Die Q1-Berichtsssaison ist angelaufen. Finanzmarktteilnehmer erwarten Hiobsbotschaften, die die aktuellen Marktpreise rechtfertigen. Große Preisverwerfungen sind nicht zu erwarten. Unternehmen können nun sogar gefahrlos Leichen aus dem Keller entsorgen (siehe Wochenbericht 10: Big Bath). Die Einblicke in die Realität bei den Unternehmen ermöglichen erstmals eine Anpassung der Fundamentaldaten. Trotz deutlich zurückgekommener Marktpreise sind Aktien aktuell so teuer, wie zuletzt im Jahr 2000. 2001 platzte die Dot.Com-Blase. Die Kennzahl Forward PE, also das Verhältnis der aktuellem Marktkapitalisierung zu zukünftigen Erträgen, steigt in dem Maße, wie die Unternehmen ihre Prognosen senken. Es ist ein Gradmesser für das Ausmaß der derzeitigen Spekulation auf eine schnelle Rückkehr zur Welt vor dem Ausbruch der Pandemie.
Negative Ölpreise. Terminkontrakte von Öl der Sorte WTI beziehen sich auf physisches Öl, der Käufer eines Futures muss zur Fälligkeit tatsächlich die im Kontrakt festgelegte Menge an Öl abnehmen. Das Öl wird vom Verkäufer termingerecht an den im Kontrakt festgelegten Übergabeort transportiert. Das ist bei WTI das Öllager in Crushing. Dieser Umstand führte in der vergangenen Woche zur absurden Situation, dass der Marktpreis des Ölfutures negativ wurde. Da die Lagerkapazität erschöpft war, explodierten die Kosten der Anmietung von Öltanks, die der Futureskäufer zu tragen hatte.Abbildung 1: Preisverlauf für Öl der Sorten WTI (blau, rechte Skala) und Brent (grün, linke Skala)
Nach dem Kontraktwechsel beruhigte sich die Situation wieder. Terminkontrakte der Sorte Brent (Nordsee-Öl) werden Cash gesettelt. Anstatt Öl fließt hier nur Geld. Der Kontrakt weist deshalb keine Preisanormalität auf. Der Preisverlauf beider Ölsorten zeigt den deutlichen Angebotsüberhang und den nicht abgeschlossenen Preisverfall.
Energieunternehmen: Wirkt Disinvestment? Energieaktien, wie Shell, Exxon, Total, Eni gelang es in der Vergangenheit, trotz immer lauteren Befürchtungen, die bilanzierten Vorräte müssten größtenteils als »stranded Assets« abgeschrieben werden, institutionelle Investoren über hohe Dividendenzahlungen zu halten. Diese Bastion fällt gerade. Der kollabierende Ölpreis versieht zukünftige Ausschüttungen mit einem immer größeren Fragezeichen. Royal Dutch Shell nahm noch am 31. März einen Kredit über 12 Mrd. $ auf, um 2020 Dividenden zahlen zu können. Branchenweit wurden Aktienrückkäufe gestrichen, Zukunftsinvestitionen ausgesetzt und bestehende Kreditlinien ausgereizt. Angesichts halbierter Aktienpreise weisen die Unternehmen aktuell astronomische Dividendenrenditen aus (Shell: 10,6%). Welchen Nutzen stiften die Ausschüttungen angesichts viermal größerer Buchwertverluste? Die Turbulenzen am Ölmarkt haben Auswirkungen auf Langzeitinvestments bei Energieaktien. Diese dienten Pensionskassen in der Vergangenheit als Proxy für die Assetklasse Öl. »Langfristig war ein Investment in Energiewerte eine Möglichkeit, die hochspekulative Assetklasse Öl durch ein konservatives Investment abzubilden.« Energiewerte dienten auf Portfolioebene als Shockabsorber für die Ertragsquelle Öl. Jetzt stellt sich die Frage nach zukünftigen Erträgen der Assetklasse Öl und damit nach der Sinnhaftigkeit eines Investments in das Proxy. Aufwind haben natürlich alle, die bereits seit Jahren für Disinvestments in fossile Energieträger trommeln und die Basis der Energieaktien ausgehöhlt haben. Das Ergebnis: Neben stoischen Langzeitinvestoren sind nur noch Spekulanten engagiert. Das macht die Aktien anfällig und katalysiert weitere strategische Verkäufe.
Eine Übersicht der aktuellen Situation der Luftfahrtgesellschaften hat Euractiv zusammengestellt. ↩