Hoppla. War da nicht noch was? Decentralized Finance! Die Nerds im Krypto-Space nehmen sich die profitablen Geschäftsprozesse der Banken vor, atomisieren sie und betreiben diese zu einem Bruchteil der Kosten. Nach dem grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr ist nun der Kreditmarkt an der Reihe. Das Kerngeschäft der Deutschen Bank. Wo die Damen und Herren Analysten bei der Deutschen Bank nachhaltige Wachstumspotentiale sehen, erschließt sich Hieronymus nicht1.
In vielen Punkten sind sich die Marktkommentatoren in den Medien uneins. Konsens bestand in der vergangenen Woche in einem Punkt: Die Intraday-Preisveränderungen sind brutal.
In einer Notiz auf LinkedIn wies ein Analyst von JP-Morgan auf den Zusammenhang der Markttiefe und der Schwankungsneigung hin. Er bestätigt den Hinweis im finalen Wochenbericht 2021 (Abb.6), in der Hieronymus die Divergenz zwischen der Aktienpreisentwicklung und der Marktbreite bemängelte.
JPM fügt dieser Observation eine Analyse der Futuresmärkte in den USA hinzu.
Proxies for market depth, market breadth and the share of ETFs in equity trading are all pointing to severe deterioration in liquidity conditions this year to levels last seen in March 2020. In particular, the market depth metric for the S&P500 e-mini futures contract, based on the average number of contracts at the tightest bid/ask, has been deteriorating steadily since last September and currently stands at its lowest level since March 2020 at the peak of the pandemic correction. This poor liquidity picture raises the probability of large equity market moves either way, but it does not necessarily imply capitulation in terms of investors’ equity positioning
Der e-mini-S&P-500 Future ist inzwischen ein Proxy für das Marktverhalten institutioneller Marktteilnehmer. Retail-Trader sind größtenteils auf den e-micro-Futureskontrakt ausgewichen. Im e-mini-Kontrakt beobachtet JPM eine stetig zurückgehende Liquidität. Bereits kleine Orders, die schnell ausgeführt werden sollen, haben vergleichsweise große Wirkungen.
Die Analysten müssen für einen adäquaten Vergleich bis in den März 2020 zurückgehen. Auch damals divergierten Fundamentaldaten und Zukunftserwartungen maximal.
Der letzte Satz des Zitats ist entscheidend: Eine Kapitulation der Marktteilnehmer hat noch nicht stattgefunden. Das bedeutet übersetzt: Solange die Terminmärkte maßgeblich für Volatilität sorgen, ist die Phase großer Preisschwankungen nicht abgeschlossen. Im März 2020 beendete erst ein deutlicher Abverkauf auch aus konservativen Aktiendepots diese Marktphase.
Das muss sich nicht wiederholen. Kann aber.
Nachdem die Marktpreise in den USA markant gesunken sind, graben einige in historischen Daten. Die oben abgebildete Verteilungskurve von Jahresergebnissen für den US-Aktienmarkt zeigt schön die schiefe Normalverteilung. Rein statistisch sind einige negative Aktienmarktjahre überfällig. Das wäre konsistent mit der von Hieronymus präferierten Einordnung der Gegenwart als Frühphase im Kontratjew-Strukturzyklus.
Noch prägen die Schatten des vorigen Strukturzyklus die Finanzmärkte, das sei in den beiden nächsten Kapitel exemplarisch dargelegt.
Apple hat am Donnerstag nach Börsenschluß Quartalszahlen veröffentlicht: Umsatz: 124 Mrd. $ (+ 11% YoY), Ertrag: 34,6 Mrd. $ (+ 20 % YoY). Die Marktreaktion: + 6,9 %. Mehr als die Hälfte des Umsatzes erwirtschaftet Apple durch den Verkauf von iPhones (71,6 Mrd. $). Bis auf Japan setzte Apple in allen Industrieländern mehr Geräte ab, als im Q4 2020.
Der Konzern schüttet aktuell 27 Mrd. $ pro Quartal über Aktienrückkäufe an die Aktionäre aus. Für Forschung und Entwicklung werden pro Quartal 6 Mrd. $ verwendet.
Apple melkt also seine Cash-Cows und wendet gerade so viel Kapital auf wie nötig, um nicht den Anschluß zur Konkurrenz zu verlieren. Das lässt zwei Schlüsse zu: Apple ist so groß, dass es allein durch seine Präsenz den Markt bestimmt (und technische Entwicklungen hemmt) oder der Markt ist bereits so ausgereift, dass nur noch inkrementelle Verbesserungen möglich sind.
Apple hat das Kunststück vollbracht, als einziges US-Unternehmen ein ganzes Marktsegment in China prägen zu dürfen. Der Umsatz in China verbesserte sich um 21 % (auf 26 Mrd.$) , doppelt so viel, wie in den USA (auf 51 Mrd. $). Apple verkaufte mehr Smartphones als Huawei. Die chinesische Führung lässt es zu, dass Apple in China Monopolgewinne abschöpft und gleichzeitig die heimischen Anbieter wegen bestehender US-Exportverbote für hochintegrierte Chips Marktanteile verlieren.
Das freut die Aktionäre, darunter auch viele Beamte und Abgeordnete in den Kammern des US-Parlaments. Vermutlich ist das der Hauptgrund, weshalb alle Bemühungen, die Marktmacht des Konzerns zu beschneiden, im Sande verlaufen.
Der Konzern ist ein globaler Geldstaubsauger, der immer noch vom unsäglichen globalen Steuerunterbietungswettbewerb profitiert.
Rekapitulieren wir die Fakten und Entwicklungen: Der Konzern ist mit einer Marktkapitulation vom 3 Billionen US-Dollar das global wertvollste Unternehmen. Er schüttet seit einigen Jahren zwischen 60 und 80 Prozent des Gewinns an die Aktionäre aus. Forschung und Entwicklung werden stiefmütterlich behandelt. Es gelingt, allein durch Marktmacht Monopolerträge zu realisieren. Speziell in China exerziert Apple US-Imperialismus in Reinform. Hieronymus wundert sich seit längerem, dass der Konzern dieses Geschäftsmodell unangefochten immer weiter fortsetzen kann.
Der Konzern verkörpert einen Monopolkapitalismus, der sonst nur in Diktaturen anzutreffen ist. Er vereint im Jahr 2022 technologische und politische Macht wie zuletzt Standard Oil zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Damals dauerte es fünf Jahre, bis ein rechtsstaatliches Zerschlagungsurteil erging.
Im Jahr 2019 »erfand« Facebook die digitale Währung Libra. Man hatte große Pläne und gründete – ganz nach dem Vorbild erfolgreicher Digitalwährungen – eine Nonprofit-Organisation in der Schweiz (Wochenbericht 25/20). Aus einer Facebook-Digitalwährung wurden nach massiver Kritik seitens der Notenbanken ordinäre off-chain Stablecoins. Selbst diese konnte die inzwischen zu Diem umbenannte Stiftung nicht platzieren. Nun wurde das Projekt für immerhin noch 200 Mio. $ an die Silvergate Bank verkauft.
Vermissen wird man Diem nicht. Im Krypto-Space mangelt es schließlich nicht an mehr oder weniger ausgereiften Stablecoins. Die Strukturen der Unterstützer des Diem-Projekts standen einer raschen Marktadaption entgegen. Während sich die Manager in der Schweiz an Masterplänen abarbeiteten und immer wieder von der Finanzaufsicht zurückgepfiffen wurden, schafften junge Entrepreneure im Krypto-Space mit DAI, USDT und USDC Fakten. Auch Stablecoins für Euro, türkische Lira, den brasilianischen Real, den argentinischen Peso, den koreanischen Won und natürlich den japanischen Yen werden rege gehandelt.
Diese Episode zeigt, welche Gefahr von dominanten Monopolunternehmen wie Apple, Facebook, Google & Co ausgeht. Es ist schlicht Zufall, dass sich die alternativen Stablecoins trotz des Scheiterns der Bemühungen eines Monopolisten durchgesetzt haben.
Eine andere Kommentierung dieser Meldung spricht Facebook die Fähigkeit ab, zeitgemäße Projekte überhaupt noch zu stemmen. Schließlich ist der Konzern in den vergangenen Jahren nur noch durch Zukäufe am Puls der Zeit geblieben. Schaut man sich die Plattformen Facebook und WhatsApp heute an, stellt beinah eine nostalgische Stimmung ein, so wenig hat sich in den letzten Jahren verändert.
Der jetzt offiziell als Meta firmierende Konzern möchte sich mit seiner gesamten Marktmacht an die Spitze des »Metaversums« setzen, einer virtuellen, realtime 3D-Parallelwelt. Hier findet sich der Konzern in exakt der gleichen Position, wie mit Libra im Jahr 2019. Im Digitalen Raum existieren bereits mehrere habwegs funktionierende Projekte, die sich mit Lichtgeschwindigkeit weiterentwickeln. Wie Facebook hier nur den Anschluß halten will, ist Hieronymus ein Rätsel.
Die Evergrande Immobilienpleite zieht weitere Kreise. Der überschuldete chinesische Projektentwickler stellte seine Zinszahlungen für Anleihen ein, die im Ausland platziert wurden. Bei besicherten Anleihen können Gläubiger die hinterlegten Sicherheiten dann in Besitz nehmen. Oaktree tut dies und wiederholt so chinesische Kolonialgeschichte: Die Briten zwangen China 1843 die Stadt Hongkong abzutreten. Diese Kränkung ist tief im kollektiven Gedächtnis verwurzelt. Das macht eine Lösung nicht einfacher.
Es geht um das Tourismusprojekt Venedig (siehe Bild). Es ist schwer vorstellbar, dass ein US-Vermögensverwalter Immobilien an sich reisst und dann die Geschicke der Ferienstadt inklusive Hotel und Konferenzcenter bestimmt. Niemand kann verhindern, dass Oktree kleine US-Enklave am chinesischen Meer eröffnet. Ebenso wenig vermittelbar ist es, wenn die chinesische Regierung ausgerechnet einem ausländischen Investor die Immobilien zu einem Vorteilspreis abkauft, während chinesische Kleininvestoren auf ihren Verlusten sitzen bleiben. Kaum absehbar ist der Reputationsschaden, wenn China vertragsbrüchig wird.
Wohl um den Entscheidungsdruck zu erhöhen, beanspruchte Oaktree in der vergangenen Woche das Versaille Manson in Hongkong. Das eskaliert das Thema auf die höchste politische Ebene und durchkreuzt ganz nebenbei die Restrukturierungspläne von Evergrande.
Das Grundstück hat eine Top-Lage, das Projekt ist ebenso ein Vorzeigeprojekt, wie das obige Venice. Oaktree hat sich zwei Perlen des Immobilienportfolios der Evergrande gesichert. Die übrigen Gläubiger haben nun das Nachsehen und eine erfolgreiche Restrukturierung des Evergrande Immobilienportfolios ist erheblich unwahrscheinlicher. Oaktree treibt selbstbewußt alle vor sich her: Evergrande, die anderen Gläubiger und Spitzenpolitiker beider Supermächte.
Wäre die Türkei kein G20 Staat und kein relevanter politischer und ökonomischer Faktor in direkter Nachbarschaft, würde sich Hieronymus gelangweilt abwenden.
Der Staat ist aber ein wichtiges Element im derzeitigen Prozess der De-Globalisierung. So verlagert beispielsweise Hugo Boss zwecks Straffung der Prozessketten einen Teil seiner asiatischen Fertigung in die Türkei. Ein wirtschaftlicher Kollaps hätte negative Konsequenzen für europäische Unternehmen.
Am Freitag wurde bekannt, dass der Staatspräsident persönlich den Chef des Statistikamts entlassen hat. Am 3. Februar steht die Veröffentlichung der Inflationsdaten für den Januar an.
Im Vorfeld divergieren die Erwartungen deutlich: Der türkische Finanzminister erwartet eine Inflationsrate von 40 Prozent, ausländische Beobachter (z.B. Goldman Sachs) gehen eher von 48 Prozent aus. Die Unschärfe beträgt immerhin 20 %.
Ein Großteil der Löhne in der Türkei sind inflationsgebunden. Weist das Statistikamt die Inflation niedriger aus, geht den Beschäftigen Kaufkraft verloren. Weist es die Inflation höher aus, sinken die Gewinnmargen der Unternehmen. Wohl niemand erwartet, dass die Zahlen der Realität entsprechen.
Seit die Scheichs in den Arabischen Emiraten Mitte Januar der Türkei einen Kredit über 5 Milliarden Dollar einzig zum Zweck der Stabilisierung der Zentralbankreserven eingeräumt haben, handelt die türkische Lira recht stabil bei 13,55 Dollar pro Lira.
Das bedeutet nicht, dass wir die Bank für nicht investierbar halten. Der Wert eigenet sich hervorragend für eine gepflegte Seitwärtsrendite per Stillhaltertrades. Ein simples Halten der Aktie ist wenig zielführend. ↩