Wochenbericht 14

Distanz aufbauen zu systemrelevanten Unternehmen

Der ökonomische Wiederaufbau nach der Pandemie beschäftigt Politik und Kapitalmärkte gleichermaßen. Eine größtmögliche Distanz zwischen eigenen Investments und von Konjunkturhilfen überzogenen Branchen einzuhalten, könnte das Erfolgsrezept für die Kapitalanlage werden.

(Stuttgart, 4. April) Die erste Welle staatlicher Hilfspakete verhindert den unmittelbaren Kollaps der Gesellschaften des Westens. Die Kollateralschäden werden langsam sichtbar. Der Erhalt systemrelevanter Branchen gerät nun in den Fokus. Diese werden spätestens im Herbst im Fokus umfangreicher Konjunkturprogramme stehen.

Viele Unternehmen sind börsennotiert und sogar in den Blue-Chip-Indizes enthalten. In einem ersten Impuls vermutet man, dass sich Anleger um diese Unternehmen reissen werden. Schließlich erhalten sie ja Staatshilfen. Es spricht aber einiges dafür, dass genau das Gegenteil eintreten wird: Investments in systemrelevante Branchen dürften zu den großen Enttäuschungen dieses Jahres gehören.

Dividenden: Ausschüttungen radikal reduziert.

Nicht nur Banken (letzter Wochenbericht) sind betroffen. Diese Woche forderte die europäische Finanzaufsicht auch Versicherungen auf, Dividendenzahlungen und Aktienrückkäufe bis auf weiteres auszusetzen. Dort geht man von weiteren Versicherungsschäden aus und legt die Unternehmen vorsorglich an die Kette. Versicherungsaktien haben ihren Abwärtstrend in der vergangenen Woche wieder aufgenommen.

Abbildung 1: Systemrelevant und trotzdem weiter fallende Preise – der Versicherungskonzern AXA

Branchen, die auf Staatshilfen angewiesen sind, können maximal ihren Gläubigern zugesagte Zinsen zahlen1. Aktionäre gehen leer aus. Hiervon sind diesmal sehr viele betroffen. Die FT schätzt, dass Ausschüttungen britischer Unternehmen 2020 gegenüber dem Vorjahr um 50 Prozent sinken. Auf europäischer Ebene dürfte das Bild ähnlich aussehen. Selbst für die USA erwarten Analysten einen Rückgang der Ausschüttungen um mindestens 30 Prozent.

Diese Entwicklung ist insofern kritisch, weil die derzeit aktiven Aktionäre keine Erinnerung an Phasen mit ausgefallenen Dividenden haben und die Folgen höchstwahrscheinlich falsch einschätzen. In der häufig als Referenz herangezogenen Finanzkrise 2008 zahlten die Unternehmen überwiegend die zugesagten Dividenden. Damals galt dies als Vertrauensbildungsinstrument für die Aktionäre. Heute fällt es Unternehmen leicht, eine Dividendenkürzung zu kommunizieren. Sie werden hierfür aktuell auch nicht vom Finanzmarkt bestraft. Das neue Narrativ lautet: Unternehmen halten so ihre Cash-Quote hoch und sind so besser für das akute Krisenmanagement gerüstet. Aktionäre müssen sich gedulden.

Das ist sicherlich richtig, verkennt aber die Tatsache, dass über Financial Engineering vielfach systematisch die Substanz von Aktiengesellschaften ausgehöhlt wurde. Die erzwungene Aussetzung der Dividendenzahlungen ist ein willkommener Anlass, diese nicht nachhaltige Entwicklung zu revidieren. Das ist positiv für die Stabilität von Unternehmen. Die Position der Stakeholder wird gestärkt, Shareholder haben das Nachsehen.

Genau dieser Prozess ist in den Wirtschaftskrisen der Nachkriegszeit in UK und den USA regelmäßig abgelaufen. Kollektive Dividendenstreichungen waren rückblickend Verkaufssignale für Aktienangagements. Hieronymus ist der Auffassung, dass sich die Gegenwart in dieser Hinsicht kaum von den Krisen der Vor-Neoliberalen Epoche unterscheidet. Sicher: der Auslöser der krisenhaften Entwicklung ist einmalig. Die Marktreaktion auf einen derartigen Schock folgt aber eingespielten Mustern.

Das liegt auch an Zwängen, die sich im zurückliegenden neoliberalen Regime ausgebildet haben.

Pensionskassen unter Druck

Die Neoliberale Epoche (1990 – 2020) führte auch zu einem Paradigmenwechsel bei Pensionskassen. Im 20. Jahrhundert waren die Depots fast ausschließlich mit Anleihen bestückt. Während der Dot.Com-Hausse hoben viele Pensionkassen ihre Aktienquoten bis 30 Prozent an – und fuhren ab 2000 große Buchverluste ein. Danach kehrten die Vermögensverwalter zu festverzinsten Produkten zurück – und wurden während der Finanzkrise mit ABS, MBS und CDO’s wieder mit großen Verlusten konfrontiert. Seit 2010 verlieren festverzinste Geldanlagen wegen der expansiven Geldpolitik vieler Notenbanken kontinuierlich an Attraktivität. Seitdem erhöhen die Pensionskassen weltweit wieder ihre Aktienquoten – diesmal mit dem Fokus auf Dividenden.

Abbildung 2: Größe und Gewicht der größten Pensionssysteme Asiens (Quelle: Thinking Ahead Institute)

Neben den USA, Kanada und UK setzen auch viele asiatische Länder auf kapitalmarktfinanzierte Alterssicherungssysteme. Das Volumen der Pensionskassen ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. In Australien, Japan, Korea, Malaysia und Hongkong übersteigt das dort angelegte Kapital die Hälfte des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts. Die Pensionskassen setzen neben Erträgen aus Dividendeneinnahmen immer mehr auch auf Mieteinnahmen aus Immobilienbesitz. Mangels Aufnahmekapazität der heimischen Kapitalmärkte investieren die Fondsgesellschaften global.

Die jüngste krisenhafte Entwicklung trifft die Pensionskassen wieder ins Mark.

  1. Im globalen Maßstab werden Dividendenzahlungen ausgesetzt.
  2. Mieterträge der von Pensionskassen bevorzugten Beteiligungen an Gewerbeimmobilien sind konjunkturabhängig.
  3. Die Bewertungen von Aktien und Immobilien sind stark gesunken.

Gleichzeitig müssen die Pensionskassen ihren Auszahlungsverpflichtungen nachkommen. Hierfür wird zuerst die gesetzlich geforderte Cash-Quote angezapft. Verbessert sich der planbare Ertrag aus den Investments nicht, müssen kontinuierlich Assets aufgelöst werden.

Nicht-strategische Beteiligungen stehen permanent zur Disposition. Steigende Marktpreise werden unmittelbar zur Liquidierung genutzt, bis die erzielbare Rendite von Aktien- und Immobilienbeteiligungen die Zahlungsversprechen der Pensionskassen abdeckt.

Abbildung 3: Preisverlauf des Nikkei nach dem Platzen der Immobilienblase 1989

Die hieraus abzuleitende Perspektive für die Entwicklung der Aktienpreise lässt sich gut anhand des japanischen Aktienmarktes nach 1990 darstellen. Jede kurzfristige Erholung der Marktpreise wurde über Jahrzehnte konsequent zum Abbau von Positionen genutzt.

Man kann sich nun trefflich streiten, in welcher Phase des im Abb. 2 dargestellten Preisverlaufs wir uns derzeit befinden. Hieronymus schätzt, dass die erste Erholung bei 25.000 Punkten die Gegenwart gut abbildet. Fakt ist: Es gibt wenig Gründe, eine «V-förmige Erholung« zu antizipieren. Maximal pendeln die Indexstände in den nächsten Monaten in einer noch auszuhandelnden Spanne um das gegenwärtige Preisniveau.

Die Woche an den Finanzmärkten

  • Kreuzfahrtunternehmen: Geld ist nicht das Problem.
    Kaum eine Branche ist mehr betroffen, kein Geschäftsmodell steht vor größeren Herausforderungen. Alle Kreuzfahrten sind beendet, die Schiffe liegen an der Mole und verursachen nur noch Kosten. Für den weiteren Verlauf des Jahres gibt es trotz hoher Rabatte kaum Nachfrage nach Kreuzfahrten. Die staatlichen Rettungs­programme greifen nicht, weil die Schiffe in Steuerparadisen registriert sind und die Arbeitsbedingungen keinen westlichen Standards entsprechen. Selbst in den USA ist ein BailOut nicht vermittelbar.
    Das Ergebnis: Der Marktwert von Carnival, dem größten Kreuzfahrtunternehmen, ist seit Jahresbeginn um 85 % auf 8,5 Mrd. $ gesunken. Allein die Schiffe sind mehr als 12 Mrd. $ wert – wenn sie jemals wieder fahren.
    Keine Bank finanziert aktuell die weiter laufenden Betriebskosten. In der Not zapft das Carnival-Management den Anleihemarkt an. Schließlich ist das Kredit-Rating immer noch Investmentgrade. Zuerst ging man mit einem Angebot über 3 Mrd. $ an den Markt. Der Zins: 12 %. Als Sicherheit bietet man die Schiffe. Im Falle einer Insolvenz können die Gläubiger also über die Kreuzfahrtschiffflotte verfügen. Überraschung: Die Nachfrage überstieg das Angebot deutlich. Sofort verdoppelte man das Emissionsvolumen. Mangels Sicherheiten werden nun auch Wandel­anleihen emittiert. Die Käufer können 2024 zwischen der Rückzahlung der Anleihe oder einer Wandlung in Aktien wählen. Die Finanzierungsrunde wird durch die Ausgabe neuer Aktien abgerundet.
    Fazit: 1. Geld ist nicht das Problem. Stimmt der Zins, finanziert der Kapitalmarkt weiterhin sehr ungewisse Geschäftsmodelle. 2. Wallstreet setzt auf eine rasche Rückkehr zu etablierten Geschäftsmodellen.
  • Automobilindustrie Deutschland: Staatshilfen, Kurzarbeitergeld und Dividenden
    Die Produktion von Autos ist derzeit ausgesetzt, der Absatz sogar stärker zurück­gegangen, als 2008/9. Die Belegschaften erhalten größtenteils Kurzarbeitergeld: mehr als 200.000 Beschäftigte sind betroffen. Daimler gab bekannt, dass mehr als 90 Prozent der in der Produktion Beschäftigten kurzarbeiten würden, 2008 waren es nur 60 Prozent. Selbst der Stillstand ist teuer. Volkswagen »verbrennt« wöchentlich 2 Mrd. €.
    In der vergangenen Woche sorgten Veröffentlichungen für Aufsehen, wonach die DAX-Unternehmen 7,5 Mrd. € für Dividendenzahlungen aufwenden wollen. Pikant: Erst am 28. Februar kündigte VW an, die Dividende um mehr als 30 Prozent auf 6,50 Euro pro Aktie anzuheben. Am gleichen Tag schloss der Genfer Auto-Salon wegen der Corona-Epidemie vorzeitig ihre Türen. Zeitgleich prognostizierte der Vorstand für 2020 einen Umsatzanstieg um vier Prozent.
    Selbst Continental hält an seinen Ausschüttungen fest. Der Zulieferer feiert damit die Erfolge des Jahres 2019. Tatsächlich weist der Konzern für 2019 einen Verlust von 1,2 Mrd. € aus. Bereits im Herbst hatte der Zulieferer einen Stellenabbau von 20.000 Mitarbeitern angekündigt. Per 1. April beziehen allein in Deutschland 30.000 Mitarbeiter Kurzarbeitergeld, die Hälfte der Belegschaft. Zur Erinnerung: Continental ist im Grunde ein Familienunternehmen . Die Schaeffler-Gruppe beherrscht mit einer Beteiligung von 46 % den Konzern und erwartet eine adäquate Verzinsung des eingesetzten Kapitals.
    Abbildung 4: Die Daimler-Aktie – Zurück auf dem Preisniveau des Jahres 2008.

    Für den Herbst fordert der Verband der Automobilindustrie bereits ein umfangreiches staatliches Hilfsprogramm zur Förderung des Absatzes von Autos mit Verbrennungsmotor. Hieronymus vermutet, dass die Politik aus den Fehlern des Jahres 2008 gelernt hat und einen Kapitaltransfer der Staatsgelder in den Kapitalmarkt verhindert. Es ist unwahrscheinlich, dass die Automobilhersteller in absehbarer Zukunft ihre Dividendenzahlungen wieder aufnehmen.

  • USA: unbezahlter Zwangsurlaub für 10 Millionen Menschen.
    In Europa fördern die Staaten verschiedene Arten von Kurzarbeit. Die Arbeits­verträge der Mitarbeiter bleiben in Krisenzeiten mit allen Rechten und Pflichten unangetastet, der Staat beteiligt sich an der Entlohnung.
    In den USA werden die Mitarbeiter in Zwangsurlaub geschickt. Der Arbeitsvertrag ruht in dieser Zeit. Der Mitarbeiter meldet sich Arbeitssuchend und bekommt eine Art Überbrückungsgeld. Damit will man die Arbeitskräfte motivieren, sich aus eigenem Antrieb eine andere Beschäftigung zu suchen. Deshalb müssen sich die freigestellten Menschen auch persönlich um die Auszahlung der staatlichen Zuschüsse kümmern, also einen Antrag stellen und um Alimentierung bitten. Auch schützt die Zwangsbeurlaubung nicht vor einer folgenden Entlassung. In der letzten Märzwoche meldeten 3,3 Mio. Arbeitnehmer ihre Ansprüche an staatlichen Leistungen an. In der vergangenen Woche dann nochmals 6,6 Mio. Zur Einordnung: Seit 2008 wurden in den USA etwa 20 Mio. Stellen geschaffen.
  1. Dies gilt, solange die Unternehmen nicht verstaatlicht werden. Gläubiger von Lufthansa und Tui müssen hoffen, dass der Staat einschreitet, ohne dass ein Insolvenzantrag gestellt wird. Falls die »Rettung« von General Motors im Jahr 2009 als Blaupause taugt, ist ein Ausfall der Anleihen der Unternehmen nur eine Frage der Zeit. Dies preist der Markt gegenwärtig jedoch nicht ein (Rendite von Lufthansa-Anleihen: 2,8% (Fälligkeit: 2024)