Es vergeht kaum ein Tag, in dem die US-Regierung oder der Präsident persönlich einen weiteren »Erfolg« kommuniziert. Der jüngste Schuß: Die Vermittlung eines Handelsabkommens zwischen Israel und dem Sudan. Davor wurde ein Micro-Trading-Deal mit Brasilien und die Aufrüstung Taiwans beschlossen, zudem — das TOP-Thema der Woche — ein Kartellverfahren gegen Alphabet eröffnet.
Die US-Regierung hat es offenbar sehr eilig. Die »Erfolgsmeldungen« eint die stets sichtbare »heiße Nadel« mit der sie notdürftig gestrickt wurden.
Hieronymus wertet dies als deutlichstes Zeichen eines anstehenden Machtwechsels. Man holt Buchstäblich die letzten Kohlen aus dem Keller, um die Illusion einer erfolgreichen Regierungsarbeit so lange wie möglich aufrecht zu erhalten und sich bis zuletzt für eine Wiederwahl zu empfehlen.
Exemplarisch widmet sich dieser Wochenbericht der Causa Alphabet.
Seit dem vergangenem Mittwoch geht die US-Justiz nun auch öffentlich sichtbar gegen die Digitalkonzerne vor. Den Anfang macht Alphabet. Die Praxis, für eine attraktive Platzierung der der Suchmaschine Google auf mobilen Endgeräten und Apple-Computern hohe Summen zu zahlen, ist der Anlass, ein Antitrust-Verfahren zu eröffnen.
Der Vorwurf selbst geht jedoch erheblich weiter: Die Suchmaschine dominiert den Markt und zementiert seine Position mit unfairen Methoden. Mögliche Konkurrenten werden systematisch aufgekauft, die Suchergebnisse entsprechen den Firmeninteressen und geben nicht die Realität wieder.
All diese Punkte untersucht das Ministerium seit mehr als einem Jahr. Um die Anklage noch vor den Wahlen platzieren zu können, wurde nur eine Mini-Anklage formuliert.
Nach den Wahlen sind die Juristen gefragt, den Inhalt der Anklage auf die übrigen Punkte auszuweiten. Das ist im Zweifel schwieriger und umständlicher, als gleich eine fundierte Anklage zu formulieren. Man wird im der Trump-Administration im Erfolgsfalle zuschreiben, den ersten Schritt eingeleitet zu haben. In den letzten Wahlkampfauftritten kann man sich jetzt die Regulierung der Internetgiganten auf die Fahnen schreiben. Ziel erreicht!
Der Ausgang des Verfahrens ist indes völlig offen.
Ein Blick in die Welt zeigt, dass in jedem Wirtschaftsraum eine monopolartige Suchmaschine existiert. Russland hat Yandex, China Baidu, im Rest der Welt dominiert Google (1,2 %, 11,8 %, 70.6 % der globalen Suchanfragen). Interessanterweise hat sich Bing, die von Microsoft betriebene Suchmachine, zuletzt einen globalen Anteil von 13 % der globalen Suchanfragen erkämpft.
Das eröffnete Verfahren könnte mangels Hard Facts sehr rasch in sich zusammen fallen.
Die Mehrheit der Marktteilnehmer sieht das offenbar ähnlich. Der Aktienpreis ist seit der Ankündigung der Verfahrenseröffnung von 1.550 auf 1.640 $ geklettert. Die Marktreaktion könnte andererseits auch der Spekulation geschuldet sein, dass eine Aufspaltung des Konzerns den Wert der Einzelteile erst offen legt. Man könnte bereits jetzt auf die Hebung des sog. Konglomerat-Bewertungsabschlags spekulieren.
Wie dem auch sei: In den Augen der Finanzmarktteilnehmer bedeutet dieses AntiTrustVerfahren ein Kaufsignal.
Eine logische Konsequenz der Verfahrenseröffnung gegen Alphabet sind Folgeverfahren bei den anderen Digital-Oligopolen.
Insbesondere die großen sozialen Netzwerke (Facebook, Twitter) sehen sich zunehmendem Regulierungsdruck ausgesetzt. Von verschiedenen Seiten wird die Forderung nach einer Einstufung als Medienunternehmen immer lauter. Dann wären die Netzwerke für die dort geposteten Inhalte verantwortlich, anstatt – wie jetzt – die Schreiber.
Über allen Digital-Oligopolen schwebt zudem die Gefahr der Disruption ihrer Data-Mining-Prozesse zum Zwecke einer maximalen Unterstützung der Werbetreibenden, also das eigentliche Kerngeschäft. Die Verfahren zum Micro-Tageting werden immer ausgeklügelter. Werbetreibende können bereits heute sehr genau festlegen, wem sie ihre Angebote unterbreiten. Das gilt auch für die politische Meinungsbildung.
Hier geht es um staatlich verordnete Einschränkungen des Geschäftsbetriebs und nicht mehr um die simple Zerschlagung.
Nicht wenige erwarten eine unruhige Nachwahlperiode, in der jenseits demokratischer Spielregeln der zukünftige US-Präsident ausgehandelt wird. Das dürfte das Mißtrauen gegenüber soziale Netzwerke stärken und die kartellrechtliche Aufbereitung katalysieren.
2021 könnte das Jahr der Entzauberung der Internet-Oligopole werden, in dessen Zuge sich die Struktur des Technologiesektors grundlegend ändert.
Während sich in den USA Amazon und Walmart um potente Käuferschichten streiten und keinesfalls absehbar ist, wer das Einzelhandelssegment zukünftig dominiert, sind die Würfel in China wohl gefallen.
Alibaba hat für 3,6 Mrd. $ seinen Anteil auf 72 Prozent an Sun Art Retail verdoppelt. Sun Art ist die chinesische Variante von Walmart und war maßgeblich für dessen Rückzug vom chinesischen Markt. Die verbliebenen Kleinaktionäre erhalten ein Übernahmeangebot bevor die Firma in Alibaba integriert wird.
Stand Juni 2020 betreibt Sun Art 481 Hypermärkte und 3 mittelgroße Supermärkte. Aktuell wurden alle physischen Sun-Art-Läden in China in die Plattformen Taoxianda und Tmall Supermarket von Alibaba integriert, wo sie auf Anfrage Lieferungen in einer Stunde und einem halben Tag durch enge Zusammenarbeit mir anderen Schlüsselunternehmen in dem Ökosystem von Alibaba anbieten, einschließlich Ele.me und Cainiao, was den Kunden größere Produktauswahl und größeren Produktzugang bietet.
Der Unternehmensanteil wurde bisher von der französischen Auchan Retail International S.A. gehalten. Der Transaktionspreis bewertet Sun Art ungefähr mit dem Preisniveau von Walmart (KGV: 23).
Insgesamt ist die Transaktion mit einer Übernahme von Walmart durch Amazon vergleichbar, die vermutlich niemals von den Kartellbehörden zugelassen würde.
Alibaba komplettiert mit der Übernahme seine »New Retail« Strategie, die mit Big-Data und AI-Unterstützung das On- und Offline-Geschäft verknüpft. Hier entsteht gerade das Kaufhaus des 21. Jahrhunderts.