Wochenbericht 46

Help is on the way

Begeistert feiert die Welt den Durchbruch bei der Pandemiebekämpfung. Zufall oder nicht, zeitgleich kehrt wieder Normalität in die US-Politik ein. Das bedeutet: Minischritte und langweilige Stehempfänge anstatt rauschender Poolparties. Auch und gerade an den Kapitalmärkten.

Stuttgart, 14.November 2020.

Wer am Dienstag der vergangenen Woche ab dem späten Vormittag auf die Kurstafeln der Aktienbörsen schaute, traute seinen Augen kaum. Quasi alle Corona-Verlierer glänzten mit zweistelligen Tagesgewinnen.

Tui

Dies sei exemplarisch am Preisverlauf der Tui dargestellt

Abbildung 1: Intraday-Preisentwicklung der Tui (Quelle: FT)

Die Meldung, dass Pfizer und BioNTech einen ersten Feldversuch mit einem COVID-19-Impfstoff erfolgreich abgeschlossen hatten und nun eine Schnellzulassung beantragen würden, elektrisierte Handelsroboter auf der ganzen Welt. Stur zogen sie das hinterlegte Maßnahmenpaket durch. Das sah für diesen Fall den Kauf der Underdogs des Jahres vor.

Unter sehr hohen Umsätzen legte allein die TUI bis zu 35 Prozent zu. Am Mittwoch kletterte der Kurs ab dem Handelsbeginn bis Mittags stetig weiter. Jetzt waren vermutlich Vermögensverwalter als Käufer aktiv. Der Aktienpreis ging auch an den Folgetagen nicht unter den Tagesschlußkurs am Dienstag zurück. Sehr interessant ist auch die Volumenentwicklung der letzen Handelstage: Zum Handelsschluß wurden bei steigenden Marktpreisen stets auffällig viele Orders ausgeführt. Dieses Muster deutet auf Nachfrage institutioneller Kunden hin. ·

Fazit: Die Perspektive auf einen Impfstoff wird ernst genommen. Sie hat ein Umdenken in weiten Teilen der Marktteilnehmer bewirkt.

Vinci

Abbildung 2: Intraday-Preisentwicklung der Vinci (Quelle: FT)

Diese Einschätzung bestätigt sich bei einem Blick auf die Vinci. Der französische Infrastrukturmischkonzern (Autobahn- und Flughafenbetreiber, Baukonzern) wird hauptsächlich von institutionellen Marktteilnehmern gehandelt. Die Umsätze zum Handelsende sind markant um Größenordnungen höher, als der Tageshandel. Hier bietet sich ein identisches Bild: Der Aktienmarkt wird zuerst von Handelsrobotern in die Höhe getrieben und verharrt hier. Diesmal jedoch unter konstanten Umsätzen. Vermutlich haben sich viele Investoren bereits im Vorfeld positioniert und aroundieren nun ihre Positionen.
Der Aktienpreis verharrt auf dem am Montag zum Tagesschluß gehandelten Preisniveau. Auch hier ist der Preissprung wohl nachhaltig.

Konsequenz für Stillhalterpositionen

Diese Korrektur der Marktbewertung der bisherigen Corona-Verlierer war tatsächlich überfällig. Hieronymus hatte im Rahmen einer Stillhalterstrategie eine Auswahl solcher Werte über verkaufte Put-Optionen ins Depot genommen. Einige Werte sind in der vergangenen Woche so weit gestiegen, dass es sinnvoll ist, die Buchgewinne zu realisieren und die Optionen an die aktuellen Marktpreise anzupassen. Bei der Vinci wurde der Strike deshalb von 70 auf 80 Euro angehoben.

Die einnehmbaren Prämien haben sich im Zuge der Beruhigung der Märkte auf das Normalmaß zurückgebildet. Anstatt mehr als 3 Euro, die die gerade geschlossene Option erlöst hatte, konnte der Nachfolge-Put nur für die Hälfte abgesetzt werden. Immerhin toleriert die aktuelle Positionierung einen Preisrückgang von fast 10 %. Sollte sich also die Erkenntnis durchsetzen, dass die Impfungen im Jahr 2021 doch erst viel später wirken und das Preisfeuerwerk verfrüht war, wäre der Ertrag wenig gefährdet.

Unibail Rodamco Westfield (URW)

Die Aktie des weltweit größten Betreibers von Shopping-Malls bedarf einer Sonderbetrachtung. Sie schloss die Vorwoche mit einem Preis von 35 €.

Abbildung 3: Preisentwicklung der Unibail Radamco Westfield

Nach der Klärung des US-Wahlergebnisses kletterte der Preis am Montag bei bereits hohen Volumina auf 40 €. Nach Handelsschluß in Europa übernahmen die Händler an der australischen ASX. Dort sprang der Aktienkurs zum Handelsbeginn (1 Uhr MEZ) von 2,9 auf 3,5 A$. In Paris und Amsterdam eröffnete die Aktie am Dienstag folgerichtig bei 48 €. In der Folge sprang der Aktienkurs sogar bis 57 €. Die URW schloß die Woche mit einem Aktienpreis von 50 €, das entspricht einem Aufschlag von 15 € auf den Vorwochenschlußkurs.

Der ungewöhnliche Preisverlauf ist definitiv erklärungsbedürftig. Im Wochenbericht 38 ist das Setup dieses Werts schlaglichtartig beschrieben. Seitdem handelte der Wert in einer Tradingrange zwischen 28 und 33 €. Gemäß der aktuellen Handelsstrategie hatte Hieronymus über eine Stillhalterposition eine zeitlich limitierte Kaufabsicht bei 30 € offeriert. Diese Absicht wurde mit einer Optionsprämie von 4,5 € vergütet. Dieser defensive Handelsansatz fährt im aktuellen Umfeld seine Früchte ein. Die anvisierte Zielrendite wird vorzeitig und stressfrei erzielt.

Ganz anders ergeht es aggressiveren Kollegen. Die URW war gemäß Breakout Point, einem Datenanbieter, der am Intensivsten geshortete Wert in Europa. Über Leerverkäufe spekulierten nicht wenige auf deutlich niedrigere Aktienpreise. Tatsächlich hängt weiterhin das Damoklesschwert einer Kapitalerhöhung über dem Titel. Das könnte den Preis nochmals halbieren. Die Perspektiven einer raschen Erholung des Sektors sind auch nach der Zulassung von Impfseren überschaubar.

Deshalb stellt sich hier die Frage, ob die Preisanstiege der vergangenen Wochen zur Kapitulation der Shortseller geführt haben. Die Antwort hierauf ist höchstwahrscheinlich nein. Gemäß der FT sind diverse Hedgefonds seit Monaten intensiv auf der Shortseite bei den großen Immobilienunternehmen Europas, Unibail Rodamco Westfield(F/AU), Wereldhave(NL)(+23%) und Euroshop(D) (+38 %) engagiert. Die großen Preissprünge sind Indikatoren für den Grad der Spekulation in diesem Sektor. Höchstwahrscheinlich haben die HedgeFonds ihre Short-Engagements im Wochenverlauf moderat gegen weitere Preissteigerungen abgesichert. Angesichts der erneuten Welle an LockDown’s wäre es für einen Positionsverantwortlichen bei den HedgeFonds nur logisch, die aktuellen Marktpreise für ein Aufstocken der Shortposition zu nutzen. Andererseits belasten die hohen Buchverluste der Vorwoche die Risikolimits. Das dürfte einige zu Positionsschließungen gezwungen haben und weitere Engagements ausschließen.

Die Gemengelage ist wahrlich unübersichtlich. Dies reflektieren auch die hohen Optionsprämien: Die implizite Volatilität für im Januar fällige Optionen auf die URW beträgt weiterhin stattliche 72 Prozent. Für eine Put-Option mit einem Strike von 40 € erzielt man einen Ertrag von 2 €. Eine Option am Geld, also ein Strike von 50 € kostet sogar 6 €. Ein verkaufter Put toleriert einen Preisrückgang bis 44 €, ein veräußerter Call ist bis einem Marktpreis von 56 € profitabel.

Nach der Preisexplosion ist ein Engagement über einen weit gefassten Strangle sehr interessant, der von einer volatilen Korrektur auf dem aktuellen Preisniveau profitiert und wieder einen Zielertrag von 10 Prozent in zwei Monaten anvisiert.

Zünglein Rentenmarkt

Auch die Rentenmärkte haben stark auf die Vollzugsmeldung der Impfstoffhersteller reagiert.

Abbildung 3: Preisverlauf des Bund-Future (1 Jahr)

Seit dem Abverkauf im März ging die Rendite für Staatsanleihen in Europa stetig zurück, auch in Deutschland. Der Preis für Anleihen stieg entsprechend. Zuletzt bildete sich ein Trendkanal aus. Die Anleihenpreise pendeln aktuell am unteren Ende des Trendkanals. Der aktuelle Marktpreis entspricht dem Top aus dem Mai und Juni dieses Jahres. Hier könnte eine grundsätzliche Trendentscheidung anstehen. Tatsächlich steht einiges auf dem Spiel, denn sinkende Preise für Anleihen mit langen Laufzeiten haben Konsequenzen:

  1. Sie signalisieren eine gewisse Inflationserwartung.
    Ein Signal, auf das insbesondere die EZB wartet. Sinkende Anleihenpreise gehen einer Straffung der Geldpolitik der EZB voraus.
  2. Die Zinsstrukturkurve versteilert sich.
    Hintergrund: Über die weiterhin lockere Geldpolitik fixiert die EZB die Preise für Anleihen mit kurzer Laufzeit. Banken können sich weiterhin sehr günstig kurzfristig verschulden und bei der Vergabe langfristiger Kredite eine höhere Gewinnmarge erzielen (Stichwort: Fristentransformation). Dies ist maßgeblich für die Profitabilität des gesamten europäischen Finanzsektors.
  3. Risiko wird neu bepreist.
    Aktuell werden Zukunftsrisiken von den Finanzmärkten quasi ignoriert. Langlaufende Anleihen kosten kaum mehr, als Kurzläufer. Anders ausgedrückt: Dem Angebot für langfristige Ausleihungen steht wenig Nachfrage entgegen. Steigende Anleihenrenditen stehen synonym zu steigender Nachfrage nach Kapital und sind fast der beste Konjunkturfrühindikator überhaupt.

Fazit: Falls die Anleihenpreise trotz des weiterhin gigantischen Anleiheaufkaufprogramms der EZB sinken, sieht auch Hieronymus die Ampel für einen nachhaltigen Konjunkturaufschwung auf grün springen.

Alles Eingepreist?

Wo viel Licht ist auch Schatten. Das erlebten gerade Aktionäre der hochkapitalisierten Technologieunternehmen. So sank der Aktienpreis von Facebook beispielsweise von 300 auf 275 US-Dollar. Man könnte die Wochenentwicklung also als Sektorrotation interpretieren.

Tatsächlich hat sich die Aktienquote bei aktiv gemanagten US-fonds um sagenhafte 27 Prozent auf 96 % erhöht. Zusätzlich weisen die Fondsgesellschaften für diese Woche Rekordmittelzuflüsse aus: Demnach sind allein wegen des Wahlausgangs 32 Mrd. US-Dollar in US-Aktienfonds geflossen. Die Effekte des vollzogenen Wachwechsels im Weißen Haus und die Perspektive auf ein normales Jahr 2020 addierten sich. Was anders kann passieren, als steigende Marktpreise?

Das Problem: Mehr geht nicht. Jetzt, so scheint es, sind alle dabei. Warten darauf, dass die Preise weiter steigen. Es ist recht wahrscheinlich, dass kurzfristig ein Preisdeckel eingezogen wurde. Andererseits: Dei Erleichterung über die Perspektive einer medizinischen Beherrschung des Virus ist so groß, dass trotz der hohen Marktpreise und der rekordverdächtigen Positionierung keine akute Korrekturgefahr besteht. Die Phase zwischen US-Wahl und der Amtsübernahme im Januar wird allgemein als »Honeymoon« bezeichnet. Korrekturanfällig sind die Aktienmärkte ab dem späten Frühjahr.

Blackrock verwirrt

Die ständige Auseinandersetzung mit den Wirren der Finanzmärkte wirkt sich bei vielen auf die Urteilsfähigkeit aus. Nicht umsonst betätigen sich auch prominente Fondsmanager oft als Unterstützer von Verschwörungstheorien. Dies mag die merkwürdige Preisentwicklung an den Finanzmärkten in den vergangen Trump-Jahren erklären.

Am Samstag gingen die Anhänger des Ex-Präsidenten der USA auf die Straße, um eine gerechte Wahl einzufordern. Ausgerechnet Stephen Schwarzman, der Gründer von Blackrock, immerhin der größte Vermögensverwalter der USA, erklärte zeitgleich öffentlich, dass er die Wahl von Jo Biden für gefälscht halte. Wie die FT berichtet, versteht Schwarzmann nicht, wie es sein kann, dass Trump im Verlauf des Auszählungsprozesses immer weiter ins Hintertreffen geriet. Die PR-Abteilung von Blackrock bemüht sich derweil hektisch, die Äußerungen herunter zu spielen.

Glücklicherweise ist Schwarzmann isoliert. Die CEO’s der großen US-Unternehmen haben sich im Wochenverlauf eindeutig auf die Seite der demokratischen Institutionen in den USA gestellt und den Wahlausgang akzeptiert. Ist es kein erbärmliches Armutszeugnis für eine Demokratie, dass man so etwas überhaupt erwähnen muss?