Wochenbericht 15/23

Eine automobile Exkursion

Elon Musk hat sich wieder geschickt in die Schlagzeilen bugsiert und will bei Generative AI die Erfolgsstory Tesla wiederholen. Woanders werden kleine Brötchen gebacken. Bei Ford zum Beispiel. Das kann für die Geldanlage interessanter sein, als riskante AI-Wetten.

Stuttgart, 15. April 2023.

Den Anfang macht Elon Musk. Er schafft es immer wieder in die Schlagzeilen. In dieser Woche fielen Hieronymus gleich vier Meldungen auf

  1. Musk will in China großflächig in die Produktion von Energie-Containern einsteigen. Die Container sind prall gefüllt mit Lithium-Batterien und sollen in Asien in Wohngebieten aufgestellt werden. Die Idee ist, die nähere Umgebung energieautark zu machen. Die Batterie-Container puffern den Energiebedarf für versorgungsschwache Perioden. Zeitgleich kündigten deutsche Versorger (mit Unterstützung grüner Umweltminister) an, neue Gaskraftwerke bauen zu wollen. Mehr strukturellen Konservatismus gibt es wohl nur in den USA. Deshalb produziert Musk schließlich in China.
  2. Nun ist es offiziell: Space-X, das Raumfahrtunternehmen von Musk, wird kommerzielle Raumflüge anbieten. Die Genehmigung hat die US-Luftfahrtbehörde am Freitag erteilt. Damit ist auch klar, dass das Unternehmen die (bemannten) Mond- und Marsflüge der Nasa durchführen wird.
  3. Der eigentliche Knaller ist aber die Ankündigung Musks, eine Konkurrenz zu OpenAI zu gründen. OpenAI ist der von Microsoft gestützte Hersteller von ChatGPI. Damit entwickelt sich das AI-Marktsegment zu einem Duell der Giganten: Microsoft, Google, Meta, Amazon und Elon Musk teilen sich die wohl interessanteste Zunkunftsinnovation. Alle kommen aus den USA, überall spielt Geld keine Rolle. Es ist wohl das erste Mal, dass eine Zukunftsinnovation von Beginn an von einem Oligopol vorangetrieben wird.
  4. Twitter heißt nun X-Corp.. Der Firmensitz wurde von Delaware nach Nevada verlegt. Elon Musk entwickelt sein Firmenimperium um den Buchstaben “X” herum: Space-X, X-Corp, X-Holdings …
    Zeitgleich meldete das US-Nachrichtenportal NPR(National Public Radio) seinen Rückzug von Twitter. Dort prangt seit dem Wochenende das Label ‘Government Funded Media’ über sämtlichen Beiträgen. Gleiches passierte auch der BBC. Das Label erinnert an das russische “Ausländischer Agent”-Label für regierungskritische NGO’s. Die BBC konnte Twitter überzeugen, gebührenfinanziert zu sein, also Staatsfern. NPR ist die US-Version des öffentlich rechtlichen Rundfunks.
    Seit der Übernahme durch Elon Musk wurde die Mitarbeiterzahl von Twitter drastisch reduziert. Jetzt stehen gerade noch 1.500 Mitarbeiter auf der Payroll, vor einem halben Jahr arbeiten dort noch mehr als 8.000 Menschen. Scheinbar sind hauptsächlich Wirrköpfe geblieben, mit dem Auftrag, die die crude Ideologie des Herrn Musk in die Welt tragen.

Elon Musk positioniert sich weiter geschickt in technologischen Schlüsselsektoren. Wo Geld keine Rolle mehr spielt, gewinnt die Machtfrage an Gewicht. Dieser Faktor wird immer bedeutender und erklärt das Interesse an Generative AI. Von da aus ist der Schritt ins Weiße Haus nicht fern. House of Cards könnte dann Realität werden.

Mit Tesla hat Musk bewiesen, wie er als One Man Show eine ganze Branche vor sich hertreibt. Während die klassischen Automobilhersteller auch im Jahr 2023 noch auf der Suche sind nach einem profitablen Geschäftsmodell für die elektromobile Zukunft, generiert Tesla planmäßige Erträge. Erst am Donnerstag fragte ein Reporter des Wallstreet Journals, warum sich die Automobilhersteller überhaupt auf das Experiment Elektromobilität einlassen. Die erzielbaren Gewinnmargen sinken schließlich durch den Systemwechsel. Das ist wider der kapitalistischen Logik. Die Antwort ist, so das Wallstreet Journal, zweigeteilt. Erstens treibt die Umweltgesetzgebung in Kalifornien, Europa und China die Branche in den USA vor sich her. Zweitens lässt Elon Musk den Herstellern keine Alternative.

Die Entwicklung in der Automobilbranche könnte sich in den anderen Sektoren wiederholen, in denen Musk tätig ist. In der Raumfahrt hat er wegen der sehr hohen Einstiegsbarrieren bereits das Quasi-Monopol. Es entspräche dem Naturell von Musk im AI-Segment eine ähnliche Dominanz durchzusetzen. .

AI bei Bloomberg

Am Montag eröffnete Bloomberg Kunden und der interessierten Öffentlichkeit, einen Beta-Test mit einer eigens mit dem umfassenden (offline) Unternehmensdaten-Archiv trainierten ChatGPT-Version ein humanes Interface für Finanzinformationen aller Art zu starten. Das dürfte für Bloomberg zu einer Goldgrube werden. Bereits bis dato war Bloomberg im institutionellen Bereich unverzichtbar. Man benötigte aber eingearbeitete Mitarbeiter, die aus dem Bloomberg-Terminal das Beste herausholten. Das entfällt nun. Unternehmen sparen mindestens eine halbe Millionen Fixkosten pro Jahr (3 Mitarbeiter). Nun darf jeder raten, wieviel Bloomberg für seine künstliche Intelligenz verlangen wird.

Ford: Transformation im Autoland USA

Im März »poppte» folgende Meldung hoch: Ford gründet Latitude AI und stattet es mit 550 Mitarbeiten aus den ehemaligen Entwicklungsabteilungen Fahrassistenz, maschinelles Lernen, Kartierung, Cloud-Computing, Sensoren und Sicherheitstechnik aus. Das Ziel: Ford wird binnen Kurzem hauptsächlich selbstfahrende Autos produzieren, manuelle PKW sind ein Auslaufmodell. Die Bündelung der Ressourcen soll Latitude AI an die Spitze der Entwicklung katapultieren.

Das kam Hieronymus bekannt vor. Tatsächlich: 2017 gründete Ford die ArgoAI, ein Tochterunternehmen, dass selbstfahrende Automobile auf die Straße bringen sollte. Es wurden Kooperationen geschmiedet, mit Uber, Lyft, Google, VW und anderen. Im Oktober 2022 zog man ob ausufernder Verluste die Reissleine und beerdigte ArgoAI. Nun also der Neustart auf Konzernebene.

Die Meldung hatte keine Auswirkung auf den Aktienpreis. Sie zeigt aber, wie Unternehmen aktuell (erneut) das Thema AI ausschlachten und dass die Bäume nur wegen des Erfolgs von OpenAI auch hier nicht in den Himmel wachsen.

Abbildung 1: AI-Phantasie bei Ford?

In der Vorwoche gab Ford bekannt, dass die Verkaufszahlen im ersten Quartal gegenüber dem Vorjahr um 10 Prozent gestiegen sind. Das hievte den Aktienkurs immerhin kurzzeitig um zwei Prozent. Kursrelevanter war eine Mitteilung des Vorstands, dass die E-Mobil-Sparte im Jahr 2023 2,1 Mrd. $ Verluste einfahren wird, nach 900 Mio. Verlust in 2022. Man hält aber eisern an seiner Strategie fest, den Konzern zukunftsfähig, also E-Mobil umzubauen. In einem Akt des Patriotismus sprang der Aktienkurs danach von 11,30 auf 12,50 $.

Ford beabsichtigt, mit E-Mobilen eine operative Marge von 8 % zu erzielen. Das ist ein Rückgang von 20 % gegenüber der fossilen Gegenwart. Selbst dies gelingt nur durch eine Ausweitung der Fertigungstiefe. Ab 2026 will man den Großteil seines Ertrags mit E-Mobilen erzielen.

Die Maßnahmen des Ford-Managements reihen sich ein in vergleichbare Strategien der Konkurrenz. Überall werden die fossil betriebenen Modelle als Cash-Cow maximal gemolken, gleichzeitig wird das Netzwerk an Zuliefern zusammengestrichen. Der Trend hin zu Lean Production ist global gestoppt. Die Transformation in der Automobilbranche ist auch eine Zeitreise zurück in die 1980er.

Die Märkte sind gesättigt. Es ist fraglich, ob Menschen für selbstfahrende PKW ohne Spassfaktor genauso viel auszugeben bereit sind, wie für gegenwärtige Modelle. Alle Automobilhersteller versuchen, die ausgerollte Automobil-Flotte gegen höherwertige E-Mobile auszutauschen und die Nutzer zu intensiverer Individualmobilität zu ermuntern. Es ist nicht auszuschließen, dass Menschen ihren Aufenthalt in selbstfahrenden Autos reduzieren anstatt mehr Zeit dort zu verbringen.

Angesichts dieser Rahmenumstände würde ein kurzfristiger Ausbruch der Aktie aus dem Trendkanal überraschen. Die Ford-Aktie bietet sich aufgrund des liquiden Optionshandels und eines hohen Aufgelds gegenüber Indexoptionen als Basiswert für eine Stillhalterstrategie an. Eine Put-Option mit einem ausreichenden Sicherheitsabstand zum derzeitigen Aktienkurs und Fälligkeit im Juni eröffnet eine Chance auf eine Rendite von 10 bis 15 Prozent. Die implizite Volatilität (umgangssprachlich das Aufgeld) ist mit aktuell 42 % mehr als doppelt so hoch, wie die des Gesamtmarktes.

Ford spielt gegenwärtig in der gleichen Liga wie die heimische Volkswagen AG.

Abbildung 2: Volkswagen AG – verpasster Einstieg in E-Mobilität

Auch in Wolfsburg versucht man verzweifelt, die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren. Der Erfolg ist – geht es nach der Wahrnehmung der Finanzmärkte – sehr bescheiden. Wäre VW kein Staatskonzern, müsste man um die Zukunft fürchten.

Abbildung 3: Stellantis – alles richtig gemacht?

Das Konglomerat aus der italienischen FIAT, Citroen und Peugeot aus Frankreich und Chrysler aus den USA hat den Übergang in eine profitable E-Mobilität früher angestoßen und erntet nun die Früchte. Anders als bei Ford, trägt der Verkauf von Elektrofahrzeugen mit auskömmlichen Margen zum operativen Ergebnis bei. Der Absatz von Elektrofahrzeugen stieg im Q1/23 um 41 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Dies spiegelt der Aktienkurs.

Ford und Stellantis schütten beide eine Dividende in Höhe von 4,2 % des Aktienpreises aus. Sie unterscheiden sich auch hinsichtlich der Höhe und des Verlaufs des Cash-Flows kaum. Ford weist eine operative Marge von 3,8 % aus, Stellantis eine über 11,1 %. Entsprechend divergiert der ausgewiesene Unternehmensertrag. Dies ist die wesentliche Treibkraft der unterschiedlichen Aktienpreisentwicklungen.

Der Preisverlauf der Stellantis könnte der Ford-Aktie als Vorlage dienen. Hier ist eine rosige Zukunft größtenteils eingepreist, bei Ford warten die Investoren auf Hinweise auf eine ähnliche Erfolgsstory. Allein dessen Fokus auf die USA dürfte ausreichen, die Aktie für konservative US-Amerikaner sehr interessant zu machen. Der Aktienpreis von Stellantis erscheint ausgereizt. Auf eine Short-Position zu setzen ist trotzdem risikoreich. Schließlich ist die Aktie mit einem KGV von 3,25 fundamental günstig.

Letztlich bleiben Investitionen in das Automobil-Segment zyklische Wetten. Aktien allein sind hier suboptimal. In der Kombination mit einer konservativen Stillhalterstrategie sind zweistellige Renditen möglich. Mehr davon in den kommenden Wochenberichten.

Ressourcen

  • Musk Renames Twitter X Corp., Wall Street Journal 13.4.2023, B4
  • Ford forecasts electric vehicle division will lose $3bn this year, FT 23.3.2023
  • Carmakers prepare for electric future, FT 22.2.2023
  • EPA Has Only So Much Control Over EV Plans, Wall Street Journal, 13.4.2023, B12