Doch: Diese Anlageform bewirkt ein schleichendes Aufschaukeln der Risiken und ist maßgeblich für die derzeitige fibrige Marktstimmung verantwortlich, wie auch für die Situation vor genau einem Jahr.
Auf diese griffige Formel reduzierte Logic-alpha, ein Hedgefond, bereits vor etwa einem Jahr den destruktiven Effekt passiver Investments auf die Aktienmärkte. Der Hintergrund: aktiv gemanagtes Vermögen bewertet die Portfoliobestandteile und vermeidet den Zukauf offensichtlich überbewerteter Assets. Passiv angelegtes Vermögen repliziert Indizes. Das Ergebnis: Hoch gewichtete (im Zweifel überbewertete) Indexkomponenten erfahren überproportionale Zuflüsse. Erhöht sich hierdurch das Gewicht der Titel im Index, sind auch alle übrigen, den Index replizierenden Fonds gezwungen, die Titel nachzukaufen. Das treibt die Werte nochmals an. Ein Initialinvestment induziert so eine Kaskade von Folgeinvestments; allein die Konstruktion passiver Anlageinstrumente treibt die Marktpreise phasenweise stark an.
Eine gesunde Volkswirtschaft ist divers und gerecht zugleich. Auf die Kapitalmärkte bezogen bedeutet dies: Unternehmen haben branchenunabhängig einen fairen Zugang zu Kapital. Dies wird meistens durch den Dreiklang Politik/Banken/Notenbank gewährleistet. Die Politik sichert durch Besteuerung und Wirtschaftsförderung ein prosperierendes Umfeld. Banken konkurrieren um die Bereitstellung von zinsgünstigen Krediten und die Notenbank sorgt für niedrige Zinsen und die Abwesenheit von Inflation.
Kapitalmärkte reagieren auf das Umfeld. Die dort realisierte Marktkapitalisierung ist vielerorts die Basis für den Zugang zu preiswertem Fremdkapital. Nachvollziehbare Marktbewertungen stützen so ökonomische Prosperität.
Was passiert, wenn die Kapitalmärkte Substanzwerte systematisch geringer bewerteten als Wachstumstitel?
Substanzwerte zeichnen sich durch gewachsene Geschäftsmodelle und bewährte Ertragsstrategien aus. Sie bilden den ökonomischen Unterbau: Telekommunikation, Versorger, Versicherungen, Banken, Bauwirtschaft, Immobilien, etc. Ertragswerte schütten – wie der Name es andeutet – regelmäßig Dividenden aus. Sie eignen sich für Realisierung langfristiger Ertragsströme, z.B. für die Finanzierung von Pensionszusagen.
Wachstumswerte verzichten auf Ausschüttungen. Die Unternehmen verwenden sämtliches Kapital (und noch mehr) für die Finanzierung ehrzeiziger Wachstumsziele. Investoren werden auf die Zukunft verwiesen. Irgendwann – so die Unternehmenskommunikation – gehen uns die Investmentziele aus, dann schütten wir die Erträge an die Aktionäre aus.
Ist ein Wachstumsunternehmen erfolgreich, steigt sein Marktwert. Gegenüber einem Substanzwert hat ein Wachstumsunternehmen einen Vorteil: Dividendenzahlungen reduzieren den Marktwert. Bei identischen Unternehmenszahlen steigt die Gewichtung von Wachstumsunternehmen in Indizes allein wegen der Thesaurierung der Dividenden.
Dominiert nun zusätzlich das Investieren in den gesamten Index das Marktgeschehen, verstärkt sich dieser Effekt. Weil Wachstumswerte höher gewichtet sind, empfangen sie größere Geldströme, ihre Gewichtung steigt schneller, als die der Substanzwerte. Konsequenz: Wachstumswerte dominieren die Kapitalmärkte immer mehr. Anders ausgedrückt: Die Aktienmärkte werden allein durch den Trend hin zu passiven, indexbasierten Geldanlagen immer spekulativer. Das lässt sich anhand des Quotienten Marktkapitalisierung Wachstumswerte/Substanzwerte längerfristig schön zeigen.
Umgesetzt auf den klassischen Anleihehandel bedeutet dies: Passive Investments verlängern systematisch die Duration im Anlageportfolio. Dies macht die gehaltenen Wertpapierbestände zinssensitiver. Anleger, die wegen zuletzt deutlich gestiegener Inflationsprognosen dem Anleihemarkt den Rücken zukehren, haben faktisch kaum etwas gewonnen.
Zwischenfazit: Wie ein roter Faden zieht die Observation massiv überbewerteter Assetpreise die vergangenen Wochenberichte. Die Überbewertung wird durch eine Kombination wohl einmaliger Ereignisse gespeist. Ein Ende dieser Marktphase ist nicht absehbar. Das Unbehagen wächst aber mit jeder weiteren Preiserhöhung für Aktien.
Gegen alle Vernunft sind die Aktienpreise für Unternehmen ohne Geschäftsmodell, teilweise ohne operatives Geschäft und ohne Webseite auf breiter Front geradezu explodiert. Maßgeblich für diesen Trend sind – ausgerechnet – passive ETF’s, die jedermann auch breite Investments in exotischen Ecken des Kapitalmarktes erlauben. Üblicherweise muss man für die Spekulation in diese Titel Expertenwissen vorweisen. Die Titel sind immer markteng, spontane Käufe oder Verkäufe sind nicht möglich. Wie getätigte Investments in die marktbreiten ETF’s im Falle größerer Rückgabewellen auf der Ebene der Einzelaktien zurückgeführt werden können, bleibt ein Geheimnis der ETF-Betreiber.
Seit der Finanzkrise 2007/8 müssen die großen Banken jährliche Stresstests absolvieren. Nur wenn sie bestehen, dürfen sie Dividenden zahlen oder eigene Aktien zurückkaufen. Im vergangenen Jahr prüfte die FED in den USA angesichts der heftigen Preisverwerfungen des Frühjahrs, ob die Banken einen plötzlichen Preisrutsch um 50 Prozent überstehen werden und die Arbeitslosigkeit auf 12,5 % steigt.
Angesichts gestiegener Risiken wurde das Szenario verschärft: Das Basisszenario sieht für die Aktienmärkte im Herbst 2022 einen Einbruch von 55 % vor. Gleichzeitig steigt die Arbeitslosigkeit auf 10,75 % und entsprechend fallen Kredite aus. Das GDP sinkt in dem neuen Szenario um 4 %.
Streßtestszenarien haben natürlich keinerlei Prognosekomponente. Sie sagen aber viel über die Risikowahrnehmung bei den Entscheidungsträgern aus. Interessant ist auch, was nicht abgetestet wird: Ein Inflationsschub zum Beispiel. Angesichts steigender Rohstoffpreise werden bereits Jahresinflationen von 4 Prozent und mehr herumgereicht. Bitter für Anleihegläubiger, wie es Banken vielfach sind.
Fazit: Anfangs wurde auf die Metapher des gekochten Frosches verwiesen. Dieser lebt bekanntlich je mehr auf, desto wärmer das Wasser in seinem Topf erhitzt wird, fühlt sich sichtlich wohl und registriert nicht, dass er gerade gekocht wird. Das Geheimnis dieses inhumanen Tierexperiments ist die Geschwindigkeit des Temperaturanstiegs. Er muss nur langsam genug erfolgen.
Genauso ergeht es Kapitalanlegern angesichts der Möglichkeit, mit einem Mausklick und dazu unglaublich preiswert, ganze Assetklassen zu allokieren. Über einen sehr langen Zeitraum haben sich inkrementell systemische Risiken aufgebaut. Die Bewertungen an den Kapitalmärkten steigen immer weiter an, Aktieninvestments sind heute deutlich spekulativer, als vor 20 oder 40 Jahren.
Klar ist auch: Es gibt Rückkopplungsschleifen, die die Marktbewertungen zu gegebenen Zeitpunkten wieder auf das Normalmaß zurückführen. Es liegt leider in der Natur der Sache, dass weder Zeitpunkt noch Intensität derartiger Marktkorrekturen zuverlässig prognostiziert werden können.
An die letzte Marktkorrektur vor dem Einbruch 2020 erinnern sich vermutlich nur die Wenigsten:
2018 verarbeiteten die Finanzmärkte die Wohltaten der Steuerpolitik der Trump-Administration. Global ermäßigten sich die Assetpreise ohne meßbaren Bezug zur realen Ökonomie temporär um etwa zwanzig Prozent.
Etwa 20 Prozent der Staatseinnahmen Singapores generieren Zinserträge der Notenbank und die beiden Staatsfonds PIF und Temaek. Seit 2004 leitet Ho Ching, die Frau des Ministerpräsidenten, Temasek. Für den nachhaltigen, klimagerechten Umbau des Anlageportfolios ist seit zwei Jahren Dilhan Pilley zuständig.
Pilley übernimmt ab Oktober die Führung von Temasek. Er tritt mit einer ausgesprochen grünen Agenda an: Im Beteiligungsportfolio will Pilley die Emissionen bis 2030 halbieren. Basisjahr ist das Jahr 2010. Dazu hat er eine Bewertung von Beteiligungen nach ihrer Kohlenstoffintensität eingeführt und besitzt nun ein wirksames Steuerungsinstrument für das Bestandsportfolio wie für die Investitionspolitik.
Die Klimabilanz von Temasek ist derzeit noch sehr durchwachsen. Singapore Airlines ist ein Beteiligungsschwergewicht. Die Begrenzung des Flugverkehrs widerspricht der Staatsdoktrin. Vor zwei Jahren rettete der Staatsfonds Keppel Corporation, deren Kerngeschäft die Ölexploration ist. Olam International, ein Rohstoffhändler, musste ebenfalls nach Managementfehlern übernommen werden. Der Konzern steht wegen seines Engagements für Palmöl-Plantagen in der Kritik, für die Regenwälder gerodet werden.
Temasek hat in den letzten Jahren seine Beteiligungen in China massiv ausgebaut, mit Alibaba, ICBC und der China Construction Bank als Ankerinvestments.
Das ausdrückliche Bekenntnis zum Klimaschutz kann als Bestätigung eines Trendwechsels zu mehr Nachhaltigkeit in der südostasiatischen Metropole gewertet werden. Die operative Umsetzung der Investmententscheidungen obliegt der DBS. Dort vermisste Hieronymus bislang eine sichtbare Nachhaltigkeitsstrategie. Dies könnte sich nun ändern.
Das Wort »haben« hat hier eine besondere Relevanz. Schließlich sind die erzielten Höchstpreise für Aktien Ergebnis von getätigten Investitionen. Die firschgebackenen Aktionäre hoffen jetzt, dass sich weitere Interessenten finden, die bereit sind, noch höhere Preise zu zahlen. Im Februar 2020 trugen diese Hoffnungen bekanntermaßen nicht weit. ↩
John Normand, Leiter der Abteilung »Cross-Asset Fundamental Strategy« bei JPMorgan in einem FT-Interview ↩