Wochenbericht 7

Heißgelaufene Finanzmärkte und arktische Kälteeinbrüche

Das Jahr 2020 ist gerade mal 50 Tage alt. Rückblickend war es eine Kette von Disruptionen. Zuerst den Sturm auf das Capitol, die Kapitalmarktkapriolen rund um r/Wallstreetbets, der Kollaps der Versorgungsinfrastruktur in Texas und zuletzt der Versuch, in Japan die 1980er Jahre zu revitalisieren. Dabei verspricht die Biden-Administration ein »Back to normal«.

Stuttgart, 20. Februar 2021.

Vor zwei Wochen war Deutschland dran, diese Woche hat es Texas erwischt: Ein unerwarteter Kälteeinbruch. Was hierzulande nur höhere Heizkosten verursacht, nimmt in den USA gleich Krisenzüge an. Dabei sind nirgends Katastrophenpläne so ausgefeilt, wie dort.

Es ist eben ein Unterschied, ob man nur einen Katastrophenplan in der Schublade hat oder ob man diesen auch wirksam umsetzen kann. Dabei ist die Vorbereitung auf heftige Wetterkapriolen in den USA traditionell ein Kernbestandteil kommunaler Daseinsvorsorge.

Nun ist der Bundesstaat 10 Jahre von Kälteinbrüchen verschont geblieben. Die Leugnung des Klimawandels gehört zwar zur Staatsräson. Bezüglich des Ausbleibens von Kälteeinbrüchen wurde dieser jedoch in seiner naiven Form akzeptiert. Man konzentrierte sich auf das Management von Hitzrekorden.

Zuletzt brach die texanische Versorgungsinfrastruktur kältebedingt 2011 zusammen. Damals waren 30 GW installierter elektrischer Leistung nicht mehr verfügbar (gegenüber 35 GW im Februar 2021)1. Gemäß Wikipedia litt Texas aber auch 2010, 2008, 2006, 2003, 1989 und 1983 unter extremen Wintereinbrüchen.

Die Konstante: Der Bundestaat sieht sich auch 2021 als neoliberale Speerspitze der USA. In Texas ist man der Meinung, dass keine Regierung die Beste ist, dass jeder Bürger jede Freiheit genießen kann, die er sich vorstellt. Anstatt Regeln aufzustellen setzt man auf freie Märkte, wo eine unsichtbare Hand für einen Interessensausgleich, vorallem aber für sprudelnde Unternehmensgewinne sorgt.

In Texas gehen die Uhren deshalb vielfach anders. Es gibt ein eigenes Verbundnetz, dass nur situativ mit dem US-Netz gekoppelt wird. Die EVU’s sind nicht reguliert. Bürger können variable Stromtarife abschließen. Dann wird der verbrauchte Strom nach den Marktpreisen an der Strombörse abgerechnet. Das sind üblicherweise weniger als 10 Cent pro Kilowattstunde. Aktuell kostet eine KWh jedoch bis zu 6 $.2

Trotzdem hat sich eine veritable Solar- und Windstrominfrastruktur gebildet. Die Rahmenbedingungen für die regenerative Energiegerzeugung sind einfach zu gut.3 Theoretisch könnte Texas sich selbst mit regenerativer Energie versorgen und sogar noch Überschüsse exportieren. Praktisch verhindert eine starke Öl- und Gas-Lobby den konsequenten Ausbau regenerativer Energieerzeugung. Stromverbindungen zu den angrenzenden Netzverbünden in Mexiko und den beiden trans-US-Stromverbünden sind leistungsschwach und veraltet. Niemand käme auf die Idee, den Stromex- oder -import als ein Geschäftsmodell in Erwägung zu ziehen.

Die regenerative Energieerzeugung hat gerade einmal einen Anteil von 13 Prozent an der installierten Leistung. Wenig überraschend waren sich die konservativen Meinungsführer in der vergangenen Woche sofort einig, dass die wenig berechenbare Energieerzeugung aus Wind und Sonne die Ursache des Black-Out war. Fakt ist allerdings, dass die marode Gas-Infrastruktur zum Abschalten von Kraftwerken führte. Die Stromerzeugung erfolgt zu 47% aus Gaskraftwerken (Quelle: EROC)

Dabei sind die Defizite lange bekannt. In Texas regieren traditionell die Republikaner. In Phasen einer Demokratisch geführten Zentralregierung in Washington verbietet man sich der »Gängelung durch sozialistische Elemente«, und behebt die Defizite aus Prinzip nicht. Unter einem republikanischen Präsidenten stellt sich die Frage erst gar nicht. Weniger Regulation, weniger Staat ist dann die Devise.

Fazit. Klimawandel heißt nicht einfach globale Termperaturerwärmung. Es heißt vielmehr: Das Klima ändert sich, wird unberechenbarer. Das Beispiel Texas zeigt, dass neoliberale Ansätze ungeeignet sind, eine resiliente Infrastruktur zur betreiben.

Turbulenzen in chaotischen Systemen

Das Wettergeschehen ist ein turbulentes, chaotisches System. Der Klimawandel zeigt, wie ein derartiges System auf eine Änderung eines signifikanten Systemparameters reagiert: Der stärkere Solare Wärmeeintrag konnte eine ganze Weile durch systemische Puffer abgefangen werden. In denn letzten Jahren verdichten sich die Hinweise, dass diese Puffer aufgebraucht sind und nun irreversible Klimaprozesse ablaufen. Wetter setzt diese Prozesse operativ um – so würden Betriebswirte den Prozess beschreiben.

Wetter setzt Klimaprozesse operativ um

Übersetzen wir dies gedanklich in die Welt der Finanzen. Die japanische Notenbank (BoJ) erfand um die Jahrtausendwende das Instrument der Anleihenkäufe durch die Zentralbank. Es gelang tatsächlich die Marktzinsen zu senken, ohne Inflation zu begünstigen. 2009 übernahm die FED unter Ben Bernanke diese Praxis in die Geldpolitik der FED. Wieder konnte der Markzins gesenkt werden, ohne die Güterpreise zu inflationieren. Die EZB folgte erst 2015 dieser Praxis in signifikantem Ausmaß. Bis dato haben sich auch hierzulande nur wenige Nebenwirkungen gezeigt, stark gestiegene Immobilienpreise beispielsweise.

Abbildung 1: Anleiheaufkäufe diverser Zentralbanken (in Billionen USD). Quelle: Citi Research)

Die Corona-Pandemie hat die Volumina der Anleiheaufkäufe in neue Dimensionen geführt. Erstmals werden Anleiheaufläufe der Zentralbanken mit massiven fiskalischen Maßnahmen verknüpft.

Finanzmärkte sind chaotische Systeme zur Dispersion von Geld. Preistrends gleichen damit dem Wetter als Observable des Makrogeschehens.

Wie bei der Wetterentwicklung kommen Kausalitäten nur fragmenthaft vor. Auf die Kältewelle folgte in Deutschland übergangslos eine ungewöhnlich warme Periode.

Beim Wettergeschehen liefert die jahreszeitliche Zyklik Hinweise auf den weiteren Verlauf. Das ist an den Finanzmärkten anders. Niemand weiss, ob die absurden Preiskapriolen bei Pennystocks oder die teilweise spektakulären Preistrends bei Einzeltiteln nur eine transiente Erscheinung sind. Marktastrologen interpretieren diese als Warnsignale der Finanzmärke an die Notenbanken, den Geldregen nicht zu überspannen.

r/Wallstreetsbets hat es übrigens in die tägliche Berichterstattung der US-Finanzsender geschafft. Moderatoren von MsNBC oder Bloomberg berichten täglich, welche Wetten gerade lanciert werden und liefern Hintergrundinformationen aus diffusen Quellen.

Wo beginnt Marktmanipulation?

Angesichts der Vielzahl von Kommunikationskanälen für die publikumswirksame Präsentation von Ideen für neue Wetten auf Preisbewegungen bei Einzeltiteln, stellt sich die Frage, ob hier nicht systematische Marktmanipulation betrieben wird. Reddis, Twitter, Facebook, MsNBC, Bloomberg &Co rüsten die neuzeitlichen Goldsucher mit Spaten und Hinweisen für ihre Exploration aus. PR-Abteilungen der Hedge-Funds sorgen für einen nie versiegenden Nachrichtenstrom. Die Notenbanken stellen als Treibstoff den Geldstrom sicher. Algorithmen der Hedge-Funds fischen schließlich intensiv in den neuen Jagdgründen.

Was im Kleinen Stoff für Annekdoten und reißerische Zeitungsartikel liefert hat im größeren Maßstab systemrelevante Konsequenzen.

Abbildung 2: Preisentswicklung des Nikkei
Abbildung 3: Wirtschaftswachstum in Japan

In den 1980er Jahren rechtfertigte die Dominanz der japanischen Exportindustrie zumindest den Anfang des Preistrends am Aktienmarkt. Im Jahr 2021 kämpft das überalterte Land mit der Coronapandemie und macht sonst allenfalls durch sein Festhalten an der Olympiade im Sommer Schlagzeilen.

Plötzlich und unerwartet macht sich der Leitindex Nikkei in dieser Gemengelage auf, die Tradingrange 20.000 bis 25.000 zu überwinden.

Japan leistet sich bereits seit 20 Jahren negative Marktzinsen. Inländische Aktieninvestments liefern nur unterdurchsnittliche Renditen. Gleichzeitig müssen Renten- und Pensionskassen sowie Lebensversicherer am Kapitalmarkt regelmäßige Zahlungsströme generieren. Hierfür wurden und werden systematische Optionsverkäufe genutzt.

Diese Praxis hatte in der Vergangenheit eine systemstabilisierende Funktion. Ein großes Angebot an Optionen senkt deren Preise, die Kennzahl Implizite Volatilität ist niedrig. Der Markt wird allgemein als wenig spekulativ wahrgenommen. Was aber, wenn diese Wahrnehmung sich als Illusion erweist?

Die Entfaltung der japanischen Aktienmarktblase im 20. Jahrhundert ist ausführlich im Beitrag Der Wal im Haifischbecken ausgeführt. Bereits damals waren Optionen ein wesentlicher Bestandteil des Marktgeschehens. Es liegt der Verdacht nahe, dass Softbank aktuell disruptiv in heimischen Gewässern unterwegs ist und eine Wiederholung seiner _Nasdaq_Spekulation orchestriert.

Der Unterschied zum Sommer 2020: Die angewandte Methode ist inzwischen Allgemeingut. Der Überraschungseffekt des Jahres 2020 ist nicht mehr vorhanden. Die japanischen Kapitalmärkte sind zudem ungleich besser reguliert, als die us-amerikanischen. In Japan spielen Internetforen zur Kommunikation der zu platzierenden Wetten nur eine untergeordnete Rolle. Es ist nicht auszuschließen, dass die Preisbewegung im Einvernehmen mit den Regulierungsbehörden induziert wurde.

Das besondere des japanischen Markts: Institutionelle Investoren platzieren ihre Stillhaltergeschäfte im wesentlichen OTC. Niemand weiss genau, wieviele offene Positionen vorhanden sind und welche Preisniveaus kritisch sind.

Im Falle des Nikkei konnte aber recht gut geraten werden. Sehr viele Call-Optionen waren mit einem Strike knapp oberhalb der etablierten Tradingrange (also bei 25.000 Punkten) platziert, gleichzeitig Put-Optionen am unteren Ende, also mit deinem Strike 20.000 Punkten. Solange der Index zwischen den Grenzen hin und her pendelt, generiert die Handelsstrategie prognostizierbare Erträge. Falls die Preise stark fallen, ist man sich einer Intervention der japanischen Notenbank sicher. Bleibt also nur das Risiko stark steigender Notierungen, das wegen des anämischen Wirtschaftswachstums vernachlässigbar ist.

Überschreiten die Notierungen dennoch die Marke von 25.000, passiert erstmal nichts. Die aufgesetzten Handelsstrategien liefern zwar weniger Erträge, als geplant. Verluste sind aber erst oberhalb von 27.000 oder gar 28.000 zu erwarten.

Genau das orchestrierten aber die spekulativen Marktteilnehmer. Die institutionellen Investoren waren gezwungen, entweder ihre Positionen mit Verlust zu schließen (also einen Call zu kaufen) oder ihre Strategien mit einem Future abzusichern. Beides befeuert die Preisdynamik: Werden im größeren Maßstab Call-Optionen erworben, macht die Gegenparteai (Der Marketmaker einer Bank) eine risikolose Gegenposition auf: Ein short-Call (den er an den Verkäufer der Option ausliefert) und ein Long-Future, der an der Börse platziert wird.
Es ist also egal, ob die institutionellen Investoren sofort den Stecker ziehen oder ihre Positionen zunächst risikolos stellen: Die Nachfrage nach Nikkei-Futures steigt dramatisch, was unmittelbar zu steigenden Marktpreisen führt (und ggf. weitere Absicherungsmaßnahmen triggert).

Wenn die Preisentwicklung eines Leitindex über die Terminmärkte angeschoben wird, sind Fehlbewertungen der Indexkomponenten unausweichlich. Hochgewichtete Indexkomponenten erfahren starke Preisimpulse. Dieser Effekt wird durch Depotanpassungen passiver ETF’s nochmals verstärkt. In Japan drohen also ähnliche Verzerrungen der Marktbewertungen von Einzeltiteln und Indizes, wie in den USA.

Fazit. In Japan vollzieht sich gerade die nächste Blasenentfaltung. Marktpreise steigen stark. Ursache sind Preismanipulationen seitens der Terminmärkte. Die auffällige Ruhe der japanischen Börsenaufsicht könnte ein Hinweis auf eine konzertierte Aktion unter Einbeziehung der Regulierungsorgane sein.

Abschließend: Europa ist die letzte verbliebene Region mit halbwegs nachvollziehbar bewerteten Aktien. Es würde Hieronymus nicht wundern, wenn dieser Markt nun unter Beschuß geräte.

  1. Zu Beginn der Kälteperiode stellte das texanische Verbundnetz 83 GW Leistung bereit. Das entsprach der antizipierten Nachfrage. Nach den Schneefällen und der ersten Kältenacht weren nur noch 45 GW verfügbar. FT

  2. Die starken Preiserhöhungen wirken sich unmittelbar aus. Die EVU’s belasten die hinterlegten Kreditkarten bei entsprechendem Verbrauch mehrmals täglich. Die Medien berichten von Stromrechnungen von über 5.000 $ in der Woche pro Privathaushalt. 

  3. Die kältebedingten Abschaltungen wirken sich über die Finanzmärkte global aus. So gehören z.B. RWE einige texanische Windparks. Das Management musste eingestehen, dass man (marktüblich) auf Enteisungsvorrichtungen verzichtet hatte und nun 15 % der eingeplanten Erträge abschreiben muss. Hinzu kommen Handelsfehler. RWE hatte den planmäßig zu erzeugenden Strom bereits an der Terminbörse veräußert. Als die Anlagen ausfielen, muste man den Strom teuer zukaufen. Für den zugekauften Strom zahlte man 9.000 $ pro MWh, die verbliebenen Windmühlen mussten den Stron vertragsgemäß zu 1,5 $ pro MWh liefern. RWE prognostiziert nun für 2021 einen operativen Verlust um bis zu 500 Mio € in der Sparte Regenerative Energieerzeugung.