Seit Jahresbeginn hat die brasilianische Währung bereits ein Drittel ihres Werts gegenüber dem US-Dollar abgegeben. Eine Kapitalflucht hat bereits eingesetzt und dürfte durch die jüngsten Entscheidungen der Politik weiter forciert werden.
Wie dieses Experiment wohl ausgeht?
Brasilien ist das jüngste Mitglied im sehr populären, nicht mehr exklusiven Club gelddruckender Notenbanken.
Alles begann im Jahr 1996. Die Bank of Japan (BoJ) probierte ein neues geldpolitisches Instrument aus. Bereits vorher hatte die BoJ regelmäßig US-Staatsanleihen gekauft um einer Yen-Aufwertung entgegenzuwirken. Sie hatte also schon Erfahrung mit einer Ausweitung der Notenbankbilanz durch aufgekaufte Staatsanleihen. Staatsanleihen in lokaler Währung aufzukaufen, war deshalb nur ein kleiner Schritt. Das damalige Ziel: Die Notenbank sollte die Finanzierung von Konjunkturprogrammen ermöglichen. Der Staat war bereits hoch verschuldet, die Schuldentragfähigkeit hing an einem nachhaltig niedrigen Marktzins.
Ab 2009 stieg die FED unter Ben Bernanke in das QE-Geschäft ein. Zuvor hatte die FED die Leitzinsen auf Null Prozent gesenkt. Der Kapitalmarkt verlangte bei Anleihen mit langen Laufzeiten immer noch (zu) hohe Renditen. Das wollte man ändern. Also kaufte man eine definierte Menge langlaufende US-Staatsanleihen auf. Der US-Staat und insbesondere US-Unternehmen konnten Investitionen mit einem einen Zinsvorteil tätigen. Das war zumindest die Idee. Auf QE1 folgten QE2 und QE3. Auch die Bank of England
beteiligten sich. Die EZB startete ihre Anleihekaufprogramme erst im Jahr 2014.
Seit März 2020 sind alle Notenbanken mit QE-Erfahrung wieder in das »aktive Geschäft« eingestiegen. Weitere Länder haben sich angeschlossen: Kanada, Australien, Russland. Monatlich werden Wertpapiere im Wert von fast 500 Milliarden US-Dollar aufgekauft – Staats- und Unternehmensanleihen, Immobilienhypotheken, Commercial Papers, Asset Based Securities.
Da sich die Befürchtungen der Jahre 2009 bis 11 nicht erfüllt haben, wonach das zusätzlich verfügbare Geld mittelfristig zu höhen Inflationsraten führt, lassen die Notenbanken inzwischen »die Zügel lockerer«. Hinzu kommt die wachsende Akzeptanz der »Modern Money Theory« (MMT).1
Diese erklärt die Stabilität der Finanzmärkte mit einer einfachen Überlegung.
Ein souveräner Staat mit einer eigenen Währung muss niemals Zinsen zahlen.
Wenn es einem souveränen Staat gelingt, eine eigene Währung herauszugeben, dann kann er stets über die Notenpresse genügend Geld erzeugen, um seine Ausgaben zu finanzieren. Er muss deshalb keine Schulden machen, um Staatsbeamte zu zahlen oder die Konjunktur zu stimulieren. Die Ausgabe von Staatsanleihen ist in dieser Lesart eine generöse Geste an die eigenen Staatsbürger, ihnen Zinsen für eine Leistung zu zahlen, die die eigene Notenbank kostenlos erbringt.
Die Gläubiger werden in eine demütige Rolle gedrängt. Solange ein souveräner Staat seine Gläubiger in dieser Weise in Schach halten kann, besteht keine Gefahr, dass die Marktzinsen unbeabsichtigt steigen. Und - damit schließt sich der Kreis - solange die Marktzinsen sehr niedrig oder gar negativ sind, kann der Staat sich unbegrenzt auch am Kapitalmarkt verschulden.
Die Achillesferse der MMT ist der Währungsmarkt.
Kapitalgeber haben schließlich immer noch die Wahl, auf Fremdwährungsanleihen auszuweichen. Eine Notenbank, die Anleihen des Staats aufkauft, muss die Stabilität der Landeswährung gewährleisten. Ein fahrlässig aufgesetztes Anleiheaufkaufprogramm kann die Anleger zu einem Exodus aus den lokalen Staatsanleihen animieren. Das kann man hervorragend als »Gewinnmitnahme« verkaufen, schließlich gehen künstlich abgesenkte Anleihe-Renditen mit hohen Marktpreisen einher. Die erlöste Summe kann in eine stabile Währung gewechselt werden.
Ein Verkauf strategischer Anleihepositionen und der Aufbau einer Fremdwährungsposition ist gleichbedeutend mit einen Cash-Transfer ins Ausland, auf Deutsch: Kapitalflucht. Folgt ein Staat dem Paradigma MMT, reagiert die Notenbank mittels einer Ausweitung des Anleiheaufkaufs. Das ist wiederum gleichbedeutend zur Reaktion der dt. Reichsbank auf die Besetzung des Ruhrgebiets mit den bekannten Konsequenzen.
Die Tatsache, dass Quantitative Easing nun auch in Schwellenländern eingesetzt wird, erhöht den Stresslevel an deb Finanzmärkten. Nur weil das in den letzten Jahren in sorgfältig tarierten Dosen applizierte QE überraschend gut funktionierte, ist ein »Ausrollen« in weniger entwickelte Finanzmärkte nicht notwendigerweise auch erfolgsversprechend.
Die Beschäftigungsquote (Anzahl Angestellter im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung) ist von 59,7 % im März auf 51,3 % gesunken. Im Nachkriegsamerika lag der tiefste Wert in Rezessionszeiten bei 54,9 %.
Im März verabschiedeten die Senat und Repräsentantenhaus ein Nothilfspaket über 3 Billionen US-Dollar. Ein Großteil des Geldes wird für die amerikanische Variante des Kurzarbeitergeldes verbraucht. Dieses Programm läuft im Juli aus. Staatshilfen für Kleinunternehmen sind nur bis Juni vorgesehen.
Entweder die Wirtschaft läuft jetzt unmittelbar wieder an, oder ein zweites Hilfspaket ist nötig. Aktuell streiten die Parteien (es ist Wahlkampf) um dieses Paket.
Demokraten fordern mit dem Verweis auf die aktuellen Fallzahlen der Pandemie eine Fortsetzung des Programms. Republikaner wollen zunächst evaluieren und im nächsten Schritt America First wiederaufleben lassen. Fortschrittliche Kräfte bei den Demokraten fordern ein Grundeinkommen von 2.000 $ pro Einwohner. Republikaner sehen die Chance, weitere Steuersenkungen durchzusetzen.
Die Finanzmärkte ignorieren derweil die Gegenwart. Die Hoffnung auf einen erneuten Geldsegen und ein Urvertrauen in den US-Kapitalismus sorgen für Kauflaune bei riskanten Assets.
Wenn alle das Gleiche machen, wirds gefährlich.
Im Rest der Welt sind die Preise für Aktien dank der geldpolitischen Maßnahmen in den Industriestaaten stabil. Das macht vor dem Hintergrund weiterhin bestehender Risiken Sinn.
Die divergente Entwicklung der Aktienpreise ist für alle problematisch. Sollte sich die US-Preisentwicklung als Fehler heraussstellen, löst sich die Divergenz höchstwahrscheinlich in einem synchronen Abverkauf auf. Eine niedrige Bewertung von Aktien schützt also nicht vor weiteren Preissenkungen.
[^3][Modern Monetary Theory: Die Antwort auf (fast) alle Sorgen? ] (https://www.piqd.de/volkswirtschaft/modern-monetary-theory-die-antwort-auf-fast-alle-sorgen) [5]: # [6]: # [5]: # [6]: # [7]: # [8]: # [9]: # [10]: #
Eine gute Zusammenfassung der aktuellen MMT-Debatte findet sich im [Oxiblog][https://oxiblog.de/alle-reden-ueber-mmt-worueber-ein-ueberblick-zur-modern-monetary-theory/] ↩