Wochenbericht 29

Die USA nach Trump (Teil 3)

Welche Freiheiten hat eine mögliche Biden-Administration jenseits kosmetischer Korrekturen von Entscheidungen der Trump-Administration?

Stuttgart, 18. Juli. Der erste Teil beschreibt die Ausgangslage einer möglichen Biden-Administration ab Februar 2021. Die Rahmenumstände gleichen vielfach denen vor der Wahl im Jahr 2008. Der zweite Teil postuliert einen Paradigmenwechsel, für den die Pandemie einen wirksamen Katalysator darstellt. Ein Regierungswechsel in den USA besiegelt das Ende der Populisten. Umwälzungen wie nach dem zweiten Weltkrieg sind möglich. In der dritten Folge fokussiert sich Hieronymus auf die erwartbare Realpolitik und deren Folgen für die Finanzmärkte.

Europa hat traditionell zu große Hoffnungen

Als sich 2008 ein überwältigender Wahlsieg Barak Obamas in den USA abzeichnete, war knapp die Hälfte der US-Bürger elektrisiert, aber mindestens 80 Prozent aller Europäer. Derartiges wird sich 2020 nicht wiederholen. Das Meinungsbild zu den US-Wahlen ist hierzulande wiederum deutlicher Pro-Biden als in den USA selbst. 2009 war in Europa die Enttäuschung groß, als Obama sofort eine »Buy American«-Kampagne aufsetzte, anstatt auf internationale Kooperation zu setzen. Die zweite Enttäuschung war die Abkehr der USA von Europa, die Obama bereits in seinem ersten Amtsjahr einleitete. Trump hat beide Entwicklungen fortgeführt. Eine Biden-Administration wählt möglicherweise diplomatischere Formulierungen und ist im Handeln weniger konfrontativ, dürfte aber in der Sache Kontinuität in der Außenpolitik walten lassen.

Die Entfremdung der USA von ihrer Rolle als Weltpolizist ist permanent. Trotzdem gibt die USA ihre hegemonialen Ansprüche nicht auf.

Dennoch: Jo Biden wäre ein US-Präsident mit einer ausgewiesenen außenpolitischen Expertise. In der erwartbaren Professionalität der US-Außenpolitik liegt eine große Chance.

Fragezeichen bei Militärausgaben

Der sprunghafte Anstieg der Staatsverschuldung bedarf einer zeitnahen steuer- und wirtschaftspolitischen Antwort. Der Erhöhung der Steuerbasis sind auch in den USA enge Grenzen gesetzt. Austerität ist angesichts eines systematisch ausgehöhlten Sozialsystems und einer Rekordarbeitslosigkeit keine Lösung. Eine Ausnahme stellt das Militär dar. Die Trump-Administration hat das Militärbudget überproportional erhöht und gleichzeitig die Aufgaben reduziert. Bestehende internationale Engagements wurden reduziert oder aufgegeben, Rüstungskontrollabkommen gekündigt.

Falls die neue US-Regierung die Militärausgaben nicht kürzt, um die Staatsverschuldung zu reduzieren. ist eine Eskalation zu einem neuen »Kalter Krieg Szenario« wahrscheinlich.

Comeback der transatlantischen Kooperation fraglich

Die Biden-Kampagne hat bereits angekündigt, dass die USA unter demokratischer Führung unverzüglich internationalen Organisationen (z.B. WHO) und Abkommen (Pariser Klimavertrag) wieder beitreten wird. Bei bilateralen Abkommen sieht das vermutlich anders aus. Hier hat die Trump-Administration vielfach vermintes Gelände geschaffen. Ein Freihandelsabkommen mit der EU ist aktuell beispielsweise ferner denn je.

Klimaschutz ist ein zentraler Baustein der zukünftigen EU-Wirtschaftspolitik (European Green Deal). Jo Biden hat angekündigt, 2 Billionen Dollar für einen »Clean Energy Plan« aufzuwenden. Damit tritt die USA in eine direkte Konkurrenz zur EU. Eine andere Metapher sieht Europa und die USA unter Biden wieder in einem Boot.
Im positiven Sinne fördert Konkurrenz den technologischen Fortschritt. Im Falle der USA dient der Klimaschutz jedoch der Festigung der digitalen Monopolstrukturen. Die Silicon-Valley Unternehmen sind Protagonisten beim Klimaschutz, hier fließen moderne Organisationsstruklturen, eine gute Kapitalisierung und ausreichend Humankapital zusammen. Außerhalb von Kalifornien sind die ökonomischen Strukturen (wie auch in Europa) fest im 20. Jahrhundert verhaftet.

Es ist unwahrscheinlich, dass Europa seinen Vorsprung in Nachhaltigkeit behalten geschweige denn ausbauen kann. Eine Evolution erfolgreicher Geschäftsmodelle der Digitalwirtschaft in Richtung Klimaschutz ist sehr wahrscheinlich.

Europa droht damit die Rolle eines Statisten und Zulieferes der grünen Revolution.

Kalter Krieg?

Im Jahr 2020 liefern sich die Großmächte USA, China und Russland erste imperiale Gefechte. Dies lässt sich nirgends so gut demonstrieren, wie am Thema Corona-Impfstoffentwicklung. Unter Federführung der WHO haben sich zwar 150 Länder zu einer Impfstoff-Allianz zusammen getan. Die Großmächte verfolgen jedoch eigene Ziele. In den drei Ländern ist die Impfstoffentwicklung eine Angelegenheit nationaler Sicherheit. Die gegenseitigen Erfolge werden wie zu Zeiten des kalten Kriegs von Geheimdiensten ausspioniert. Kirill Dmitriev, Leiter des russischen Staatsfonds, wurde in der letzten Woche gegenüber der FT sehr deutlich: Zum Jahreswechsel 2020/21 werden erste Länder Zugriff auf wirksame Impfstoffe haben: Russland, China, USA, (UK, weil es ein Interview mit einer britischen Zeitung ist). Alle anderen Länder müssen sich entscheiden, mit welchem der Supermächte sie eine Allianz eingehen. Dmitriev bedient sich ganz offen des Vokabulars des kalten Kriegs: “You have a major problem in the world … that political barriers and political biases prevent the best technologies being used.”

In einem kalten Krieg versuchen die kriegsführenden Parteien ihre Gegner jenseits der Schlachtfelder zu besiegen, beispielsweise ökonomisch. Der globale Kapitalmarkt des ausgehenden Jahrhunderts bricht bereits auseinander. Chinesische Firmen verlagern ihre Börsenpräsenz nach Hong Kong. Russische Aktiengesellschaft werden von Börsen in USA und UK verbannt.

Die Phase des kalten Kriegs im 20. Jahrhundert war eine goldene Zeit für multinationale Unternehmen mit Sitz in den USA, dem letztlichen Kriegsgewinner. Auch der sich abzeichnende Kalte Krieg des 21. Jahrhunderts wird von imperialem Säbelrasseln begleitet.

Welche Unternehmen repräsentieren die Werte des künftigen Kriegsgewinners, wie es Coca Cola für den amerikanischen Way of Life im 20. Jahrhundert verkörpert hat? Das sind Buy&Hold-Investments des 21. Jahrhunderts.

Die Woche an den Finanzmärkten

  • Widersprüchliche US-Indikatoren.
    Das Interesse an Immobilien hat in den USA das vor-Corona-Niveau erreicht. Triebkraft dieser Entwicklung: Die Geldpolitik der FED bzw. die Verfügbarkeit extrem gering verzinster Hypotheken.
    Auf der anderen Seite verharrt das Verbrauchervertrauen nach einem kurzen Aufflackern im Juni wieder auf das Niveau der Monate April und Mai. Anstatt von 78 % auf 79 % zu steigen (Prognose) sank es im Juli auf 73 % (Referenz: Februar: 103 %). Das Verbrauchervertrauen ist ein Vorlaufindikator. Das niedrige Niveau deutet auf eine nachhaltige Konsumzurückhaltung hin. Die Erwartungskomponente ist dann auch von 72 auf 66 % gesunken. (Quelle: Trading Economics)
  • US-Banken sehen das Risiko für 28 Mrd. $ an Kreditausfällen.
    Das Management von Kreditrisiken ist Kerngeschäft einer jeden Bank. Wenn JP Morgan Chase, Wells Fargo und die Citibank_ insgesamt 28 Milliarden Dollar für nicht mehr eintreibbare Kredite zurückstellen, ist dies ein deutlicher Hinweis auf die konjunkturellen Einschätzungen der Volkswirte. Die hohen Rückstellungen sind auch Ergebnisse interner Stresstests. Die Citibank kalkuliert beispielsweise mit einer anhaltend hohen Arbeitslosigkeit größer 10 Prozent.

  • Wie lange kann die FED die Kapitalmärkte noch stützen?
    In der abgelaufenen Woche hat die FED das Main Street Lending Program auf Kredite von Nonprofit-Organisationen ausgedehnt. Damit können jetzt öffentlich finanzierte Einrichtungen, wie Krankenhäuser, Schulen, Museen und Universitäten direkt bei der FED quasi zu Null Prozent Zinsen fast unbegrenzte Kredite aufnehmen.
    Man muss inzwischen mit einer Lupe nach Sektoren suchen, die keinen Zugang zu preiswerten FED-Krediten haben. Nicht wenige fragen sich, wie die Schuldentragfähigkeit der immer schwächeren Kreditoren im Falle einer Normalisierung des Kapitalmarkts jemals wieder hergestellt werden kann.
    Auffällig ist: Mit zunehmender Dauer der Pandemie sinkt die Bonität der Kreditoren der FED. Die finanzielle Ausstattung öffentlicher Einrichtungen ist Aufgabe des Staats, der hierfür von seinen Bürgern Steuergelder erhält. Wenn der Staat sich aber statt dessen entscheidet, seine Staatsbürger von Steuern zu entlasten und die Finanzierung hoheitlicher Aufgaben an die Notenbank abtritt, bildet er einen Schattenhaushaltsposten. Im Extrem müsste die Bilanzsumme der FED (ca. 7 Billionen USD) zur US-Staatsverschuldung (ca. 21 Billionen USD) addiert werden. (siehe auch: Wochenbericht 26 – Was passiert mit den Staatsschulden)

  • Pandemie in den USA außer Kontrolle.
    Das Risiko einer Erkankung an COVID-19 ist nirgends so hoch, wie in den USA. Mit zunehmender Kenntnis der Eigenschaften des Virus ändert sich der gesellschaftliche Umgang. Die gesellschaftlichen Reaktion gleicht in den USA der von Umweltschäden. Es ist völlig normal, den Verlust von Lebensqualität durch Luft- oder Wasserverschmutzung mit ökonomische Vorteilen zu verrechnen. Wenn die Krebsrate durch eine Fabrik steigt, wird diese nicht geschlossen. Vielmehr wird gesellschaftlich ausgehandelt, welches persönliches Leid dem Verlust der geschaffenen Arbeitsplätze gleichgesetzt werden kann.
    Ein solcher Abwägungsprozess für das Corona-Virus spaltet aktuell die USA. Republikaner versprechen denjenigen, die trotz Pandemierisiken für Wirtschaftswachstum sorgen, einen hohen finanziellen Benefit. Demokraten vergleichen die Situation in den USA mit der in Europa und setzen ökonomische Prosperität mit der Abwesenheit von Gesundheitsrisiken gleich. Welchen Weg die Gesellschaft wählt, entscheidet die Wahl im November.
Abbildung 2: Offizielle Neuinfektionen an COVID-19 in den USA