Mehrfach wurde Hieronymus unterstellt, einseitig Risiken zu betonen und Chancen zu unterschlagen. Heute gehen wir einen anderen Weg. Erstmals stehen zwei unterschiedliche Herangehensweisen nebeneinander. Was ist überzeugender?
Netflix präsentierte am Mittwoch seine Q1-Quartalsergebnisse, die im Großen und Ganzen den Markterwartungen entsprachen. Die Abonnentenzahlen stagnierten. In Q2+3 2021 wies das Unternehmen einen Nutzerzuwachs von vier Prozent (ca. 1 Mio Abonnenten) aus. Für das Q2 2022 erwartet das Management einen Rückgang um ebendiese eine Million Kunden.
Das ist eine historische Zäsur.
Auf Jahressicht verliert Netflix die Hälfte seiner Marktkapitalisierung.
Die zentrale Frage: Ist das eine klassische Überreaktion, mit der »zittrige Hände« aus dem Wert getrieben werden sollen und damit eine Gelegenheit für einen langfristigen Positionsaufbau, oder ist das schlicht die Korrektur einer pandemiebedingten Fehlentwicklung mit offenem Ende?
Streaming ist ein Wachstumsmarkt. Netflix ist der größte Anbieter in diesem Sektor und profitiert von diesem Trend.
Dieser Markt ist hart umkämpft; Margen und Abonnentenzahlen sind keine Selbstläufer. Aus Investorensicht stellt sich die Frage: Hat Netflix jetzt ein attraktives Kursniveau erreicht?
Bilanzzahlen und GuV sprechen dafür. Die Verschuldung ist mit etwa 8 Mrd. USD gemessen an der Bilanzsumme von 44 Mrd. USD attraktiv. Das geschätzte KGV für 2022 liegt bei 19 oder besser, falls Netflix zusätzliche Maßnahmen ergreift, den Umsatz zu pushen. Die aktuelle Stagnation der Abonnentenzahl liegt sicher an dem erhöhten Wachstum durch den Pandemie-Effekt der letzten 2 Jahre. Nach kurzer Stagnation sollte Netflix wieder in den alten Wachstumspfad zurückkehren. Dafür sprechen das attraktive Filmangebot und auch die fallenden Kosten der Infrastruktur, wie z.B. weiter sinkende Kosten für den Datentransfer. Mit 200 Mio. Abonnenten weltweit ist sicher noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht.
Der Film-Content ist mit 30 Mrd. USD bewertet und wird mit 10% der Summe jährlich abgeschrieben. Filme sind aber kein vergängliches Gut. Auch in 10 Jahren und mehr werden sich zahlende Nutzer an den Inhalten vergnügen. Die Filminhalte werden über die Abschreibungsjahre hinaus substantielle Cashflows erzeugen. Zusätzlich stelle man sich vor, das Netflix dazu übergeht diese nicht nur exklusiv auf der Plattform zu präsentieren, sondern in den Weiterverkauf an andere Filmanbieter einsteigt.
Netflix gehört definitiv zu den innovativen Firmen des Silicon Valley und die eine oder andere positive Nachricht wird die derzeit negativ eingestellten Anleger sicher auf dem falschen Fuss erwischen.
Stellen wir das Geschäftsgebaren von Netflix in einen größeren Zusammenhang.
Das Unternehmen lebt davon, Illusionen zu vermarkten. Dazu geht man mit einem großen Budget an den Start, dreht einen Film oder eine Serie und spekuliert darauf, dass die Kunden dies in großer Zahl konsumieren. Dieser Teil der Medienbranche ist strukturell abhängig von günstigem Fremdkapital. Die Explosion der Serienangebote diverser Streamingdienste ist auch eine Konsequenz der sehr niedrigen Kapitalmarktzinsen. Mit der Perspektive steigender Marktzinsen schrumpft die Branche nun auf ihr Normalmaß zurück.
Kann man die aufgerufenen Marktpreise auch quantitativ einordnen? Dafür machen wir ein kleines Spreadsheet-Experiment:
2021 wies das Unternehmen einen Ertrag von 11,24 $ pro Aktie
aus. Der Marktkonsens geht von einem Ertragswachstum von 17 Prozent aus. Extrapoliert man dies bis 2030, erwirtschaftete Netflix dann 44,64 $ pro Aktie
. Unter der Annahme einer konstanten Aktienbewertung ( KGV: 18) würde die Aktie in 8 Jahren 822 $ kosten. Durch probieren findet man heraus, dass man die Aktie mit 10 % p.a. diskontieren muss, um den Marktpreis von 348 $ (Schlußkurs Dienstag) zu erreichen. Je geringer die Refinanzierungskosten, desto niedriger kann der Diskountierungssfaktor gewählt werden.
Der Kursrutsch seit November ist allerdings nicht allein dieser Zinssensitivität geschuldet. Dies wird deutlich, wenn wir versuchen, den aktuellen Marktpreis »zu erklären«.
In seiner Stellungnahme zu den Q1-Zahlen kassierte das Management die Erwartungen an das Nutzerwachstum deutlich. Noch im November verkündete man vollmundig, über die Wintermonate werde man 2,5 Mio. neue Nutzer gewinnen. Statt dessen nun sogar ein leichter Rückgang.
Im Ergebnis ist die Konsenserwartung (17 % Ertragswachstum pro Jahr) nicht mehr haltbar.
Dank unserer Vorarbeit können wir mit dem antizipierten Ertragswachstum spielen: Die Kombination aus KGV(18), Diskontierungsrate(10 %) und Ertragswachstum(11 %) liefert den aktuellen Marktpreis.
Selbst diese Annahmen erscheinen ob der harten Konkurrenz recht ambitioniert.
Ein Investment ist eine Wette auf (a) sinkende Marktzinsen und (b) eine höhere Ertragsdynamik als 11 Prozent pro Jahr. Ob dies angesichts des global geführten Streamingdienst-Krieges der Mediengiganten realistisch ist?
Im Rest dieses Wochenberichts entwickeln wir ein mögliches Sommerinvestment.
Nachdem über Wochen monothematisch die Kriegsfolgen auch die Finanzmärkte dominierten, zieht die Karawane nun weiter. Immer mehr gerät die Frage in den Fokus, ob und wie heftig die globale Konjunktur im Herbst einbrechen wird.
Einige schauen sich einfach an, was historisch nach kräftigen Renditesprüngen des US-Rentenmarkts passierte. Danach ist nicht die Frage, ob es »knallt«, sondern wann.
Steigende Marktzinsen sind das Ergebnis hoher Inflation. Diese ist angebotsgetrieben und hat ihre Ursache in globalen Knappheiten. Entweder es gibt nicht genügend physische Güter oder sie können nicht zeitgerecht bereitgestellt bzw. verarbeitet werden. Die Auswirkungen sind zuerst auf wenige Branchen beschränkt und beeinflußt nur dort die Nachfrageseite.
Das ändert sich gerade. Dies lässt sich schön am Immobilienmarkt festmachen. In den USA haben sich die Kosten für den Bau einer Immobilie seit 2019 verdoppelt. Erstens sind die Preise für Grundstücke explodiert. Zweitens haben sich die Baumaterialien verteuert. Drittens kosten Kredite inzwischen deutlich mehr. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Bautätigkeit einbricht.
In der vergangen Woche sorgte die bundesdeutsche Statistik für Aufsehen: Die Produzentenpreise sind auf Jahressicht über 30 Prozent gestiegen. Das gab’s noch nie!
Solch große Preisveränderungen sprechen für eine extrem geringe Elastizität der Nachfrage. So sicher, wie sich die Produzentenpreise durch die Wertschöpfungsketten zu den Endprodukten schlängeln, sinkt normalerweise die Nachfrage ob deutlich gestiegener Preise für nicht essentielle Waren. Das dies derzeit nur wenig geschieht, hängt mit den Hilfspaketen der Regierungen der Industrieländer im Jahr 200/21 zusammen. Die Weigerung der Konsumenten, ihr Konsumverhalten an die gestiegenen Marktpreise anzupassen, sorgte in der ersten Inflationsphase für eine effektive Verteilung der staatlichen Mittel im kapitalistischen System.
Inflation ist Ergebnis und Motor der Entwicklung zugleich.
Dies ist aber ein selbst regulierendes System. Über Kurz oder Lang tarieren sich Angebot und Nachfrage wieder aus. Die Finanzmärkte preisen aktuell die Auswirkungen des Lockdowns in China und die absehbare Nahrungsmittelknappheit ab Herbst ein. Dieser Prozess dürfte ob der typischen Vorlaufzeit der Finanzmärkte bereits sehr weit fortgeschritten sein.
Buttenwood, die wöchentliche Finanzmarktkolumne des Economisten, macht sich in der aktuellen Ausgabe angesichts nun deutlich positiver Marktrenditen Gedanken zur weiteren Investmentkultur. Fakt ist: Produkte, die zum Abschluß des Investments die eingezahlte Summe zurücküberweisen (Anleihen) und solche, die attraktive, variable Auszahlungen versprechen (Aktien), kompensieren (wie gehabt) die Verbraucherpreisinflation nicht
. In den letzten 14 Jahren beantwortete der Finanzmarkt dieses Renditeproblem mit einer Assetpreisinflation. Während reale Güter nur moderaten Preisveränderungen unterworfen waren, wurden finanzielle Assets immer teurer.
Gemäß Buttenwood gehört im Umfeld positiver Marktrenditen Investments mit realen Zahlungsströmen die Zukunft. Je höher und je verlässlicher ein Einkommensstom ausfällt, desto attraktiver das Investment. Aktuell erwirtschaften US-Treasuries 2,9 Prozent pro Jahr. Das ist fast doppelt so viel, wie US-Aktien, die noch eine ganze Weile die Nachwirkungen der Assetpreisinflation verdauen müssen.
Wenn ein Anleger aktuell frisches Kapital anlegen muss, macht es keinen Sinn, Aktienindizes zu kaufen. Geld als Cash zu halten ist angesichts der Inflation ebenfalls keine Option. Bleiben Stockpicking, Gold und Anleihen. Der Goldpreis ist hoch, Anleihepreise sind deutlich zurückgekommen und Anleihen schütten – anders als Gold – eine jährliche Inflationskompensation aus. Das frische Anlagekapital geht deshalb größtenteils entgegen den Preistrend in langlaufende Anleihen.
Allein die Unattraktivität der Anlagealternativen dürfte also die Anleihepreise im weiteren Jahresverlauf stützen, unabhängig davon, wie sich die Inflation weiterentwickelt.
Ein Direktinvestment gleicht natürlich einem Griff in ein fallendes Messer. Eine konservative Optionsstrategie hat in diesem dynamischen Marktumfeld jedoch Charme. Das findet nicht nur Hieronymus . Das Optionsvolumen in marktgängigen Anleiheprodukten ist in der vergangenen Woche deutlich angesprungen. Auf der Käuferseite versuchen nervöse Investoren sich vor weiteren Buchverlusten zu schützen. Der Nachfrage steht ein gutes Angebot renditeorientierter Marktteilnehmer gegenüber. Im Erfolgsfall sind die erzielbaren Renditen mit ca. 20 % p.a. auskömmlich.
Praktisch verkauft man Optionen auf einen Bond-ETF, zum einen mit der Absicht, die aktuell attraktive Prämie einzunehmen, aber auch mit der Aussicht auf eine Einbuchung der ETF’s zu einem attraktiven Preis.