Wochenbericht 49

Renaissance europäischer Kapitalmärkte?

Im Sommer fiel die Parität des Euro zum US-Dollar. Aktien wurden zeitgleich abverkauft. Seitdem erholen sich die hiesigen Finanzmärkte. Ist dies ein klassisches »Dead Cat Bounce« oder steckt mehr dahinter?

Stuttgart, 10. Dezember 2022.

Allein ein Blick auf die Preistafeln bei den Tankstellen zeigt: Benzin und Diesel sind aktuell kaum teurer als im Dezember 2021. Welche Ratio steckt dahinter?
Benzin ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Bei Rohstoffen gibt es zwar starke Ausschläge nach oben und unten, die meisten bewegen sich aber in üblichen Preisgrenzen.

Rohstoffakt. PreisYoYRohstoffakt. PreisYoY
Brent Öl76,7+2,4 %Crude Öl71,0-0,3 %
TTF Gas130,1+31,5 %Natural Gas6,3+61,9 %
Ethanol2,1-28,1 %Methanol2576-1,8 %
Propan0,7-33,0 %Naphta484,1-15,5 %
Gold1797+0,8 %Kupfer3,8-9,5 %
Stahl3760-12,6 %Eisenerz111,5+8,8 %
Sojabohnen1241+16.2 %Weizen709,6-9,6 %
Mais634,1+ 7,5 %Kakao2454-0,3 %
Reis0,05+18,5 %Hafer360,2-49,5 %
Zucker19,6-0,6 %Kaffee157,8-32,9 %

Die Preise sind in US-Dollar und die Daten stammen von TradingEconomics.

Viel Rauch um Nichts, ein Erfolg der Krisendiplomatie oder ist dies schlicht eine sinnleere Interpretation des Rauschens?

Traditionell sind Trends bei Rohstoffen Vorboten der Inflationsentwicklung. Nimmt man die Entwicklung des letzten halben Jahres als Maßstab, dürfte die Teuerungsrate global sehr bald deutlich zurückgehen. Skeptiker wenden an dieser Stelle korrekterweise ein, dass sich die ökonomischen Konsequenzen der geopolitischen Spaltung erst 2023 und 2024 zeigen. Viele Produzenten hätten 2022 zu völlig verrückten Preisen Ware für das nächste Budgetjahr ordern müssen. Diese stehen nun vor dem Problem, ihren vertraglichen Verpflichtungen nachkommen zu müssen, obwohl die im Jahresverlauf antizipierte Mangellage nirgends eingetreten ist. Zudem würde die Nachfrage der Konsumenten zunehmend preissensibler.

Dies wirkt sich auf die Ertragslage der betroffenen Unternehmen aus, ändert aber nichts am Rückgang der Inflation. Dieses Narrativ legt jedoch die Basis für eine negative Korrelation zwischen Kaptialmarktpreisen und Inflationsentwicklung. Aktuell speist sich die Kurserholung an den Aktienmärkten aus der Perspektive auf ein Ende des Zinsanhebungszyklus von FED und EZB. Der Preisrückgang an den Rohstoffmärkten legt nicht nur die Axt an die Inflation, er versieht auch eine positive Preisentwicklung bei Aktien mit einem großen Fragezeichen. Auf der anderen Seite sind dies weitere gute Nachrichten für Fremdkapital-Engagements.

Abbildung 1: Performance von Aktien relativ zu Anleihen; Quelle:Goldman Sachs

Die Abb. 1 zeigt nur zu deutlich, wie dramatisch Aktien nach dem Ende des Kalten Kriegs um 1990 Anleihen outperformt haben. Vorher waren Anleihen veritable Kapitalspeicher, die bei deutlich niedriger Volatilität etwa die gleichen Renditen boten. Was spricht angesichts der erneuten geopolitischen Spaltung der Welt gegen eine Rückkehr der Preismuster in gewohnte Bahnen?

Ursache der Underperformance von Anleihen sind Markteingriffe der Notenbanken (QE). Wenn diese sich nun auf ihr Kerngeschäft zurückziehen, steht einer Renaissance der Assetklasse Anleihen auch unter historischen Aspekten nichts entgegen.

Die Preisrisiken der Assetklasse Aktien – inbesondere in den USA – sind mit Blick auf die Abb. 1 offensichtlich.

Aktienrente, demographischer Wandel und Kapitalmarktstrategien von Pensionskassen

Derartige Kapitalmarktperspektiven ficht die Politik nicht an. Im Gegenteil. Auch Deutschland wird sich einen strategischen Aktienfonds zusammenkaufen, das gab das FDP-geführte Finanzministerium in der vergangenen Woche bekannt. Bereits 2023 werden 10 Mrd. Euro in heimischen Aktien allokiert. Die Idee dahinter: Die Überrendite dieser Anlageklasse füllt Löcher in der Rentenkasse und entlastet zukünftige Generationen.

Das passiert seit Langem in Norwegen, Singapore, Chile, allen arabischen Staaten, ect. und natürlich auch in Frankreich. Staatsfonds lassen sich in drei Gruppen einteilen: Rohstoffexporteure versuchen auf diese Weise Handelsbilanzüberschüsse sinnvoll zu verwenden. Eine zweite Gruppe nutzt dieses Instrument zur strategischen Stützung der heimischen Wirtschaft (Singapore, Chile, Frankreich). Die dritte Gruppe implementiert staatliche Pensionsfonds.

2022 könnte das erste Jahr werden, wo die deutsche Industrie keinen Handelsbilanzüberschuss erwirtschaftet. Das Land macht historisch viele Schulden, um die Bürger vor den Folgen der russischen Invasion in der Ukraine zu entlasten, zahlt erstmals seit über fünf Jahren wieder Zinsen für emittierte Staatsanleihen und legt ausgerechnet nun einen (schuldenfinanzierten) Staatsfonds auf. Man kann wohl die Uhr danach stellen, dass der Fonds mangels realer Performance zum Instrument der Industriepolitik wird, ähnlich wie in Frankreich.

Interessant ist der Vorschlag in einem anderen Kontext. Amin Rajan (Create Research) hat im Auftrag von Almundi Fondsmanager von Pensionskassen zu ihren Anlagestrategien interviewt.
Danach gehen die Fondsverantwortlichen von einer längeren Inflationsphase aus. Die Anlagestrategie der Dickschiffe der institutionellen Kapitalanlage (AUM der befragten Manager: 2 Billionen USD) wurde demnach bereits 2022 auf die neuen Gegebenheiten ausgerichtet.

  • Hochverzinste (investmentgrade) Anleihen bilden die Basis der Assetallocation. Diese Anlagen schützen das Kapital vor der Geldentwertung und können für andere Anlagestrategien beliehen werden.
  • Private-Equity, Immobilien und Beteiligungen sind der zweite Pfeiler. Hier sollen positive Realrenditen erwirtschaftet werden.
  • Ein global diversifiziertes Portfolio an Blue-Chip-Aktien rundet die Assetallocation ab.

Im letzten Punkt überschneiden sich die Ziele der bundesdeutschen Aktienrente und die Anlagestrategie der Pensionskassen. Das zieht unabhängig von der Konjunktur- und Ertragsentwicklung einen Preisboden bei den Blue-Chips der Welt ein und stützt die Bewertungen Aktien-Indizes aus Deutschland und Frankreich und damit mittelbar auch den Euro­Stoxx50.

Abbildung 2: Relative Bewertung von europäischen und us-amerikanischen Bluechips; Quelle: StephaneDeo, Substack

Fondsmanagern von Pensionskassen kann ein rationales Anlageverhalten unterstellt werden. Angesichts des Bewertungsvorteils ist es schlicht Rational, jetzt strategisch in Europa (und Japan) zu investieren, anstatt in den USA. Das Deutschland und Frankreich (wie auch Japan) institutionell langfristig in heimischen Titel investieren, dürfte eine Übergewichtung außerhalb der USA zusätzlich rechtfertigen.

Es gibt freilich keinen Automatismus, der die Bewertungslücke zwischen Europa und den USA verringert. Bereits seit 2020 verzeichnet die Eurozone kontinuierliche Kapitalabflüsse.

Abbildung 3: Kapitalströme

Trotz der hohen Bewertung fließt derzeit ausschließlich Kapital in die USA. Selbst die Kapitalströme in die Schwellenländer versanden mehr und mehr.

Vor diesem Hintergrund ist die Preisentwicklung des EuroStoxx bemerkenswert. Seit einigen Wochen performt der Index den S&P 500 kontinuierlich aus.

Abbildung 4: Preisentwicklung des EuroStoxx50

Hat hier etwa bereits eine Eindeckungsrallye begonnen? Antizipieren die Kapitalmarktteilnehmer bereits den Wiederaufbau der Ukraine? Profitiert die europäische Wirtschaft von der neuen Stellung als Bollwerk gegenüber autoritären Staaten des Ostens? Wir werden es in den ersten Monaten des neuen Jahres erfahren. Nach der jüngsten positive Preisentwicklung ähnelt die Preisentwicklung europäischer Aktien mehr denen japanischer Counterparts denn us-amerikanischer Konkurrenten. (Performance (YoY), USA: -16,5 %, Europa: -10 %, Japan: 0 %). Hält das Muster, würden Aktienpreise auch in Europa weniger Objekt der Spekulation sein. Allein dies wäre bereits eine positive Perspektive.

Abbildung 5: Preisentwicklung des japanischen Leitindex Nikkei 225

Ressourcen

  • Pension Funds: reorientating asset allocation in an inflation fuelled world, Institute Create, Pension Survey 2022