Wochenbericht 5

Business as Usual

Nach der Aufregung um Preisabsprachen und außer Kontrolle geratener Kleinanleger in der Vorwoche herrscht nun gepflegte Langeweile. Die Volatilität geht zurück, Marktpreise steigen. Alles klar für ein Picknick in der Vorfrühlingssonne?

Stuttgart, 6. Februar 2021.

GameStop ist ausgelutscht. Nun ist Silber an der Reihe. Die r/Wallstreetbets-Lemminge versuchten Anfang der Woche, ihre Attacken auf Rohstoffe auszuweiten. Weitgehend Erfolglos. Der Silberpreis schwankt stark, tritt aber per Saldo auf der Stelle. Die Ratio setzt sich durch.

In den USA peitschen die Demokraten das nächste Konjunkturprogramm durch die Kammern des Parlaments. Es gilt, weitere 1.900 Milliarden US-Dollar unterzubringen. Da können die Marktpreise nur steigen.

Regelmäßige Leser kennen bereits den nächsten Satz: Wenn es am Besten schmeckt, ist es ratsam, inne zu halten und dem Körper Zeit und Muße zum Verdauen zu geben. Dann schmeckts auch beim nächsten Ma(h)l wieder gut.

Vinci

Im Wochenbericht 46/20 (Help is on the way) wies Hieronymus auf die Dominanz des institutionellen Handels bei der Vinci hin. Der Wert ist definitiv nicht im Visier der r/Wallstreetbets-Community.

Abbildung 2: Preisverlauf der Vinc-Aktie

Der Kursverlauf ist auch wenig spektakulär. Hieronymus ist aber der Auffassung, das dies ein idealer Kandidat für ein hochprofitables Investments ist – solange man nicht allein auf Direktinvestments fokussiert. Der Wert hat seit Juli 2020 eine volatile Tradingrange ausgebildet, »oben« ist 90 €, »unten« ist etwa 70 €.

Das macht mit Blick auf die Geschäftszahlen Sinn: Das KGV beträgt 39. Für ein Infrastrukturunternehmen ist das sportlich. Immerhin: Das Unternehmen zahlt eine Dividende (2,04 €/a), was einer Dividendenrendite von 2,37 % entspricht. Andererseits verdient Vinci gerade mal 2,21 € pro Aktie. Investitionen müssen also immer fremdfinanziert werden.

Wer seit November 2020 ein Investment gewagt hat, musste bis jetzt warten, bis der Einstandskurs wieder erreicht wurde. Am Freitag präsentierte Vinci Quartalszahlen. Diese belegten nochmals, dass Europa vor einem Infrastrukturboom steht und die gut vernetzten, internationalen Bauunternehmen gute Margen aushandeln können. Der Cash-Flow hat bereits wieder das Niveau des Jahres 2019 erreicht, das Geschäft brummt also. Die Kursreaktion ließ nicht lange auf sich warten: + 5 %.

Der Wert wies Anfang Dezember ein ideales Setup für einen Stillhalteransatz aus. Man konnte im Umfeld hoher Volatilität bei einem Marktpreis von 87 € einen Put mit einem Strike von 80 € für 2,75 € veräußern. Die Option hat inzwischen deutlich Zeitwert abgebaut und weist die Hälfte des theoretischen Ertrags aus. Der Aktienpreis hat sich per Saldo nicht verändert. Die Option verfällt im März. Die Wahrscheinlichkeit einer wertlosen Ausbuchung der Option ist hoch.

Prognosen sind ungewiss – insbesondere wenn eine Pandemie im Spiel ist

Im Frühsommer 2020 waren sich die Auguren einig: Die Pandemie wird deutliche ökonomische Bremsspuren hinterlassen. Es braucht Jahre, um die Verwerfungen zu kitten.

Abbildung 2: Vergleich der tatsächlichen mit der im Frühjahr 2020 prognostizierten Entwicklung der Eurozone

Inzwischen liegen die Statistiken bis Dezember 2020 vor. Tatsächlich erholte sich die Konjunktur in Europa im Sommer deutlich dynamischer als erwartet. Der Beginn des zweiten LockDowns kostete der Eurozone gemäß Eurostat 0,5% an Wachstum, kein Vergleich zum Einbruch im Frühjahr. Tatsächlich haben sich gerade die Volkswirtschaften in Nord- und Mitteleuropa deutlich schneller an die neuen Gegebenheiten angepasst1. Hinzu kommt eine unerwartet starke Nachfrage aus Asien. Es spricht einiges dafür, dass unabhängig von Intensität und Länge des aktuellen LockDowns dort die Wachstumsdelle bereits im Sommer 2021 ausradiert ist.

Interessant: Die wirtschaftliche Erholung ist auch Ergebnis der Gewissheit, dass die EU-Staaten gemeinsam 750 Mrd. € für die Krisenbewältigung ausgeben werden. Die Krux: die dynamische Konjunkturantwort macht dieses Hilfsprogramm eigentlich überflüssig. Vermutlich stört es deshalb auch niemanden, dass die EU mehr als 9 Monate nach der Ankündigung immer noch diskutiert, wofür man das Feld final ausgeben will.

Klar ist: Der Löwenanteil der vereinbarten EU-Hilfsgelder geht an Spanien und Italien( 150 bzw.185 Mrd. €). Die übrigen Staaten bekommen weniger als 50 Mrd. € (Deutschland nur 30 Mrd.). Angesichts der fragilen politischen Systeme in Italien und Spanien erübrigt sich jede Diskussion über die Sinnhaftigkeit der gemeinsamen Kreditaufnahme.
Hieronymus stellt schonmal die Uhr für eine Diskussion über die potenziell inflationäre Wirkung der offensichtlich gar nicht notwendigen Hilfsgelder beginnt. In den USA läuft diese bereits auf Hochtouren.

Ausgerechnet Larry Summers, einer der Top-Berater von Barack Obama und damals auch Kandidat für den FED-Vorsitz, kritisiert nun den Umfang des gerade diskutierten, »finalen« Covid-Hilfsprogramms über 1.900 Mrd. $.

Biden’s plan is excessive and that it might trigger inflationary pressures of a kind we have not seen in a generation, with consequences for the value of the dollar and financial stability.

2008 leitete Summers Obama’s National Economic Council. Er hatte eine zentrale Rolle in den Verhandlungen des damaligen Hilfsprogramms. Das wurde damals auch von den Republikanern mitgetragen. Einen Fehler, den die Biden-Administration nicht wiederholt. Die mangelhafte Konsequenz des damaligen Rettungsprogramms wurde vielfach für die fehlende Dynamik der wirtschaftlichen Erholung nach 2008 verantwortlich gemacht.

2021 gehen die Industriestaaten gemeinsam mit großen Summen gegen eine Post-Corona-Stagnation an. Das Risiko einer Überhitzung der Ökonomie wird transatlantisch billigend in Kauf genommen.

Die derzeitige Blasenökonomie der Kapitalmärkte könnte im nächsten Schritt in der realen Welt nachvollzogen werden. Die Historie liefert ein MittelfristSzenario: Vor dem Ölschock 1973 kämpften viele Staaten mit einer überhitzten Wirtschaft. Danach folgte ein Jahrzehnt mit Stagflation.

Smart Money auf dem Rückzug

In der vergangenen Woche wurden die Preisabschläge der Vorwoche vielerorts in einer dynamischen Bewegung egalisiert. Die FT titelt sogar:

Global stocks on track for best week since November

Abbildung 3: Preisverläufe an Aktienmärkten im Vergleich (Quelle: FT)

In den USA geht die Phase des Honeymoons der Biden-Administration in die Verlängerung. Man erkennt eine steigende Nervosität, die sich in immer größeren Amplituden niederschlägt, insbesondere im Brexit- und Coronageschüttelten Großbritannien. In den USA überwiegt die Begeisterung über die Einnahme der Macht durch die Biden-Administration. Zustimmungsraten größer 60 Prozent in der Bevölkerung geben der Administration jede Legitimation, ihre Agenda ohne Kompromisse umzusetzen.

Die Marktpreise in Europa »erben« einen Teil dieser Zuversicht. Der Euro­stoxx hat wieder das Preisniveau des Frühjahrs 2020 erreicht, obwohl die Impfstrategie viele Fragezeichen aufweist. Diesseits und jenseits des Atlantiks wird ferner der Einfluß der Virusmutationen auf das Pandemiegeschehen und die Ökonomie komplett ausgeblendet.

Das ist zumindest der Eindruck, den ein oberflächlicher Blick auf die Marktpreise suggeriert.

Abbildung 4: Smart-Money Flow Index (Quelle: Sentix)

Ganz anders stellt sich die Situation dar, wenn man das Handelsgeschehen in der ersten halben Stunde nach Marktöffnung in den USA ausblendet. Diese Phase wird gemeinhin mit der kurzfristigen Spekulation in Verbindung gebracht. Langfristiges Kapital engagiert sich gegen Ende des Börsenhandels, das ist zumindest die Annahme hinter dem Smart Money Flow Index.

Bereits seit 2018 ist danach das Smart Money auf dem Rückzug. Preisentwicklung und Geldfluß divergieren. Gleichzeitig feiern Retailbroker eine neue Generation von Kleinanlegern. Gemäß des Smart-Money-Flow-Index verkaufen die Profis völlig überteuerte Aktien an unerfahrene Anleger. Die Profis haben das Geld, die Kleinanleger die Risiken.

  1. Innerhalb Europas ist das Wirtschaftswachstum auch im Herbst stark divergent.die Ökonomie Österreichs sank im Q4 um 4,3 %, das GDP Ialiens sank um 2 %. Andererseits wiesen Deutschland und Spanien sogar ein leichtes Wirtschaftswachstum aus (Eurostat).