Wochenbericht 44

The Next Big Thing

Die Übernahme von Twitter durch Elon Musk beendet das Web2-Zeitalter. Wie wenig innovativ die US-Technologie-Giganten in den letzten Jahren waren, zeigt der Blick auf angestaubte Hollywood-Schinken. Meta hat dies klar erkannt und setzt konsequent auf neue Wege. Mit katastrophalen Konsequenzen für Aktionäre. Ist Meta ein neuzeitlicher Phönix oder eine Reinkarnation von Ikarus?

Stuttgart, 5. November 2022.

Am 21. März 2006 sandte Jack Dorsey den allerersten Tweet in die Weiten des WorldWideWeb. Der Inhalt ist überliefert: »Just setting up my twttr«. Empfangen konnte mangels geeigneter Empfangsgeräten noch niemand. Dorsey ging es damit wie den Rundfunkpionieren zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Obwohl der Dienst von Beginn an kommerziell ausgerichtet war, steckte in Twitter immer auch viel Idealismus. So war es in der Anfangsphase üblich, sich die Tweets direkt vom Twitter-Server zu holen, kostenlos. Erst viel später wurde der Zugriff über die werbefinanzierte Web-Oberfläche obligatorisch.

Dorsey hatte die Vision, einen universellen Austauschdienst für das Web zu betreiben, Twitter als Teil einer globalen Daseinsvorsorge wie Wasser, Strom und die Postzustellung. Twitter hat aber niemals die dafür notwendigen dezentralen Strukturen entwickelt.

Wegen der begrenzten ökonomischen Perspektiven war die Twitter-Aktie stets ein Underperformer.

Dies will Elon Musk nun ändern. Nachdem er für den Schnäppchenpreis von 44 Mrd. Dollar nun Eigentümer der Firma, der Marke und des Softwarecodes ist, weht in der Konzernzentrale ein anderer Wind. Alles wird auf Effizienz getrimmt; Twitter muss den Kaufpreis in Rekordzeit einspielen, zusätzlich zu den inzwischen nicht mehr trivialen Zinszahlungen für die Bedienung des Fremdkapitals.

Twitter hat allerdings längst kein Alleinstellungsmerkmal mehr. Mastodon hat die ursprüngliche Idee Dorsey’s aufgegriffen und umgesetzt. Der Dienst ist dezentral und wird von den Nutzern finanziert. Dort treffen sich die Vordenker, Visionäre und Individualisten der Welt zum Meinungsaustausch. Telegram, Whatsapp und Signal sind die Weiterentwicklung des SMS-Services, Slack ist der Spezialist für Business-Kommunikation und LinkedIn eine Twitter-Implementation mit einem fundierten Geschäftsmodell.

Twitter war zuletzt nur noch »Me too«. Es würde überraschen, wenn der Dienst unter Musk eine prosperierende Zukunft hätte.

Twitter und Facebook – Der Abgesang auf das Web2

Twitter steht nicht allein mit dem Rücken zur Wand. Auch Facebook laufen seit geraumer Zeit die Nutzer davon. Marc Zuckerberg hat sich – anders als Jack Dorsey – die Bestimmungsgewalt über den Meta-Konzern gesichert. Er kontrolliert 54% des stimmberechtigten Kapitals und hat längst erkannt, dass die Dienste Facebook, Whatsapp und Instagram kaum noch Entwicklungsperspektiven haben. Konsequent baut er den Konzern nun zukunftsfähig um.

Es stößt hierbei – wie kaum anders zu erwarten – auf allerlei Widerstände. Der Versuch, Meta als Krypto-Konzern aufzustellen, scheiterte (vorerst) kläglich. Das Projekt Digitalwährung (Diem) wurde inzwischen aufgegeben. Auch die VR-basierte Social-Network Horizon Worlds floppt bisher. Andererseits konnte sich beim Börsengang 2012 niemand vorstellen, wie Zuckerberg mit Facebook kommerziell erfolgreich sein könnte.

Abbildung 1: Meta: Pleitekandidat oder Kaufgelegenheit?

Der Aktienkurs von Meta ist auf das Niveau des Jahres 2016 zurückgekommen. Die Firma investiert massiv in seine Metaverse-Projekte (9,4 Mrd. $ allein 2022). Mit der gewählten Eigentümerstruktur ist Meta aktuell flexibel wie ein StartUp-Unternehmen. Der Preisverlauf der Aktie zeigt, dass ihm, trotz seiner Größe, auch ähnliche Risiken innewohnen.

Gelingt es, jetzt Strukturen für das Metaverse zu legen und Schlüsselpositionen zu besetzen und wird selbiges tatsächlich the Next Big Thing, wäre ein Kauf von Meta-Aktien unter 100$ ein wahres Schnäppchen. Falls es anders kommt, gammelt das in der Aktie gebundene Kapital bestenfalls vor sich hin. Fern aller Emotionen ist Meta ein klarer Kauf!

Es mehren sich sogar Hinweise, dass Meta die aktuelle Krypto-Eiszeit geschickt für die Besetzung strategischer Positionen nutzt. Die derzeitigen Cash-Cows (Facebook, Whatsapp und insbesondere Instagram) können kurzfristig mit kryptographischen Add-On’s ausgestattet werden (aktuell: NFT-Verwendung bei Instagram). Auch Bezahlfunktionen sind immer wieder im Gespräch. Wie allerdings der Widerspruch überwunden werden soll, dass ein zentraler Dienst das dezentral angelegte Web3 dominieren will, ist Hieronymus nicht ganz klar. Andererseits prosperiert auch die zentralisierte Kryptowährung Solana neben den dezentralen Dinosauriern Bitcoin und Ethereum.

Letzte Woche stieg Meta bei Arweave ein, einem Web3-Marktplatz für NFT’s. Dort können NFT’s nicht nur gehandelt, sondern auch dauerhaft gespeichert werden. Diese Funktion wird in die Meta-Apps integriert. Prinzipiell kann Arweave über die Anbindung an einen NFT alles dauerhaft, sicher und mit digitalem Eigentumsnachweis speichern, was digital dargestellt werden kann. Der Kurs des Tokens explodierte daraufhin. Arweave ist inzwischen 838 Mio $ wert.

Fazit: Meta hat als Erster der US-Technologie-Giganten die Grenzen des bisherigen Geschäftsmodells erkannt. Anders als die Konkurrenten Google und Amazon hat Meta sich stets auf sein Kerngeschäft konzentriert. Der aktuell Turnaround ist risikobehaftet. Unklar ist, ob und wie profitabel das zukünftige Geschäftsmodell sein wird. Gelingt die Neuausrichtung, könnte die Aktie mit der Preisentwicklung im Krypto-Segment korrelieren.

Nachtrag Geldpolitik

Abbildung 2: Reale Inflationsraten(hellgrün) und Leitzinsniveaus (dunkelgrün) für ausgewählte Volkswirtschaften (Quelle: GZero)
Abbildung 3: Financial-Conditions-Index: Akkumulative und restriktive Geldpolitik im Spiegel der Zeit (Graphik: IRA Markets Minutes)

Nun hat die FED die Leitzinsen zum vierten Mal in Folge um 0.75 % angehoben. Trotzdem ist die Geldpolitik auch in den USA aktuell gerade neutral. Wie die Abb. 2 zeigt, sind die Leitzinsen in den wichtigsten Volkswirtschaften mit der Ausnahme Brasiliens überall kleiner als die aktuelle Inflation. Überall sind auch die Marktzinsen geringer, als die aktuelle Inflationsrate. Das stützt die Notierungen an den Kapitalmärkten.

Die Abb. 3 zeigt, wie massiv restriktiv die Geldpolitik der FED in der Vergangenheit teilweise war. Zeiten einer restriktiven Geldpolitik endeten stets in einem unkoordinierten Ausverkauf an den Aktienmärkten.

Hiervon sind wir – insbesondere in Europa – noch meilenweit entfernt.

Wenn die FED erstens den Übergang zu kleineren Zinsschritten ankündigt und zweitens die Zielmarke nochmals anhebt, ist das einerseits ein Friedensangebot an die Finanzmarktteilnehmer. »Seht, wir versuchen alles, um eine sanfte Landung zu orchestrieren«, lautet die Message. Andererseits ist die Geldpolitik spätestens nach der nächsten Zinserhöhung definitiv restriktiv. Dies steht einer nachhaltigen Aktienmarktrallye entgegen und verzögert die Renaissance der Anlageklasse Anleihen.

Irritierend ist die folgende Graphik,die Adam Tooze in seinem Chartbook geteilt hat

Abbildung 4: Das Ausmaß der Immobilienpreisblase

Sie zeigt die eigentliche Triebkraft des derzeitigen Inflationsregimes. Seit der Jahrtausendwende waren die Preise für Verbrauchsgüter fix. Bei Vermögenswerten war das anders. Insbesondere die Preise für wenig liquide Assets in engen Märkten erlebten wahre Preisexplosionen. Der kometenhafte Preisanstieg in Amsterdam steht Pate für die Immobilienpreisexplosion in den urbanen Zentren der Industriestaaten. (Siehe hierzu auch die Beiträge Global Real Estate Bubble Index und Die EZB-Zinspolitik und das Wohlergehen der Immobilienbesitzer aus dem Jahr 2019.)

Nachdem sich die Inflation zwei Jahrzehnte in den Vermögenswerten ausgebreitet hat, sind nun die Verbrauchsgüter an der Reihe. Die im historischen Kontext extrem geringe Rendite für vermietete Immobilien spricht für eine Re-Allokation des derzeit in Immobilien gebundenen Kapitals. Hiervon sollten insbesondere Anleihen profitieren. Für Eigenkapitalinvestments spricht strategisch wenig, das zeigt die finale Graphik dieses Wochenberichts.

Abbildung 5: Erste Ableitung der Unternehmenserträge: Das Gewinnwachstum ist rückläufig.(Quelle: FT)

Ressourcen

  • Big tech, big trouble, Economist, 5.11.2022, p. 14
  • Meta’s woes spur brutal reassessment of Big Tech’s bets, FT 28.10.2022
  • Krypto: Arweave kooperiert mit Meta. ECIN, 3.11.2022
  • Financial Conditions Indexes (2017), St. Lois FED
  • Financial Conditions Indexes (Daten), Chicago FED