Marktkommentaren wird auf einen geringeren Zinsdruck durch die Geldpolitik der Notenbanken hingewiesen. Das allein rechtfertige Preisaufschläge bei Aktien, schreiben die Journalisten. Zugegeben: Eine Kriegswirtschaft hat ihre eigenen Regeln. Es ist jedoch kein Szenario vorstellbar, dass zu einer Abflachung des Inflationsdrucks führt. Die Hoffnung, dass die Notenbanken unisono an der Nullzinspolitik festhalten, entstammt dem Wolkenkuckucksheim.

Ein Blick auf den Langzeitchart (Abb. 2) zeigt die Top-Bildung des Index sehr deutlich. Die Leistungsfähigkeit der europäischen Ökonomie entspricht aktuell der VorCorona-Periode. Der EuroStoxx 50 notiert aber 500 bis 1.000 Punkte über dem Preisniveau von 2019.

Der Kriegsbeginn in der Ukraine macht das Szenario einer Rückkehr in die VorCorona-Preisrange von 3.000 bis 3.500 Punkten im EuroStoxx Index wahrscheinlicher.

Die Marktteilnehmer haben gelernt, dass die Kombination aus Geld- und Fiskalpolitik jede Preisdelle des Aktienmarkts eine Kaufgelegenheit ist. Jede krisenhafte Entwicklung wird durch immer mehr Geld beantwortet. Das könnte auch nun wieder »helfen«.

Das Problem einer Kriegswirtschaft: Es werden Waffen und Munition produziert. Das sind konsumtive Ausgaben; sie tragen nur kurzfristig und einmalig einen positiven Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt bei. Investition in den European Green Deal ziehen multible Folgeerträge nach sich und erzeugen einen langfristigen konjunkturellen Fußabdruck. Trotzdem dürften sich die Gesellschaften für die Kriegswirtschaft und gegen Investitionen in eine nachhaltige Ökonomie aussprechen.

Patriotismus als Chance

In einer Kriegssituation aktivieren alle Beteiligen ihre Propagandawerkzeuge. Die NATO-Staaten sind indirekte Kriegsbeteiligte. Deshalb müssen alle politischen Äußerungen mit dieser Brille betrachtet werden. Sehr schön kann man dieses Umschalten des Kommunikationsmodus übrigens bei der deutschen Außenministerin beobachten.

Wie oben ausgeführt, hat die Rede des US-Präsidenten bereits am Donnerstag die gewünschten Ergebnisse gezeigt. Für die USA könnte diese Entwicklung kurzfristig vorteilhaft sein. Schließlich bietet es dem gewieften Rhetoriker Biden die Chance, die gesellschaftlichen Gräben zu schließen. Da die USA kaum unter den Sanktionen leidet, ist der Ausblick für die US-Wirtschaft konstruktiv. Trotz höherer Bewertung und unbestrittener Preisexesse sind US Aktien- und Währungs-Engagements nun attraktiv.

Handelsbeziehungen

Investments in Europa müssen hingegen überdacht werden. Viele börsennotierte Unternehmen haben Niederlassungen oder Fertigungsstätten im Kriegsgebiet oder in Russland. Die Abnabelung Russlands vom SWIFT-Zahlungssystem erzwingt eigentlich eine sofortige Schließung dieser Unternehmensbereiche. Das betrifft die Autobauer Stellantis, Renault, Volkswagen, die Raiffeisen Bank, alle französischen, italienischen und deutschen Banken, natürlich sämtliche Energieunternehmen, insbesondere BP und Total.

Den Niederlassungen der Banken in Russland kommt eine besondere Rolle zu. Sie sind von dem Sanktionen ausgenommen und stellen nun die letzten Verbindungen des russischen Geldsystems zur Außenwelt. Hierüber können Energieexporte Russlands abgerechnet und die Produktion in den ausländischen Fertigungsstätten finanziert werden – zumindest theoretisch. Es ist eine politische Entscheidung, ob und welche Geldflüsse über die verbliebenen Auslandsbanken in Russland abgewickelt werden können.

Die Ukraine exportiert C4F6 und Neon, zwei inerte Gase für die Halbleiterindustrie. Bisher lieferten die Fabriken die Hälfte des globalen Bedarfs. Insbesondere die Unternehmen im sächsischen CyberValley sind betroffen. Die aktuelle Marktschwäche von Infineon hat in dieser Abhängigkeit ihre Ursache.

Cyberwar

Das moderne Kriegshandwerk wird maßgeblich mit Maus und Tastatur ausgeübt. Drohnen übernehmen auf den realen Kampfplätzen die Drecksarbeit. Sie werden aus sicheren Kommandoständen gesteuert.

Virtuelle Kampfplätze sind mindestens genauso kriegsentscheidend. Die Ukraine hat alle Menschen mit Programmiererfahrung aufgefordert, Hackerattacken gegen die russische Infrastruktur zu starten.

Die Ukraine war unmittelbar vor dem Einmarsch der russischen Armee Opfer eines wiper-Cyberangriffs. Dabei werden die Festplatten der infizierten Computer irreversibel gelöscht (»gewiped«). Neben ukrainischen Unternehmen und Behörden waren auch Unternehmen in Litauen und Estland vom Cyberangriff betroffen. Russland ist gemäß des »Microsoft Digital Defence Report« (Oktober 2021) für 58 Prozent aller globalen Cyber-Attacken gegen staatliche Einrichtungen verantwortlich. Hauptangriffsziele: USA, UK und die Ukraine. Letztere hat sich seit 2014 zum “Ground Zero” für Cyberkriminalität entwickelt. Russland und die Ukraine führen seit der Besetzung der Krim einen immer schmutzigeren Cyberkrieg. Das so aufgebaute KnowHow ist ein großer Exportmarkt für das Land: 100 der 500 Fortune 500-Unternehmen nutzen ukrainische IT-Dienstleistungen für die eigene Cyber-Abwehr.

Unternehmen der kritischen Infrastruktur aller Nato-Staaten müssen perspektivisch mit immer ausgefeilteren Angriffen rechnen. Dazu gehören neben Banken Versorger, Transportunternehmen, Fluggesellschaften, die Bahn und natürlich Telekommunikationsunternehmen. Hier drohen dauerhafte Kostensteigerungen. Es gibt (neben den Hackergruppen) natürlich auch Profiteure: Cybersicherheitsunternehmen. Die meisten sind aber nicht börsennotiert. Man darf gespannt sein, wie sich diese Branche nun neu ordnet, welche Kooperationen eingegangen werden, welche Newcomer den Markt für sich besetzen werden.

Ressourcen

  • Crisis dents hopes for worldwide economic rebound, FT 26.2.2022
  • Stiftung Wissenschaft und Politik Russischer Angriff auf die Ukraine: Zeitenwende für die euro-atlantische Sicherheit
  • Companies rush to build cyber defences in Ukraine-Russia conflict, FT 25.2.2022
  • Russia unleashed data-wiper malware on Ukraine, The Guardian 24.2.2022
  • Ukraine invasion risks scrambling the logic of cyber security, FT 24.2.1022
  • This Is How They Tell Me The World Ends, Nicole Perlroth, https://thisishowtheytellmetheworldends.com/, Bloomsbury Publishing 2021
  • Russian attack poses threat to supply chains, FT 24.2.2022