Wochenbericht 18

Sommerflaute

Das Frühjahr war mehr als aufregend. Für den Sommer kündigt sich eine Zuspitzung der Klimadebatte an. Zudem wird kaum jemand einen normalen Sommerurlaub verbringen. Bestehen zumindest am Kapitalmarkt Perspektiven auf einen normalen Sommerhandel?

(Stuttgart, 2. Mai) Am ersten Mai feiert ein Großteil der Welt den Maifeiertag. Es gibt Ausnahmen: Japan, Australien, Großbritannien und natürlich die USA. Zum Wochenschluß egalisierten die Aktienmärkte dort unisono die Preisaufschläge der Vortage. Im Ergebnis deutet sich ein charttechnisches Top und damit ein Auslaufen der Baermarketrallye an.

Abbildung 1: Preisverlauf des australischen ASX und (blau) Volatilität (1 Kerze = 1 Woche)

Die Volatilität ist weiterhin hoch. Im Wochenverlauf fiel diese auf 30 %, nur um am Freitag zeitweise wieder über 40 % zu klettern. Die Abbildung 1 zeigt den Unterschied der Gegenwart zu normalen Zeiten: dann misst man eine Volatilität von weniger als 20 Prozent.

Der Wonnemonat ist stets der Auftakt zum Sommerhandel. Die Handelsvolumina sinken, der News-Flow verebbt. Preisausschläge sind wenig nachhaltig. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass im April die obere Preisgrenze ausgetestet wurde und im Verlauf des Sommers Aktienpreise nochmals die Tiefs des März ausloten — idealerweise mit deutlich geringerer Volatilität als im März.

Dies spräche für eine lehrbuchartige »Abarbeitung« eines Schocks: Die Preise überschießen zur Unterseite, prallen ab und überschießen dann zur Preisoberseite. Es folgt ein Aushandlungsprozess des wahren ökonomischen Ausmaßes des Schockereignisses. Dies dürfte das Thema des Sommerhandels 2020 werden.

Zur Unterseite sind die Marktpreise durch die Sicherungsnetze der Notenbanken und die politische Rhetorik mindestens der Trump-Administration gestützt. Die Preisoberseite wird von den Ertragsperpektiven der börsennotierten Unternehmen und der Spekulationsneigung der Anleger definiert

Öffnungsfantasien

Moment – rufen jetzt einige. Überall werden die Einschränkungen gelockert. Steigen denn die Marktpreise nicht, wenn die Staaten «die Ökonomie wieder starten«? Der US-Bundesstaat Georgia zeigt doch, dass eine Rückkehr zur Normalität funktioniert. Abgesehen davon, dass Einzelhandel und Gastronomie nur zwischen 4 und 15 Prozent der gesamten wirtschaftlichen Aktivitäten ausmachen, ist dies selbst für diese Branchen zu kurz gedacht.
Hieronymus wurde in dieser Woche gefragt, ob er im Falle einer Öffnung des Theaters im Mai eine Veranstaltung besuchen würde. Die klare Antwort: Nein.
Auch die Umsätze im gerade wiedereröffneten Einzelhandel in Deutschland sind offenbar bescheiden: Die Menschen trauen den hastigen Öffnungsbestrebungen der Wirtschaft nicht. Daran ändert auch die von einigen fieberhaft erwartete Eröffnung der Mc Donalds Filialen in Österreich nichts, wo sich zeitweise mehrere Kilometer lange Schlangen hungriger Fans bildeten. Die meisten Geschäfte beginnen auf einem sehr niedrigen Umsatzniveau. Viele Einzelhändler dürften die staatlichen Hilfsprogramme dankend angenommen haben. Die Liquidität ist – fürs erste – gesichert, die Kredite müssen jedoch zurückgezahlt werden.

Abbildung 2: Ergebnissimulation für einen Einzelhändler/Gastronomen nach drei Monaten Zwangsschließung mit Inanspruchnahme von Kurzarbeitergeld und Überbrückungskrediten, Umsatzeinbruch nach Wiedereröffnung: 50 %; anschließend Umsatzwachstum: 3% pro Monat.

Die Abbildung 2 zeigt den – selbst unter optimistischen Prämissen – beschwerlichen Weg zurück in die Gewinnzone. Selbst wenn sich die Umsätze sehr positiv entwickeln, dauert es bis Ende 2021, bis Investoren mit Ausschüttungen rechnen können.

OK, Marktpreise laufen der Realität drei bis sechs Monate voraus. Selbst dann sind nachhaltige Preissteigerungen aber erst in der zweiten Hälfte 2021 zu erwarten.

Die Woche an den Finanzmärkten

  • Rezession in Europa. Das BIP von Frankreich und Italien fiel im ersten Quartal um 5,8 bzw. 4,7 %. Auch im letzten Quartal 2019 ging das BIP dort zurück. Deshalb befinden sich diese Staaten nun offiziell in einer technischen Rezession.
    Auch hier gilt: die Corona-Pandemie wirkt als Katalysator bereits bestehender Prozesse.
    Der Economist benutzt in seiner aktuellen Ausgabe für Industrieländer eine einfache Faustregel: Der Stop aller ökonomischen Aktivitäten, wie im März und April in Italien, kappt ein Viertel des BIP eines Landes. Werden nur Restaurants, Hotels usw. geschlossen, schrumpft das BIP in diesem Zeitraum um 10 Prozent.

    Abbildung 3: Entwicklung des Welthandels
  • Globaler Handel: Trendfortsetzung?
    Im Herbst 2018 knickte der Welthandel ein. Der sino-amerikanische Handelskrieg zeigte Wirkungen. Die Handelsaktivitäten erholten sich danach nicht wieder. Das Handelsvolumen sank im Verlauf des Jahres 2019 erstmals um ein Prozent. Im Februar – nur der chinesische Markt war wegen der Corona-Pandemie bereits geschlossen – sank das globale Handelsvolumen gegenüber Januar um 1,5 %, gegenüber dem Februar 2019 um 2,6 Prozent. Diese Entwicklung wird durch die Corona-Pandemie verstärkt. Die WTO prognostiziert für 2020 trotz weiterhin aktivem Onlinehandel einen Rückgang des globalen Güterhandels um 30 Prozent, deutlich mehr als 2009. Gabriella Dickes (Capital Economics) erwartet einen Einbruch des globalen Handesvolumens um 20 Prozent. (Quelle: FT).
    Es ist unbestreitbar, dass ein Großteil dieses ausgefallenen Handelsvolumens 2021 nachgeholt wird. Die Kernfrage bleibt: Ist der Rückgang des Welthandels seit 2018 nur eine Episode, die jetzt mit einem Knall abgeschlossen wird oder setzt sich der Trend fort, weil diese Krise schlicht als Katalysator bisher mühsam verdeckter ökonomischer und geopolitischer Prozesse wirkt?

  • Massenentlassungen bei Fluggesellschaften und absehbarer Preiskrieg.
    • Die skandinavische SAS entlässt die Hälfte ihrer Belegschaft, insgesamt 5.000 Menschen.
    • Ryanair, die britische Billigfluglinie vollzog in der letzten Woche eine Kehrtwende. Von hochnäsiger Ablehnung von Staatshilfen und aggressiver The Winner takes it all-Mentalität ist nichts übrig. Statt dessen: Entlassung von 3.000 Mitarbeitern (15 % der Belegschaft), die verbliebenen müssen einen Lohnabschlag bis zu 20 % hinnehmen. Eine Rückkehr in die Profitabilität ist vor Ende 2021 kaum vorstellbar.
    • British Airways wird 30 % der Belegschaft abbauen, also etwa 12.500 Menschen.

    AirFrance-KLM und höchstwahrscheinlich auch Lufthansa (inklusive deren europäische Töchter) bekommen Staatshilfen. Sie können keine Mitarbeiter freisetzen. Wenn der Flugverkehr wieder anläuft, drängen sie mit vollem Mitarbeiterstab und Maschinenpark auf einen geschrumpften Markt. Ein Preiskrieg ist bis zu einer schmerzhaften Marktbereinigung vorprogrammiert.

  • Junk-Bond-Paradies.
    Bereits hoch verschuldete, als Non-Investmentgrade geratete US-Unternehmen emittierten allein im April 2020 Anleihen im Volumen von 32 Mrd. $, soviel wie seit drei Jahren nicht mehr.
    Hintergrund ist die Ankündigung der FED, auch High-Yield-Bond-ETF’s und Anleihen von »fallen Angels« aufzukaufen, also Unternehmen, die seit März ihr Investmentgrade-Rating verloren haben. Dies schuf ein »Window of Opportunity« für viele Unternehmen, den Kapitalmarkt selbst im Zenit einer ausgewachsenen, globalen Krise anzuzapfen.
    Im Ergebnis wurde der Bedarf einiger Unternehmen nach Liquidität auf viele Schultern verteilt. Gemeinsam tragen die frischgebackenen Gläubiger nun die Ausfallrisiken – und werden hierfür nur schlecht entlohnt.

    Abbildung 4: Monatliches Emissionsvolumen (im Mrd. $) von Non-Investmentgrade US-Anleihen