Wochenbericht 15

Archillesverse Schwellenländer

Industriestaaten können schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme auflegen. Schwellenländer sind auf die Staatengemeinschaft und den guten Willen der Gläubigergemeinde angewiesen. In Pandemiezeiten müssen alle an einem Strang ziehen. (Nur) Dann verlieren alle wenig.

(Stuttgart, 10. April) Ostern ist das höchste christliche Fest. Es fällt nicht ohne Grund mit dem Frühlingsanfang in der nördlichen Hemisphäre zusammen. Nach dem dunklen und kalten Winter erwarten die Menschen sehnsüchtig die Rückkehr des Lebens in der warmen, hellen Jahreszeit.

Das gilt insbesondere im Jahr 2020.

An den Kapitalmärkten war der Winter diesmal besonders ausgeprägt. Zuletzt fegte sogar ein apokalyptischer Blizzard über das ausgezehrte Land.

Um so wichtiger ist es, die Hoffnung auf eine baldige Besserung der Lage aufrecht zu erhalten. Dieser Aufgabe kommt die Politik geradezu vorbildhaft nach. Nach dem Lock Down richten sich die Blicke jetzt auf das Wie der Aufhebung der Einschränkungen. Gern orientiert man sich an offensichtlich unrealistischen Szenarien, beispielsweise, die von D.T. propagierte Aufhebung aller Einschränkungen in einem Big Bang. Das hat zu Ostern bekanntlich leider nicht geklappt. Jetzt peilt man eben den 1. Mai an. Die Vorstellung, einfach den Schalter umzulegen und dann ist alles wie vorher, ist einfach zu schön.

Internationaler Währungsfonds zeichnet düsteres Konjunkturbild

Verlässt man die Ebene der Politik verdüstert sich das Bild drastisch. Institutionen und Politikberater werden weniger an Zustimmungsraten und Wahlergebnissen gemessen. Ihre Reputation bemisst sich an der Validität ihrer Schlußfolgerungen. Internationale Organisationen, wie World Bank und Internationaler Währungsfond (IMF), sind gefordert, die ökonomischen Schäden der aktuellen Pandemie supernational so gut es geht zu kitten.

Sie stellen Ländern, die keine eigene Geldschöpfung betreiben können, zinsgünstige US-Dollar-Kredite für das akute Krisenmanagement und auch die Finanzierung keynesianischer Maßnahmen bereit. Die Kreditvergaben dürften 2020 ein noch nie erreichtes Ausmaß annehmen.

In den letzten drei Wochen haben mehr als 90 Länder IMF und Weltbank um Unterstützung gebeten. Doppelt so viele, wie 2008. Der IMF stellt eine Notfall-Kreditfacilität über 100 Mrd. $ bereit. Auf der (virtuellen) Frühjahrstagung proklamiert Kristalina Georgieva, die Vorsitzende, dass der IMF insgesamt 1 Billion Dollar für Strukturhilfskredite bereitstellen kann. Das ist dringend geboten. Für die Schwellenländer prognostiziert der IMF eine Rezession bisher unbekannten Ausmaßes.

Verschuldung der Schwellenländer

Bereits vor der Pandemie erreichte die Verschuldung von Schwellenländern historische Niveaus. Dies wurde nicht als Gefahr angesehen, weil sich die Länder gleichzeitig zu historisch günstigen Zinssätzen refinanzieren konnten. Die Schuldentragfähigkeit schien gesichert.

Doch das Bild hatte bereits vor der Pandemie Risse. Dies zeigt sich schön im Preisverlauf des argentinischen Century-Bond.

Abbildung 1: Preisverlauf der 2017 emittierten argentischen Staatsanleihe mit 100 Jahren Laufzeit

Die Anleihe notiert unterhalb von 30 %, für eine Nominale von 1000 $ zahlt man also weniger als 300 $. Das Papier ist mit einem üppigen Kupon von 7,125 % ausgestattet. Damit erzielt ein Investment eine Rendite von 21,6 % p.a. Das Land muss die Anleihe nur fünfmal bedienen, um ein Engagement zu rechtfertigen. Aber wie wahrscheinlich ist das? Die letzte Zahlung war bereits ein Kraftakt. Die Überweisung von 60 Mio. $ an die Gläubiger erfolgte am 30. Dezember 2019. Darüber wurde sogar in den Tageszeitungen berichtet. Der IMF zog bereits im Februar eine ernüchternde Bilanz: “Argentina’s debt and debt service capacity have deteriorated decidedly. (…) IMF staff now assesses Argentina’s debt to be unsustainable. (…) A meaningful contribution from private creditors is required to help restore debt sustainability”

Seitdem ist die Rendite für den Century-Bond nochmals deutlich gestiegen, der Marktpreis ist von 50 auf unter 30 Prozent gesunken. In der vergangenen Woche ließ das Land den Zahlungstermin für die Bedienung einer USD-Anleihen verstreichen. Das entspricht einem technischen Default. Das der Marktpreis für den Century-Bond danach gestiegen ist, zeigt die Irrationalität der aktuellen Preisentwicklungen nur zu deutlich.

Private Gläubiger sollen verzichten

Die Niedrigzinspolitik des letzten Jahrzehnts zeigt bei den Schwellenländern ungewollte Nebeneffekte. Die ausgegebenen Staatsanleihen werden sukzessiv fällig. Sie müssen entweder getilgt oder refinanziert werden1. Ersteres ist angesichts der Aufgaben im Zuge der Pandemiebekämpfung sehr unwahrscheinlich. Bleibt nur die Hoffnung, neue Anleihen zu tragfähigen Konditionen emittieren zu können.

Abbildung 2: Refinanzierungsbedarf von Schwellenländern vervierfacht sich bis 2024

Dies ist aus heutiger Sicht eher unwahrscheinlich. In der vergangenen Woche haben deshalb 21 Entscheidungsträger aus diversen afrikanischen Staaten private Gläubiger von Staatsschulden aufgefordert, freiwillig die Bedienung und Tilgung von Anleihen im Wert von 115 Mrd. $ für zwei Jahre zu stunden. Diese Forderung wird auf der Frühjahrstagung von IMF und Weltbank diskutiert werden. Sollten sich IMF, Weltbank und China als größte Gläubiger hinter die Initiative stellen, müssten die übrigen Gläubiger wohl nachziehen.

Dann könnte der IMF den Ländern weiterhin eine Schuldentragfähigkeit attestieren, im Herbst sein Füllhorn öffnen und massiv Konjunkturprogramme in den Staaten finanzieren.

Fazit: Mit viel guten Willen und geeinten Kräften könnte es gelingen, die ökonomischen Konsequenzen der Pandemie in den Schwellenländern auf ein erträgliches Maß zu begrenzen. Hierfür ist erstens sehr viel Geld nötig, dass nur zu einem kleinen Teil wieder zurück gezahlt werden kann. Zweitens müssen alle Stakeholder Einbußen hinnehmen, auch die privaten Gläubiger.

Wie realistisch ist dieses Szenario? Nun – zu Ostern liegen schließlich auch an den unmöglichsten Orten bunte Eier.

Die Woche an den Finanzmärkten

  • Bank of England druckt Geld
    Die britische Regierung muss keine Staatsanleihen auflegen, um Konjunkturpakte zu finanzieren oder Firmen zu verstaatlichen. Sie kann hierfür auf ein Kontokorrentkonto mit unbegrenzter Darlehenshöhe und Null Prozent zinsen zurückgreifen. Das Konto hat den bezeichnenden Titel: Ways and Means Facility und wurde von der britischen Notenbank eingerichtet.
    Die Bank of England(BoE) hatte das Konto bereits 2008 für die akute Krisenfinanzierung geöffnet. Damals erreichte der Kontostand 20 Mrd. £. Noch vor einer Woche hatte Andrew Bailey, der neue BoE-Vorsitzende, es kategorisch abgelehnt, den Staatshaushalt direkt zu finanzieren. Zu groß sei die Gefahr einer unkontrollierten Kettenreaktion, schrieb er am 5. April in der FT. Damals äußerte er allerdings auch Bedenken, dass der Handel mit britischen Staatsanleihen (Gilt’s) noch ordnungsgemäß verläuft. Die direkte Finanzierung des Staatshaushalts umgeht den Rentenmarkt und senkt dort möglicherweise den Stresslevel.
    Was bleibt, ist ein ungutes Gefühl. Eine weitere Bastion ist gefallen, die BoE überschreitet eine Grenze, die sehr leicht die Währung destabilisieren kann (siehe Deutschland 1923, Simbabwe und Venezuela).

  • Notenbanken von Schwellenländern kaufen Staatsanleihen.
    Die Zentralbank von Kolumbien kauft Staatsanleihen und Verbindlichkeiten von Staatsunternehmen auf. Das brasilianische Parlament bereitet ein entsprechendes Ermächtigungsgesetz für die eigene Notenbank vor. Die Währungen der Länder haben in den letzten Wochen deutlich gegenüber US-Dollar, Yen und Euro abgewertet. Fremdwährungsverbindlichkeiten sind entsprechend teurer geworden. Dieser Prozess dürfte durch die QE-Maßnahmen verstärkt werden.
    Andererseits: Gelingt es auch den Notenbanken von Schwellenländern mittels ultralockerer Geldpolitik die Marktzinsen dauerhaft zu senken (anstatt eine Inflation auszulösen), öffnet dies die Türen für ähnliche Maßnahmen in einer ganzen Reihe von Ländern.

  • Restrukturierungen von Staatsschulden.
    Immer mehr Schwellenländer verhandeln mit ihren Gläubigern über die Aussetzung von Zinszahlungen und andere Maßnahmen zur Reduzierung der Schuldenlast. Die Pandemie legt schonungslos latente Schwächen der Volkswirtschaften offen: Libanon hat bereits im Februar die Bedienung seiner Anleihen eingestellt. Das libanesische Pfund ist fest an den US-Dollar gekoppelt. Die Staatsanleihen sind in lokaler Währung denominiert. Nun kündigte der Finanzminister die Aufhebung der Währungskopplung an. Die Gläubiger (darunter dem IMF) erwarten einen Wertverfall von 70 %.
    Equador hat sein öffentliches Leben ebenfalls stillgelegt. Dort lastet zusätzlich zur Pandemie der starke Ölpreisverfall auf der Volkswirtschaft. Das Land hat die Bedienung seiner Anleihen zunächst eingestellt und die Gläubiger (IMF) zu Verhandlungen über eine Restrukturierung eingeladen. Damit folgt das Land Sambia, dass wegen den fallenden Kupferpreisen bereits am 31.3. diesen Weg beschritt. Auch Argentinien ist wieder mal technisch Default, bereits vergangene Woche wurden Zinszahlungen auf eine 10 Mrd. $ schwere USD-Anleihe ausgesetzt (s.o.).
    Die nächsten Pleite-Kandidaten zeichnen sich bereits ab. Angolanische Staatsanleihen weisen Renditen von mehr als 20 % aus. Dort ist die Abhängigkeit von Ölexporten das Hauptproblem. Auch Tunesien und Bahrain werden als Resturkturierungskandidaten gehandelt. Bereits im Oktober warnte der IMF vor einer drohenden Überschuldung von 34 Schwellenländern. Das damals aufgeworfene Negativszenario scheint nun Realität zu werden.
  • USA: Arbeitsplatzaufbau seit 2008 in drei Wochen egalisiert.
    Am Freitag wurden wieder neue Daten zu Erstanträgen auf Arbeitslosengeld veröffentlicht. Im Wochenverlauf meldeten sich wiederum mehr als 6 Millionen Bürger arbeitslos. Seit März sind damit mehr als 16 Millionen US-Bürger mindestens temporär ohne Arbeitsplatz. Die Anzahl regulär Beschäftigter ist damit auf dem Niveau der Finanzkrise angekommen. Für die nächste Woche wird eine Fortsetzung des Trends erwartet.
  1. Zum Jahreswechsel 2019/20 belief sich das Volumen ausgegebener Staatsanleihen in den Frontier-Staaten auf mehr als 200 Mrd. $. Durchschnittlich geben die Staaten 0,8 % ihres GDP für die Zinszahlungen aus. Der eigentliche Engpass sind die Währungsreserven der Staaten, schließlich erfolgt die Verschuldung in USD. Die Staaten mussten bereits 2019 durchschnittlich die Hälfte ihrer Währungsreserven für Zinsszahlungen an die Gläubiger aufwenden. Bereits vor der Corona-Pandemie waren die Fragezeichen groß, ob die Länder ihren Verpflichtungen nachkommen können. Hierfür braucht man nun ein Wunder.