Die EZB-Zinspolitik und das Wohlergehen der Immobilienbesitzer

In der Öffentlichkeit wird gern über die negativen Auswirkungen der Nullzinspolitik in der Eurozone auf die Sparer polemisiert. Wer schlau ist, kauft statt dessen Häuser, sagen diejenigen, die am Verkauf von Immobilien verdienen. Tatsächlich sind Immobilien gegenwärtig Spekulationsobjekte mit einem verdächtig schlechten Chance-Risikoprofil. Hierfür ist die EZB verantwortlich.

(Stuttgart, 6.9.) Glaubt man Immobilienmaklern, dann bestimmen Angebot und Nachfrage den Preis bei Immobilien. Deshalb sind Innenstadtlagen in München, Berlin, Frankfurt usw. so teuer. Ein Blick auf die Historie zeigt: Die Nachfrage geht nie aus, deshalb steigen die Preise auch zukünftig. Man kann also nichts falsch machen, wenn man eine Wohnung oder ein Haus als Kapitalanlage kauft, behaupten Immobilienentwickler und -makler.

Es gibt gewichtige Gründe, dieser Argumentation zu mißtrauen. Denn: Angebot und Nachfrage sind nur zu einem geringen Teil für die Entwicklung von Immobilienpreisen verantwortlich. Die Geldpolitik der EZB hat einen wesentlich größeren Anteil. Dies zeigt BankUnderground, der Blog der Bank of England in einer aktuellen Untersuchung. Danach bestimmten selbst im überhitzen Immobilienmarkt Londons (bis 2016) Angebot und Nachfrage nur etwa zehn Prozent der realen Preisentwicklung. Dominant ist dagegen die Entwicklung der Marktzinsen. Die Wertentwicklung von Immobilien liegt damit weitgehend in den Händen der Notenbänker, die mit einem Federstrich die Kalkulation vieler Hausbesitzer zerstören können1.

Tulpen statt Häuser

BankUnderground hat ein einfaches Modell entwickelt, dass die Zinssensibilität des Immobilienmarktes allgemeinverständlich erklärt. Als erstes trennt man gedanklich die Nutzungs- von der Asset­funk­tion, also den Immobilienwert von den Erträgen durch Vermietung. Dann wird – streng wissenschaftlich – die Komplexität reduziert:

  • Tulpenzwiebeln ersetzen die Immobilen. Sie repräsentieren in der Modellbetrachtung wertbeständige Assets, die einen Mehrwert produzieren.
  • Tulpenblüten stellen die Wohnungen dar. Diese kann man verkaufen (vergleichbar mit der Vermietung einer Wohnung) oder selbst in eine Vase stellen (Eigennutzung).
  • Der Verkauf der Blüten generiert eine Rendite. Der Nutzer der Blüten muss diese ständig ersetzen, das ist analog zur Mietzahlung für die Wohnung.
  • Die Nachfrage nach Tulpen ist saisonalen und konjunkturellen Schwankungen unterworfen. Ähnliches gilt für Mietwohnungen.

Jetzt fragt BankUnderground nach dem fairen Preis für Tulpenzwiebeln und stellt eine einfache Überlegung an: Angenommen ein Investor bekommt bei der Bank für 1.000 Euro 10 Prozent Zinsen, also 100 Euro pro Jahr. Wenn ein Kilogramm Tulpenzwiebeln pro Jahr Tulpen im Wert von 100 € produziert, ist der faire Preis 1.000 € minus einem Risikoabschlag für Ernteausfälle, Krankheiten usw.

Nun gehen die Marktzinsen zurück. Die Bank bietet dem Investor nur noch 5 Prozent Rendite, also 50 Euro pro Jahr. Ohne Inflation bleiben die Tulpenpreise in unserer Modellbetrachtung konstant. Was sind die Tulpenzwiebeln wert?
Ganz einfach: Ein Kilo Tulpenzwiebeln produziert weiterhin Tulpen im Wert von 100 Euro. Bei der Bank muss man 2.000 Euro deponieren, um nach einem Jahr 100 Euro Zinsen zu erhalten. Also müssen sich die Zwiebelpreise verdoppelt haben.

Vermögensbildung durch Immobilienerwerb

Kehren wir zurück zum Immobilienmarkt und den Vertriebsargumenten der Makler. Ein gewichtiges Argument für den Erwerb einer Wohnung ist die Bildung von Vermögen. Schließlich zahlt man den Kredit ab, anstatt den Vermieter zu alimentieren. Entgegen unserem Tulpenzwiebelmodell sind die Wohnungsmieten vielerorts kräftig gestiegen, obwohl Inflation quasi nicht existent war. Derzeitige Wohnungsverkäufer haben ihre Immobilien gleich zweifach gemolken: Erstens sind die Immobilienpreise marktzinsbedingt gestiegen. Zweitens konnten sie inflationsbereinigt zusätzlich positive Mietzinsen einnehmen.

Die Situation derzeitiger Käufer ist dagegen unkomfortabel: Die Marktzinsen sind negativ. Die Perspektiven weiterer marktzinsbedingter Immobilienpreissteigerungen sind wage2. Die Politik hat die Mietpreise ins Visier genommen. Weitere Preissteigerungen sind unsicher, zumal auf Bundesebene ein Regierungswechsel absehbar ist und die Republik als Ganzes nach Links rückt. Der Konjunkturzyklus ist weit fortgeschritten, die Wachstumsraten gehen bereits zurück. Hinzu kommt in weiten Teilen Deutschlands die deutlich negative Demographie.

Hauskauf vs. Kauf von Staatsanleihen

Wie oben ausgeführt, sind marktfähige Immobilien in den vergangenen Jahren systematisch »gemolken« worden und stehen aktuell ohne wirkliche Renditeperspektiven in der Landschaft. Damit gleichen sie Staatsanleihen, die vor Jahren mit auskömmlichen Kupons emittiert worden sind und aktuell mit negativen Renditen gehandelt werden. Käufer von Häusern und Käufer von Bundesschatzbriefen sitzen im gleichen Boot: Erstere entlohnen die Vorbesitzer üppig und erhalten »renditetechnisch ausgeweidete« Objekte. Letztere können sich immerhin mit der Tatsache trösten, unnötige Wahlgeschenke der Regierungsparteien finanziert zu haben.

Fazit

Ein einfaches Gedankenexperiment entblättert die Risiken des derzeitigen Immobilienmarktes. Marktgängige Immobilien wurden von ihren Vorbesitzern systematisch »gemolken«. Es bestehen kaum Renditechancen. Dafür ist die Liste der Risiken lang.

Beim Immobilienkauf versuchen die Verkäufer/Makler den Käufer mit Blick auf die Preishistorie eine hoffnungsvolle Zukunft auszumalen. Eine wenig Finanzmathematik genügt, um die meisten Argumente zu erden. Ansonsten hilft ein Blick in die Untersuchung der Bank of England, die ausführlich systematische Risiken herleitet.


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  1. Siehe hierzu auch den Beitrag zu den Perspektiven an den Währungsmärkten. Der bevorstehende Wechsel an der Spitze der EZB läutet einen stärkeren Einfluß der Politik auf die Entscheidungen der Notenbanken ein. Damit wird die Geldpolitik weniger berechenbar. 

  2. In dem Gastbeitrag untersucht Paul Schmelzing auf BankUnderground Niedrig- und Nullzinsperioden seit dem Mittelalter. Diese waren bis dato stets temporär. Falls eine Zinswende eintritt, steigen die Zinsen innerhalb von zwei Jahren um durchschnittlich um 3,15 Prozent.