Objektiv betrachtet gibt es keinerlei Grund zur Beunruhigung.
In den Berichten aus China wird unterschwellig immer wieder über einen Machtkampf im Zentralkomitee berichtet. Die offensichtliche Diskrepanz der Gefährlichkeit der Viruserkrankung und den eingeleiteten Maßnahmen zur Bekämpfung stützt die Vermutung, dass von interessierten Kreisen bewußt eine krisenhafte Zuspitzung gesucht wird. Möglicherweise mit dem Ziel, den Staatspräsidenten zu entmachten.
Fakt ist: Die chinesische Führung hat vollkommen kopflos reagiert und mit massiven Einschränkungen der Reise- und Versammlungsfreiheit die Ängste der Menschen vor dem Virus erst herbeibeschworen. Das Land selbst ist paralysiert. Die großen Handelspartner konnten und/oder wollten sich der Dynamik nicht entziehen. Sie kopierten das Verhalten der chinesischen Regierung, erließen zuerst Reisewarnungen und kappten danach die Verbindungen nach China.
Der Flugverkehr in China selbst ist eingestellt, genauso wie ein Großteil des kommerziellen internationalen Personenverkehrs. Chinesen, die sich im Ausland aufhalten, stehen unter Generalverdacht.
Seit Bekanntwerden erster Infektionen hat sich die Volatilität als Meßgröße für das eingepreiste Risiko für Investments an den Finanzmärkten fast verdoppelt (von 12% am 20. Januar auf 20 % zum Wochenschluß). Noch sind die konkreten Auswirkungen auf das Verbrauchervertrauen und die Stabilität von Lieferketten Gegenstand der Spekulation.
Die Preise an den Aktien- und Rentenmärkten fluktuieren sehr stark, hier dargestellt am Beispiel des S&P500. Am Freitag (31.1.2020) lancierte Goldman Sachs eine Pressemitteilung, wonach das US-Wirtschaftswachstum wegen der aktuellen Quarantänemaßnahmen in China um 0,4 % schwächer auffallen wird, als vorher prognostiziert. Daraufhin geben die US-Märkte um fast zwei Prozent nach.
Eigentlich sollten die Unternehmen in China am Montag dem 3. Februar ihre Arbeit wieder aufnehmen. Da die Verkehrsverbindungen weiterhin geschlossen sind, geht die China Inc. in verlängerte Winterferien. Jeder Tag des Stillstands zehrt am Wirtschaftswachstum, mit jedem Tag des ungeplanten Stillstands nehmen die negativen Auswirkungen überproportional zu.
China erwirtschaftet inzwischen etwa ein Fünftel des globalen Bruttosozialprodukts. Die Perspektiven für die Weltkonjunktur verdüstern sich somit mit jedem Tag eines paralysierten China.
Auf der anderen Seite hat die chinesische Notenbank (PBoC) bereits geldpolitische Lockerungen verfügt und steht bereit, die Konjunktur in China mit weiteren Maßnahmen zu stützen. Deshalb erwarten die meisten Marktteilnehmer eine ähnliche Preisentwicklung, wie nach vergleichbaren Ereignissen.
Dies skizzierte die Kommentatorin der Financial Times in einem Video wie oben dargestellt: Der rote Kasten stellt die Preissenkungen angesichts der Virusepidemie dar, die beiden folgenden Kästen repräsentieren die Preisentwicklungen an den Aktienmärkten nach drei und sechs Monaten.
Die überwiegende Mehrzahl der Unternehmen verweisen in ihren Q4-Berichten auf übertroffene Geschäftsziele. Die Geldpolitik ist bis auf weiteres akkumulativ (siehe unten). Marktteilnehmer nehmen dies durchaus wahr und huldigen den Daten. So sind die Aktienpreise von Apple, Amazon und Tesla nach den jüngsten Quartalszahlen förmlich durch durch die Decke gegangen. Wie üblich werden andere für das Verfehlen der Erwartungen hart bestraft: Facebook, Caterpillar oder Altria seien hier beispielhaft erwähnt.
Dieses muntere Treiben wird von den Spekulationen um negative Auswirkungen der nCoV-Epidemie überlagert. Inzwischen sind epidemiologische Erkenntnisse verfügbar.
Danach verbreitet sich das Virus deutlich schneller als die bisherige Referenz, der Sars-Ausbruch 2003. Die Dynamik entspricht jedoch der einer ganz normalen Grippe-Welle. Es ist unwahrscheinlich, dass es gelingt, die Krankheit genauso einzuhegen, wie vor fast 20 Jahren bei der deutlich gefährlicheren Sars-Erkrankung.
Auch damals waren die ersten Erkrankungen in China aufgetreten. Heute ist China ungleich stärker in internationale Waren- und Personenverkehre eingebunden.
Am Freitag wurde bekannt, dass sich in Bangkok zwei Taxifahrer mit dem Virus infiziert haben. Genauer: Zwei Taxifahrer haben sich bei den Behörden gemeldet. Taxifahrer sind ideale Wirte für das Virus. Wegen der schwachen Symptome ist die Dunkelziffer erkrankter Taxi-Fahrer und anderer Multiplikatoren höchstwahrscheinlich hoch. Es ist unmöglich, eine Stadt wie Bangkok, Jakarta oder Mumbai abzuriegeln. Eine Ausbreitung in den MegaCities ist nur eine Frage der Zeit.
Spannend wird der Umgang hiermit. Akzeptieren die Gesellschaften die Risiken des neuen Virus oder versucht man weiterhin eine Ausrottung.
In der vergangenen Woche berichtete die europäische Statistikbehörde, dass die positive Konjunkturentwickung in der Eurozone quasi zum Erliegen gekommen ist. Italien und Frankreich weisen jeweils ein Null-Wachstum aus, die übrigen Eurozonenstaaten berichteten in der Summe über einen Anstieg des GDP um gerade 0,1 % gegenüber dem Vorquartal, erwartete worden waren 0,2 %.
Die Aktienpreise sind in Europa aber seit September um etwa 10 Prozent gestiegen. Dieser spekulative Preisanstieg gründete sich auf die Hoffnung einer wirtschaftlichen Belebung in 2020. Diese Perspektive wird angesichts des konjunkturellen Gegenwindes aus China gerade wieder in Frage gestellt. Die jüngsten Preisrückgänge sind also eine Anpassung der Marktpreise an die Realität, ein Abfluß von Spekulation.
Im Herbst 2019 zündete die EZB ihr bislang letztes geldpolitisches Feuerwerk. Dies rechtfertigt auch ohne konkrete konjunkturelle Impulse einen gewissen Preisaufschlag am Aktienmarkt. Die jüngsten Preisrückgänge rücken die Bewertungen in Europa wieder ins Lot. nCoV liefert den Akteuren Munition um Preisrückgänge zu rechtfertigen.
Vermutlich haben wir die Höchstpreise für das Jahr 2020 bereits gesehen. Hieronymus erwartet für den weiteren Verlauf an den europäischen Aktienmärkten Wackelmärkte mit Indexständen im EuroStoxx50 zwischen 3500 und 3700 Punkten (DAX zwischen 12000 und 13200).
Analoges gilt für die Rentenmärkte. Die Rendite für deutsche Staatsanleihen ist wieder auf -0,42% gesunken. Weitere Renditerückgänge sind nur im Falle einer deutlichen Eskalation an der Virenfront in Asien wahrscheinlich.
USA: Notenbank verlängert QE. Seit September 2019 interveniert die FED am Geldmarkt (siehe Verschuldungsgrenzen und Fünfhundert Milliarden). Sie nimmt den Geschäftsbanken kurzlaufende US-Staatsanleihen ab und stellt ihnen im Gegenzug Liquidität zur Verfügung. Was ursprünglich als AdHoc-Maßnahme zur Stabilisierung des Repo-Marktsegments gedacht war, entwickelt sich zu einer unplanmäßigen Rückkehr zu einem ausgewachsenen Anleihenaufkaufprogramm.
Im geldpolitischen Update der FED verlängerte die Notenbank den Zeitrahmen der Stützungsmaßnahmen für den Repo-Markt (Übernachtausleihungen) bis April. Anleihenaufkäufe (Laufzeiten bis 1 Monat) werden sogar bis in das 2. Quartal hinein fortgesetzt.
Damit reagiert sie aus ausufernde Spekulationen, wie FED angesichts des absehbaren massiven Störfeuers seitens des Weißen Hauses – es ist schließlich Wahljahr – den Entzug der Liquidität moderieren würde. Man versucht, die Stützungen schleichend auslaufen zu lassen, signalisiert gleichzeitig, die Maßnahmen sofort wieder in Kraft zu setzen, sobald sich eine krisenhafte Entwicklung abzeichnet.
USA: Invertierung der Zinsstrukturkurve.
Am Donnerstag kletterte die Rendite für T-Bills mit drei Monaten Laufzeit über die von US-Treasuries mit zehn Jahren Laufzeit. Das bedeutet, dass die Marktteinehmer die Marktrisiken im nächsten Quartal schlechter abschätzen können oder höher einstufen als bei einem Zeithorizont von 10 Jahren. Dies wird als zuverlässiger Rezessionsindikator angesehen.
Altria schreibt weitere 4,1 Mrd. $ auf Juul ab.
Im Dezember 2018 beteiligte sich Altria zu 35 % an dem E-Zigarettenhersteller Juul. Man zahlte 12,8 Mrd.$. Inzwischen hat sich der Marktwert gedrittelt und Altria passt die Wertentwicklung in bislang zwei Schritten (Oktober 2019: 4,5 Mrd. $, Januar 2020: 4,1 Mrd $ ) in seiner Bilanz an. Dort wird Juul jetzt nur noch mit 4,2 Mrd. $ geführt. Dies sind die größten Abschreibungen in der Konzerngeschichte.
3M: too fat.
Ertrag: -28 % (Q4). Umsatz: -2,6 % (YoY), Stellenabbau: 1.500 Mitarbeiter. Aktienkurs: siehe unten.
Die Aktie des sowohl geographisch als auch unternehmerisch breit diversifizierten US-Konzerns kostete vor zwei Jahren 250 $. Aktuell notiert das Papier bei 160$ Der Chart zeigt schön die gestiegene Risikowahrnehmung: Die Monatskerzen sind seit 2018 signifikant größer, als die Kerzen im Aufwärtstrend.
3M ist ein wahrer Gemischtwarenladen, ein Fossil im neoliberal geprägten 21. Jahrhundert. Im Jahr 2019 versuchte man den Unternehmenswert mittels Financial Engineering aufzublähen. Man nahm 5 Mrd. $ Schulden auf, die größtenteils an die Aktionäre ausgeschüttet wurden. Die Dividende wurde in den letzten Jahren stets erhöht, obwohl die Erträge seit 2017 zurückgehen. Der Cash-Flow ist 2018 und 2019 negativ.
3M stellt Atemmasken her. Auch in China. Der nCoV-Ausbruch ist die Feuerprobe für die neue Konzernstruktur. Anstatt auf Regionalgesellschaften setzt das Unternehmen nun auf global agierende Produktsparten. Dies könnte sich als Glücksfall erweisen.
Die Bewertung des Unternehmens legt inzwischen eine Zerschlagung in die Einzelteile nahe. Die neue Konzernstruktur erleichtert die Bewertung der einzelnen Sparten. Beides dürfte die Aktienpreise auf dem aktuellen Niveau stützen. Die Aktie qualifiziert sich damit für eine Stillhalterstrategie.