Im Zeichen des »Wong Capitalism« reagierte der Vorstand öffentlichkeitswirksam mit einer fristlosen Kündigung.
Vermutlich muss sich Kirk nur wenige Gedanken um seine berufliche Zukunft machen.
Das bemerkenswerteste Ergebnis der coronapandemiebedingten Spaltung der Gesellschaft ist wohl die Emanzipation der Gattung »Alternative Investments«. Dort interessiert sich niemand für Nachhaltigkeit und es ist egal, wie die verkauften Produkte hergestellt wurden. Hauptsache die Rendite stimmt.
Vivek Ramaswamy entwickelt sich zu einem Aushängeschild dieser Gattung. Er ist ein erzkonservativer Entrepreneur mit einer Mission: Auflage einer Alternative zu ESG-Investmentprodukten, ein Anti-ESG-Fond. Peter Thiel, schwerreicher, schillernder Ex-Partner und immernoch Freund von Elon Musk, bekennender Trump-Unterstützer und Republikaner, gab spontan mehr als 20 Mio $ Startkapital. Zielgruppe: Querdenker, Republikaner, Trumpisten. Der Fonds hat natürlich auch eine politische Agenda: Sowohl die Menge des investierten Geldes als auch die ausgewiesene Rendite sind willkommene Argumente für die Midterms im November.
In den USA wächst unter den Sympathisanten der Republikanern die Zustimmung für eine Abschaffung moralischer Elemente in der Unternehmenskultur. Nicht die Eliten in den Führungsetagen von Unternehmen sollen bestimmen, welche gesellschaftlichen Trends gelebt werden, sondern die Wähler. Unternehmen sollen sich auf die Produktion von Gütern und die Erbringung von Dienstleistungen beschränken und nach maximalem Profit streben. Der Rückzug vieler Unternehmen aus Russland hat der Bewegung deutlichen Auftrieb gegeben.
Im Ergebnis sehen wir erstmals seit Februar eine signifikante, öffentliche und fundamentale Kritik der Finanzwirtschaft an der Russlandpolitik des Westens. Die Kritik an der Verknüpfung moralischer Werte und Ökonomie bei den Protagonisten des Stakeholder-Kapitalismus hindert die Alternativen Assetmanager nicht daran, ihre Ideologie auf die gleiche Weise öffentlich zu vermarkten.
Zum Wochenschluß erreichte der europäische Blue-Chip-Index Eurostoxx 50 wieder die Marke von 3.800 Punkten. Damit haben sich die Marktpreise bereits fast 300 Punkte von den Tiefpreisen im May erholt.
Das gleiche Bild in den USA. Innerhalb weniger (handelsschwacher) Tage erholte sich der marktbreite Russell 2000-ETF von 170 auf fast 190 $. Gleichzeitig ging die Volatilität (blaue Linie) markant zurück, in Europa deutlicher, als in den USA.
In Europa ist die Volatilität wieder auf das Niveau des Jahres 2021 zurückgangen. Bis zum Jahreswechsel bildete das Niveau um 20 Prozent ein stabiles Fundament für steigende Marktpreise. In den USA ist die Volatilität mit über 25 Prozent dagegen immer noch außergewöhnlich hoch.
Die Entwicklung ist höchstwahrscheinlich eng verknüpft mit einer deutlichen Entspannung am US-Anleihemarkt. Die Rendite der US-Treasuries (10 Jahre Restlaufzeit) ist auf 2,75 % gesunken. Offensichtlich hat das den Verkaufsdruck sowohl bei Aktien als auch bei festverzinsten Assets sinken lassen.
Charttechnisch ist der EuroStoxx 50 interessant. Bei etwa 4.000 Punkten endeten bis zum Kriegsausbruch sämtliche Markt-Korrekturen. Überschreitet der Index dieses Niveau, wäre der Einmarsch Russlands aktienmarkttechnisch nur eine weitere unbedeutende Randnotiz der Geschichte.
In der Abbildung 1 ist der Kurzfristige Abwärtstrend optisch markiert. Aktuell »kratzt« der Index an diesem Widerstand. Vermutlich wird in der nächsten Woche ausgiebig die Bedeutung dieser charttechnischen Line getestet.
Im Wochenbericht 9/22, Abb.3 ist der typische Preisverlauf des US-Aktienmarktes abgebildet. Im Zeitraum Mai bis Oktober sind die Marktpreise durchschnittlich stabil
. Trotz der zwischenzeitlich deutlichen Preisrückgänge hält sich die Preisentwicklung in Europa im Wesentlichen an das Drehbuch. Falls die Marktpreise weiter steigen, droht eine Fehlentwicklung mit der Perspektive stark sinkender Notierungen ab Herbst. Die Marktentwicklung des Jahres 1941 dient in diesem Fall als Blaupause.
Tatsächlich hat sich am toxischen konjunktur/geopolitischem Cocktail, der die bisherigen Preissenkungen getriggert hat, nichts geändert. Lieferketten sind weiterhin großflächig unterbrochen. Die Geldpolitik der großen Notenbanken sieht weiterhin kräftige Zinserhöhungen vor, das Handelsembargo Russlands hat kein Ablaufdatum, die Versorgungslage bei Getreide verschärft sich täglich, trotz gegenteiliger Ankündigungen werden überall Handelsschranken errichtet.
Höchstwahrscheinlich korrigiert der Markt aktuell schlicht Übertreibungen. Die Abhängigkeit von exzessiven, globalen Lieferketten dürfte beiderseits des Atlantik inzwischen deutlich reduziert worden sein. Bei Inflationsdaten setzt ein Gewöhnungseffekt ein, genauso wie bei den täglichen Kriegsberichten aus der Ukraine. Die Welt bricht nicht zusammen, wenn Russland Europa den Gashahn zudreht. Russland gelingt es auf der anderen Seite, die Sanktionen an entscheiden Stellen zu umgehen. Kurz: die Welt richtet sich mit den neuen Realitäten ein. Stabile Marktpreise sind eine logische Konsequenz dieses Szenarios.
Andererseits steht die Urlaubssaison vor der Tür. Die Buchungszahlen sind hervorragend, sagen die Reiseveranstalter. Das Narrativ, der Zinsschock des Frühjahrs 2022 mündet mangels Marktunterstützung der Notenbanken zwangsläufig in einer Rezession, ist bereits mehrfach durchgekaut. Damit lassen sich keine weiteren Verkäufe antriggern. So zynisch es klingen mag: Ein operativer Erfolg Russlands in der Ukraine stützt kurzfristig die Marktpreise. Schließlich nimmt es Risiken aus dem System.
In diesen Fall hält der Vergleich mit dem Jahr 1941: Fast zeitgleich zum Überfall Japans auf Perl Habor begann Hitlerdeutschland das »Unternehmen Barbarossa«, den Vernichtungsfeldzug gegen Russland. Die USA traten im August in den Krieg ein; die zweite Phase des zweiten Weltkrieg begann. Ein ähnliches Szenario droht bei einem weiteren Vormarsch Russlands in die Ukraine. Schließlich würden gleich mehrere westliche Staatslenker ihr Gesicht verlieren, wenn die Ukraine von Russland überrollt würde.