Wochenbericht 40

Protektionismus: die nächste Eskalationsstufe

Der Handelskrieg zwischen den USA und China erschöpft sich keinesfalls in der gegenseitigen Festlegung von Strafzöllen. Maßgebliche Kräfte in den USA versuchen die Kapitalmärkte für ihre Zwecke einzuspannen. Es wird immer schwerer, in den USA Finanzierungen mit ausländischem Kapital zu realisieren. 2020 sind weitere Einschnitte vorgesehen.

(Stuttgart, 5.10.) Mit dem Monatswechsel endete die Phase relativer Ruhe an den Aktienmärkten. Die Preise folgen den immer deutlicher zutage tretenden konjunkturellen Bremsspuren. Der Chart im Titelbild zeigt das Ausmaß der Korrektur in den letzten Tagen. Charttechnisch notiert der europäische Leitindex EuroStoxx50 in der Mitte einer breiten TradingRange (rot dargestellt). Gründe für sinkende Marktpreise sind mannigfaltig. Man fragt sich, wo die Notierungen aktuell stünden, wäre die EZB nicht mit einem erneuten Anleihekaufprogramm eingesprungen.

Finanzmärkte rücken ins Zentrum der US-Handelspolitik

Das US-Finanzministerium hat das US-Schatzamt angewiesen zu prüfen, wie man institutionelle Investoren (z.b. Pensionskassen) zu Obergrenzen bei Investments in chinesischen Unternehmen und -Anleihen verpflichten kann. Parallel hierzu läuft eine Anfrage bei der US-Börsenaufsicht, die ein Delisting von chinesischen Unternehmen an US-Publikumsbörsen zum Ziel hat.

Die Marktkapitalisierung chinesischer Unternehmen an US-Börsen übersteigt 1.400 Mrd. $. Das ist etwa 20 Prozent der Marktkapitalisierung sämtlicher Unternehmen an sämtlichen Börsenplätzen in China und ein Drittel der Marktkapitalisierung des Börsenplatzes Hongkong. Kleine Anekdote am Rande: China hält derzeit noch etwa US-Staatsanleihen im Gegenwert von etwa 1.100 Mrd. $.

Vermutlich schützt das Ausmaß der derzeitigen Verflechtung der Finanzmärkte vor einer überstürzten Einführung von Finanzierungshürden für chinesische Unternehmen. Theoretisch könnte China Auslandsinvestments bei Inlandsunternehmen durch den Verkauf von US-Staatsanleihen »auslösen« und die Unternehmensanteile repatriieren. Praktisch ist dies kaum durchführbar.

Grauer Markt und Cfius

Während sich die »China Hawks« an den öffentlichen Börsenplätzen derzeit noch die Zähne ausbeißen, ist der Kampf um die Investitionshoheit in ungeregelten Marktsegmenten längst entbrannt. Falls sich ausländische Unternehmen an US-Firmen (mit Sperrminorität) beteiligen wollen, hat das Committee on Foreign Investment in the United States (Cfius) stets das letzte Wort.

Chinesische US-VentureCapital-Investitionen betragen 2019 bisher 4 Mrd.$. In den ersten 9 Monaten 2018 flossen dagegen 7 Mrd. $ in aufstrebende, nicht börsengelistete Unternehmen. Die Trump-Administration hat die Macht des Cfius gerade aufgewertet und dessen Zuständigkeit erweitert. Ab 2020 müssen auch Auslandsinvestitionen von Cfius genehmigt werden, die nur eine Minderheitsbeteiligung zur Folge haben. Ebenfalls ab 2020 müssen zusätzlich auch Minderheitsbeteiligungen ausländischer institutioneller Investoren (Private Equity Fonds, Pensionskassen, Hedge-Funds) vom Cfius genehmigt werden. Die USA bereiten sich sichtbar auf eine Abschottung vor.

Diese Entwicklung hat augenscheinlich nichts mit der aktuellen republikanischen Administration zu tun. Auch die US-Demokraten stehen ausländischen Investitionen in US-Unternehmen mehrheitlich kritisch gegenüber.

Die Woche an den Finanzmärkten

  • US-Arbeitslosigkeit. Die offiziellen Non Farm Payroll-Daten weisen die niedrigste Arbeitslosigkeit seit 1969 aus. Trotz offensichtlicher Vollbeschäftigung steigen die Löhne kaum: Auf Jahressicht sind die Arbeitslöhne um 2,9 Prozent gestiegen (August: 3,2 %). Die Ursache des erneuten Rückgangs der Lohndynamik: Die US-Ökonomie baut Stellen im Niedriglohnsektor aus. Das produzierende Gewerbe baut hingegen (gut dotierte) Stellen ab.
  • EinkaufsmanagerIndizes Produzierendes Gewerbe. Inzwischen notieren alle Einkaufmanagerindizes der Industrieländer unterhalb von 50. Sie zeigen damit unisono eine Kontraktion des Sektors an. Europa und Deutschland weisen die schlechtesten Daten aus (46 und 42). Der ISM, also der Index der USA, ist im September dynamisch unter die Markt von 50 gefallen. Selbst Japan (Sonderkonjunktur wg. Olympia 2020) kann sich diesem Trend nicht entziehen. Das produzierende Gewerbe in den USA weist dank dieses Rückgangs einen Pessimismus aus, wie zuletzt 2009. Die folgende Darstellung ist der FT entnommen. Sie zeigt die Dynamik der aktuellen Stimmungseintrübung und die mutmaßliche Ursache, den einbrechenden Export. ISM-Entwicklung
  • Eurozone: Inflation. Die EZB-Prognose für 2021 lautet: 1,5 – 1,8 Prozent. Im September 2019 betrug die Inflationsrate nur 0,9 Prozent. Ob eine weitere Lockerung der Geldpolitik hier hilft?
  • Australien: Zinsentscheid. Die australische Notenbank(RBA) verkündete eine weitere Leitzinssenkung. Der Zinssatz ist mit 0,75 % nun auf einem historischen Tiefstand. Die RBA stemmt sich damit massiv gegen deflationäre Entwicklungen des wichtigen Immobilienmarktes und versucht die Auswirkungen des sino-amerikanischen Handelskonflikst zu kompensieren. Die australische Wirtschaft wächst gerade noch ein halbes Prozent pro Jahr.
  • Japan: Irritationen am Anleihemarkt. Die Renditen für japanische Staats­anleihen fuhren Achterbahn. Der Grund: Die japanische Notenbank kündigte an, ihre planmäßigen Anleiheaufkäufe im Oktober zurückzufahren. Gleichzeitig kündigte GPIF, der größte Pensionsfonds der Welt (Volumen: 1,5 Billion US-Dollar), der die Pensionsansprüche japanischer Beamter verwaltet, an, seine Ankäufe japanischer Staatsanleihen zurückzufahren und statt dessen Staatsanleihen anderer Industrieländer zu erwerben. Daraufhin brachen die Kurse für japanische Staatsanleihen ein. Hieronymus hat im Wochenbericht 38 auf Verschuldungsgrenzen bei Staaten hingewiesen. Über Verzerrungen am japanischen Repo-Markt selbst ist zwar nichts bekannt, ein Zusammenhang der Entscheidung der japanischen Notenbank mit den jüngsten Verzerrungen am amerikanischen Repo-Markt ist aber wahrscheinlich. Diese Entwicklung dürfte auch die EZB sehr aufmerksam beobachten.
  • Politisierung der EZB schreitet voran. Es vergeht kaum ein Tag, an dem sich nicht ein profunder Kritiker der Geldpolitik der EZB öffentlich äußert. Diese Woche meldete sich (endlich) Jens Weidmann (Bundesbank). Er positionierte sich offensiv gegen eine Aufweichung der Kriterien, zu denen die EZB Staatsanleihen aufkaufen darf. Ohne eine Reform dieser Bestimmungen müsste das verkündete Anleihenkaufprogramm mangels verfügbarer Anleihen binnen Kurzem eingestellt werden. Dies könnte zum Lackmustest für Christine Lagarde werden. Dann stimmte Oliver Bäte, seines Zeichen CEO der Allianz in die Kritik ein und bezichtigte Mario Draghi einen Mangel an Unabhängigkeit. Er wies auf eine parallele Entwicklung der Liquidität im europäischen Finanzsektor hin, der zu den jüngsten RepoMarkt-Turbolenzen in den USA geführt hat.