Europa arbeitet an kartellrechtlichen Maßnahmen und strebt eine faire Besteuerung von Digitalumsätzen an. Die betroffenen Konzerne sind jedoch Globalisten und haben ihren Firmensitz in den USA. Das Zeitfenster für konkrete Maßnahmen verkleinert sich mit jedem Fortschritt der Trumpisten in ihrem Bemühen, die anstehenden Wahlen für sich zu entscheiden.
Größeres Disruptionspotenzial hat die explosionsartige Entwicklung im Bereich «Decentralized Finance« (DeFi), die klar von US-Unternehmen dominiert wird. DeFi ist ein Verkaufsschlager republikanisch geprägter Staaten. Jeder Anflug von Regulierung wird als Angriff auf fundamentale Werte des us-amerikanischen Kapitalismus instrumentalisiert.
Die Regulierung alter und neuer digitaler Geschäftsprozesse scheitert an der politischen Polarisierung der USA, Schließlich hat sich die Digitalwirtschaft in den demokratischen Westküsten-Staaten entwickelt, der Defi-Space ist die Domäne republikanischer Südstaaten. Eine Regulierung ginge von den NewEngland-Staaten an der Ostküste aus. Eurasia sieht hier ein Potenzial für Segregation bis hin zur Abspaltung ganzer Bundesstaaten.
Die überall stark steigende Inflation mag vorübergehender Natur sein. Sie hat aber bereits jetzt dramatische Auswirkungen auf die Profitabilität von Unternehmen.
Zieht man die Inflationsrate von der Entwicklung der Erträge der großen US-Unternehmen ab, erhält man die «reale Profitabilitätsentwicklung» der Blue-Chips der US-Ökonomie. Trotz Pricing Power und der Fähigkeit, sich zu sehr günstigen Konditionen zu finanzieren, ist die Profitabilität nun so negativ, wie zuletzt nach den beiden Ölkrisen in den 1970ern.
Niemand hofft, dass sich das Szenario aus dem Jahr 1979 wiederholt. Etwa ein Jahr nach dem zweiten Ölschock erklommen die Marktpreise mit einer Jahresperformance von über 20 Prozent ein neues Alltime-High. Gleichzeitig stiegen die Verbraucherpreise zweistellig. Um die Stabilität des Finanzmarkts zu erhalten, erhöhte Paul Volcker, der damalige Vorsitzende der FED, die Marktzinsen plötzlich auf 20,5 Prozent.
Die Marktpreise gaben daraufhin die komplette Preisentwicklung des Vorjahres wieder ab.
Das Szenario nach dem ersten Ölschock 1973 ist ebenso wenig inspirierend: über einen Zeitraum von 4 Jahren pendelten die Marktpreise um die Marke von 100 Punkten im S&P500.
Als finales Puzzlestück für die Risiken am US-Finanzmarkt dient die folgende Visualisierung der Divergenz zwischen realer Ökonomie und Finanzmärkten.
Seit der Finanzkrise haben sich die Finanzmärkte kontinuierlich von der Realwirtschaft abgekoppelt. 2021 setzte sich die Divergenz exponentiell fort.
Trotz erodierender Profitabilität steigen die Marktpreise für die US-Blue-Chips. Die Bewertung finanzieller Assets übersteigt in den USA das Bruttoinlandsprodukt um den Faktor 3,3 !
Im Wochenbericht 48/21 beleuchteten wir das Phänomen des chinesischen Exports von Inflation. Spätestens seit der Jahrtausendwende galt in China: Wachstum um jeden Preis. Dafür zwang man die Menschen zu Dumping-Löhnen zu arbeiten. Das Ergebnis: chinesische Waren waren im Ausland konkurrenzlos günstig. Importe aus China wirkten deflationär.
Seit 2021 exportiert China Inflation. Was zuerst als Folge gestörter Lieferketten aussah, entpuppt sich immer mehr als eine strukturelle Veränderung.
Einen ähnliche Entwicklung veränderte in den 1960er Jahren den Transatlantikhandel. Überall in Europa war der Wiederaufbau quasi beendet. Arbeitslöhne stiegen ebenso wie die Nachfrage nach Importgütern. Die Währungen begannen gegenüber dem US-Dollar aufzuwerten. Der schwächere Dollar importierte die Inflation aus dem Ausland. Ab 1966 lösten sich Rezessionsphasen und fragile Zeiten mit zaghaften Konjunkturimpulsen ab.
Hohe Lohnabschlüsse und hohe Marktzinsen wirkten sich überall negativ auf die Ertragssituation von Unternehmen aus. Entsprechend gering waren die erzielbaren Renditen der Geldanlage.
Diskussionen um Non Fungible Tokens haben auf manchen Festen die berüchtigten Aktientips abgelöst. Wenn Aktien zu Party-Themen werden, zeigt dies eine Dienstmädchenhausse an. Genauso birgt der aktuelle Hype um die leicht herstellbaren und zur schnellen Wertvermehrung bestimmten digitalen Unikate erhebliche Disruptionsrisiken.
In der ersten Jahreswoche wechselte das von einem unbekannten Künstler im November 2018 erstellte GIF «All Time High in the City» für eine Verkaufssumme von 1.630 ETH (ca. 6,2 Mio $) den Besitzer. Es war erstmals am 16. November 2018 für 0,5 ETH verkauft worden und wurde ein Jahr später für 16,66 ETH weiter verkauft. Am 25. September 2021 zahlte ein unbekannter Bieter 1.000 ETH. Innerhalb von nur drei Monaten erzielte es eine Wertsteigerung von 63 Prozent.
In der ersten Woche des Jahres betrug das NFT-Handelsvolumen allein auf der Ethererum-Blockchain 560 Millionen US-Dollar (Quelle: Kraken.com). Am Freitag (7.1.) verkündete GameStop, der Meme-Stock des Frühjahrs 2021, einen eigenen Handelsplatz für NFT’s einrichten zu wollen. Der Aktienpreis stieg unmittelbar um 17 Prozent. Dabei gibt es bereits NFT-Shops und -Börsen wie Sand am Meer. Algorand hat eigens ein Standard-Asset eingeführt, damit jederman/frau ohne weitere Hilfsmittel eigene NFT’s erstellen und in der Blockchain ablegen können. Auf dieser Blockchain ist selbst die Erstellung eines NFT-Handelsplatzes eine Routineaufgabe für einen Informatikstudenten im zweiten Semester.
Stellen wir die Uhr, bis die Blase platzt?
Abseits der Spekulation gibt es wenige Gründe, NFT’s in seiner Wallet zu halten. Aber Moment: NFT-Verkäufe können elegant für die Geldwäsche verwendet werden. Man erwirbt ein beliebiges NFT für einen symbolischen Einstandspreis. Nach einer Haltedauer von 12 Monaten können NFT’s steuerfrei weiterverkauft werden. Will man nun Schwarzgeld waschen, muss man sein Geld anonym auf eine andere Wallet einzahlen. Dann ersteht man das fast wertlose NFT für einen Mondpreis und zieht mit dem gewaschenen Geld von dannen. Völlig unverdächtig wird eine derartige Transaktion, wenn auch das Schwarzgeld bereits ein Jahr auf der Blockchain ruhte.
Nicht umsonst wird immer wieder gefordert, beim Handel von Werten auch im Kryptospace das «Know Your Customer«-Prinzip einzuführen. Da die Handelsplätze dezentral sind, können Einzelstaaten hier aber nichts ausrichten. Solange die USA untätig bleiben, sind illegalen Handelsgeschäften Tür und Tor geöffnet.
Stimmt diese Hypothese, dann spiegelt die Spekulationsblase am NFT-Segment den Bedarf nach «steueroptimierten» Handelsgeschäften.
Unmittelbar nach dem Jahreswechsel schwärmten die verbeamteten Rettungsteams erneut aus. Diesmal waren es weder Lufthansa noch Tui, die nach dem Staat riefen. Statt dessen stand der (fossile) Energiekonzern Uniper unmittelbar vor einer Insolvenz.
Nun – der Energiekonzern ist zweifellos systemrelevant. Uniper hat das fossile Energieerzeugungsportfolio von der E.ON geerbt. 76 Prozent gehören der finnischen Fortum. Der Großaktionär und die deutsche KFW stopften das Liquiditätsloch mit einem Kredit über 10 Milliarden Euro (Verhältnis: 8:2). Ausgerechnet die in der Außendarstellung so auf Klimaschutz bedachte Ampelkoalition stellt Uniper nun Kapital zur Fortführung seiner CO2-intensiven Gas- und Kohleverstromung zur Verfügung.
Die Begründung von Uniper ist hochinteressant: Die Verluste stammen aus dem Stromhandel. Man wurde von den Preisveränderungen überrascht und verdaddelte mal eben 10 Milliarden Euro. Macht nichts: Der deutsche Steuerzahler springt selbstverständlich auch bei Inkompetenz der Stromhändler ein. Hedge-Fonds freuen sich auf die Fortsetzung der Zusammenarbeit mit den Uniper-Händlern und deren Investoren über weitere attraktiven Erträge.
Selbst die Aktionäre scheint das Malheur nicht negativ aufzustoßen. Diese Posse geht in den üblichen Preisschwankungen unter. Das ist kein Wunder. Aktionäre schauen auf Jahresicht auf einen Buchertrag von fast 35 Prozent. Die Dividendenrendite beträgt immerhin fast 4 Prozent. Sie scheint nicht in Gefahr zu sein.
Hieronymus kritisiert nicht die Tatsache, dass ein Nothilfekredit gewährt wurde. Es bestand aber die einzigartige Gelegenheit, die Uniper zu zwingen, die Erlöse aus dem Kerngeschäft zukunftsgenerationengerecht zu investieren, z.B. in einen Fonds zum Ausbau ereuerbarer Energien, anstatt zuzulassen, dass Aktionäre und Hedgefonds sich weiterhin auf Kosten zukünftiger Generationen bereichern. Selbst die Financial Times sieht das Verfahren kritisch. Sie legt den Fokus auf die Kapitalausstattung der Fortum. Nach dem Bailout stehen deutlich weniger Mittel für nachhaltige Energieprojekte zur Verfügung. Das könnte den finnischen Beitrag für den Klimaschutz reduzieren.