Wochenbericht 13

Wer zahlt die Pandemie

Die Welt hält den Atem an. Ökonomische Aktivitäten versiegen. Die Kosten laufen aber weiter. Gigantische Hilfpakete werden geschnürt. Irgendwann wird die Rechnung präsentiert.

(Stuttgart, 28. März) Mit Phillipp Hildebrand (SNB) und Mario Draghi (EZB) wandten sich in den letzten Tagen gleich zwei krisenerprobte, ehemalige Notenbanker an die Öffentlichkeit und ordneten die geldpolitischen und fiskalischen Antworten auf die Corona-Krise ein.1

Ihre deutliche Botschaft: Japan ist das Vorbild. Dort finanziert die Bank of Japan, die japanische Notenbank, seit der Jahrtausendwende in weiten Teilen den Staatshaushalt. Wenn die Regierung ein Konjunkturpaket auflegt, kauft die BoJ die emittierten Staatsanleihen bereits am Primärmarkt auf. Die Rendite frei am Sekudärmarkt gehandelter Anleihen wird von der BoJ in engen Grenzen moderiert. Banken, die Staatsanleihen als Collateral für Kreditvergaben benötigen, können sich auf eine Null-Zins-Garantie für Anleihen mit 10 Jahren Laufzeit verlassen. Falls die Aktienmarktentwicklung nicht den Erwartungen entspricht, tritt die BoJ als Käufer auf. Weder Aktienpreise noch Anleihenrenditen haben große Freiheitsgrade. Das Ergebnis: Ein gezügelter Kapitalmarkt. Die Bewertung von Aktiengesellschaften ist im internationalen Vergleich gering, Anleihen sind Ballast anstatt Renditequellen.

Mario Draghi fordert die Staaten auf, Banken zu verpflichten, kostenlose Kredite an Unternehmen und Haushalte zu vergeben. Hierfür ist eine direkte Kapitalisierung der Kreditinstitute nötig – Privatbanken droht also die Verstaatlichung. Ferner fordert er eine Trendumkehr bei der Verteilung der Kredite.
Seit der Finanzkrise des Jahres 2008 kaufen die Notenbanken Staatsanleihen auf. Sie stellten den Banken preiswerte Liquidität zur Verfügung, damit diese Kreditrisiken eingehen. Im Ergebnis weitete sich die private Verschuldung aus (siehe Wochenbericht 11). Die diversen QE-Programme sind eigentlich Transmissionsriemen für den Transfer öffentlicher Verschuldung hin zu privater Verschuldung.
Genau diesen Prozess fordert Draghi nun umzukehren:

The loss of income incurred by the private sector — and any debt raised to fill the gap — must eventually be absorbed, wholly or in part, on to government balance sheets. Much higher public debt levels will become a permanent feature of our economies and will be accompanied by private debt cancellation.

Damit ist die Antwort der Altmeister der Geldpolitik klar: die zukünftigen Generationen erben sehr hohe öffentliche Verbindlichkeiten. Was sie damit machen, ist ihre Sache.

Völlig unbeantwortet ist die Frage, wie Schwellenländer mit der Situation umgehen können. Diese haben nicht die Kraft, die Finanzmarktakteure mit starken Institutionen zu bändigen und die Marktkonditionen zu diktieren. Ob es gelingt, unter den Industriestaaten eine längerfristige Übereinkunft zur koordinierten Kontrolle der Marktkonditionen zu vereinbaren?
Die Ex-Notenbanker zeigen Wege auf, die gesellschaftlichen und ökonomischen Folgen der Corana-Pandemie zu managen. Ob diese Wege tatsächlich begangen werden, ist aktuell nicht absehbar. Deshalb zurück zur Realität.

Die Kosten der Pandemie

In einem ersten Aufschlag übernehmen die Staaten in Europa die Kosten für den Gesundheitsschutz ihrer Bevölkerung. Das schließt – je nach Leistungsfähigkeit des Staats – auch die Kosten für Betriebsunterbrechungen ein. Die staatlichen Sofortmaßnahmen bedingen eine deutliche Ausweitung der Staatsverschuldung. Bereits in der vergangenen Woche besetzte der deutsche Finanzminister ein zentrales Thema für den restlichen Verlauf dieses Jahres: Er forderte eine unverzügliche Rückkehr zur »schwarzen Null«, nachdem der gegenwärtige Ausnahmezustand beendet ist.

Damit zeichnet sich der nächste Prozessschritt im Krisenmanagement ab: In welchem Umfang gelingt es den Staaten, die aufgewendeten Mittel von den Staatsbürgern und den Unternehmen zurück zu holen. Hier bietet die Vergangenheit lehrreiche Beispiele. Aber auch die Gegenwart liefert einen Vorgeschmack auf das bevorstehende Kräftemessen.

Versicherungen im Fokus

Viele Unternehmen sind gegen Betriebsunterbrechungen im Katastrophenfall versichert. Aus gutem Grund sind die auslösenden Rahmenumstände in den Verträgen eng umrissen. Eine Pandemie ist (meistens) kein Grund. Versicherungen sind auf der sicheren Seite: Die Schadenstöpfe für Naturkatastrophen sollten tabu sein.

Weit gefehlt. In den USA arbeiten Abgeordnete des Abgeordnetenhauses parteiübergreifend an einer Initiative, die Versicherungen zu zwingen, durch COVID-19 verursachte Betriebsunterbrechungen wie eine ganz normale Naturkatastrophe einzuordnen und die Schäden zu begleichen. In Großbritannien das gleiche Bild: Abgeordnete des Haushaltsausschusses fordern die Versicherer auf, die Kosten aktueller Betriebsunterbrechungen im Rahmen der Standardvertragskonditionen zu übernehmen.

Wohl wissend, dass die Interpretation von Versicherungsverträgen Zivilrecht ist, versucht die Politik die gut kapitalisierten Versicherungsgesellschaften zu öffentlichen Zusagen zu bewegen. Die Botschaft: Alle müssen sich an der Finanzierung der Pandemiebekämpfung beteiligen, es gibt keine Nischen.

Dies wurde von den Finanzmärkten antizipiert. Hieronymus konnte sich zuerst keinen Reim auf den Wertverfall in der gesamten Versicherungsbranche machen. Sicher – in Zeiten dominanter passiver Investments sind die Preisveränderungen von Indexwerten vielfach synchron. Dennoch konnte eine Outperformance der Versicherungsbranche angenommen werden. Die deutlich schwächere Performance von Allianz, AXA, Münchener- und HannoverRück verlangt nach einer Erklärung.

Abbildung 1: Das Ende der Outperformance: Preisverlauf der Münchener Rück im Vergleich zum DAX

Der Kapitalmarkt antizipiert offenbar die Anerkennung der Pandemie als Naturkatastrophe und preist eine Begleichung der Forderungen ein. Aktieninvestoren müssen sich nicht nur von potenziellen Pleitekandidaten fernhalten. Man kann in naher Zukunft kaum erwarten, dass die Gesellschaft den Kapitalmärkten die Abschöpfung der Erträge hoch profitabler Geschäftsmodelle erlaubt.

Banken systemrelevant

Wie in der Finanzkrise stehen Banken derzeit wieder unter besonderer Beobachtung. Man benötigt ihre Dienstleistungen unbedingt für den Neustart der Ökonomien nach der Überwindung der akuten Phase der Pandemie.
Außerhalb der USA scheint die Zeit der Privatbanken aber zu Ende zu gehen. Die Bewertung der Deutschen Bank spricht Bände. Die Zukunft gehört Kreditinstitutionen mit öffentlichen Mehrheitsaktionären und Staatsbeteiligungen. Mit Blick auf Asien ist ein Vergleich von Mizuho Financial, der zweitgrößten Bank Japans, mit der DBS, der größten Bank in Singapore, aufschlußreich.

Die Mizuho ist mit der Deutschen Bank vergleichbar. Der Aktienkurs dümpelt seit der Finanzkrise auf dem Niveau des Jahres 2003. In der Bilanz schlummern Kreditrisiken unbekannten Ausmaßes. Ganz anders die DBS. Der größte Aktionär ist Temasek, einer der Staatsfonds Singapore’s.

Abbildung 2: Aktienpreise der Mizuho und der DBS im Vergleich

Anders als beispielsweise bei der Commerzbank ist die Beteiligung von Temasek nicht einer Krisenintervention geschuldet. Die DBS wurde als Arm des Staatsfonds zum Kapitalmarkt gegründet, es handelt sich also um eine strategische Beteiligung. Entsprechend sind Dividendenzahlungen keineswegs tabu. Über den Kapitalmarkt kann sich jedermann an der DBS beteiligen. Die Stärkung der Kapitalbasis der Bank wird durch stabile Dividendenzahlungen und eine Outperformance des Marktpreises belohnt. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Erfolgsstory DBS fortgeschrieben wird. Ob Mizuho, Deutsche Bank und andere Privtbanken als Aktiengesellschaften weiter existieren, ist unklar.

Die Woche an den Finanzmärkten

  • EZB verbietet Banken Dividenden und Aktienrückkäufe
    Die EZB will um jeden Preis verhindern, dass europäische Banken mangels Eigenkapital keine Kredite mehr vergeben. Deshalb hat sie jetzt zu diesem ungewöhnlichen Schritt gegriffen. Bereits vorher hatten einige Banken ihre Kapitalausschüttungen zurückgestellt. Nun laufen zumindest die Forderungen aktivistischer Aktionäre ins Leere.
    Da die vergebenen Kredite in Europa in den Bankbilanzen verbleiben, haften die Geldinstitute bei Ausfällen.
  • Arbeitsmarkt: Das Ende der Vollbeschäftigung
    Das IFO Beschäftigungsbarometer sinkt von 98 im Februar auf aktuell 93,4. Im Jahr 2008 sank der Index kurzzeitig auf 88. Damals ging der Index über einen Zeitraum eines ganzen Jahres kontinuierlich zurück. Aktuell sinkt das Barometer in Rekordzeit. Üblicherweise ist die Beschäftigung ein nachlaufender Indikator. Gemäß der Standardinterpretation wäre nun das Schlimmste überstanden. Da die krisenhafte Entwicklung sehr jung ist, gelten höchstwahrscheinlich andere Regeln.
    Abbildung 3: IFO Beschäftigungsbarometerseit 2007
  • Autoabsatz 2020: Minus 14 Prozent.
    Noch im Februar vermutete die Ratingagentur Moody’s einen Absatzrückgang bei Automobilen von 2,5 bis 3 Prozent. Einen Monat später senkt sie die Prognose auf 14 Prozent.
    2008/9 war der Autoabsatz um 8 Prozent gefallen. In der Folge wurden in vielen Ländern Abwrakprämien aufgelegt. General Motors musste in die Insolvenz und wurde anschließend über eine staatliche Intervention wiederbelebt.
    2020 steht die Branche mitten im Umbruch zu Elektromobilität. Die Krise kommt zur Unzeit. Abwrakprämien sind mangels aufgebauter Produktionskapazitäten kaum denkbar. Ein Tausch eines Altfahrzeugs in einen SUW ist politisch nirgends durchsetzbar.
    VW verbrennt nach eigenen Angaben 2 Mrd. € pro Woche. Fiat hat gerade eine weitere Kreditlinie über 3.5 Mrd. € gesichert. Renault wird möglicherweise bereits innerhalb der kommenden Woche Staatshilfen beantragen. Hier bahnt sich also bereits eine Wiederholung des GM-Moments an.

  • Esprit beantragt Gläubigerschutz
    Die global operierende Modekette mit Sitz in Hongkong machte in jüngster Zeit nicht mit tollen Fashion-Angeboten Schlagzeilen, sondern mit einem harten Sparkurs und radikalen Restrukturierungen. Die COVID-19-Pandemie versetzte dem Unternehmen den Todesstoß. Am Freitag beantragte das Management Gläubigerschutz.
    Unmittelbar vor Börsenschluß brach der Aktienkurs bei hohen Volumen stark ein - ein paar Stunden später folgte die offizielle Bestätigung.
    Abbildung 4: Preisverlauf der Esprit Holdings in den 10 Tagen vor der Insolvenz
  • Russland: Sparer sollen Pandemiekosten zahlen
    Mit mehrwöchiger Verspätung erreichen die Coronaviren jetzt auch Russland. Das Land kann sich keine Monster-Hilfprogramme leisten, wie andere Industriestaaten. Der Staat hat erkannt, dass die Guthaben seiner Bürger bislang keinerlei Besteuerung unterworfen waren. Das ändert sich nun. Rubel-Millionäre (Sparguthaben ab etwa 11.500 €) müssen 13 Prozent Steuern auf Zinserträge leisten. Das betrifft mehr als 50 Prozent aller Sparkonten.