Im Ergebnis hat sich der Preis der VW-Aktie zwar von den Höchstständen des Jahres 2014 gelöst. Der Konzern baut weiterhin Fahrzeuge mit Dieselmotoren, es gelingt (in Europa) weiterhin hierfür Käufer zu finden und auch die Kapitalseite konnte bei der Stange gehalten werden. Den Konzern gelingt es, die Abwicklungskosten der Fehlentwicklung »Dieseltechnologie« aus den laufenden Verkäufen von Fahrzeugen mit just dieser Auslauftechnologie zu bestreiten und gleichzeitig extrem preiswertes Fremdkapital von den Kapitalmärkten einwerben1, um Zukunftstechnologien zu entwickeln.
Der Bau von Verkehrsflugzeugen ist kapitalintensiv und ohne Subventionen nicht wirtschaftlich. Es hat sich ein Oligopol gebildet. Airbus und Boeing teilen sich den Weltmarkt auf. Gemeinsam halten sie Wettbewerber auf Abstand. Eine Konsequenz: Lange Produktlebenszyklen.
Analog zur Entwicklung der Dieseltechnologie bei Automobilen versucht auch Boeing, die aus den 1960er Jahren stammende Plattform für Verkehrsflugzeuge evolutionär weiter zu entwickeln. Die Signalübermittlung erfolgt aus historischen Gründen teilweise über Signaldrähte. Trotzdem werden die Flugzeuge heute voll elektronisch geflogen. Die Maschinen sind ein Sammelsurium von Relikten der Luftverkehrstechnik der vergangenen 50 Jahre.
Essentiell für die US-Volkswirtschaft. Gemäß dem White House Council of Economic Advisers, dem US-Äquivalent der hiesigen Wirtschaftsweisen, kostete die Stillegung des Modells Boeing 737 MAX im zweiten Quartal 2019 0,4 Prozent des US-GDP. Das Wirtschaftswachstum in den USA wäre sonst um ein Fünftel höher ausgefallen2. 2018 exportierte die USA Flugzeuge, Ersatzteile und Dienstleistungen im Wert von 130 Mrd. USD, etwa so viel, wie insgesamt nach China exportiert wurde.
Trotz des Flugverbots produziert Boeing weiterhin 42 Maschinen pro Monat. Dies dient vornehmlich zur Aufrechterhaltung der technologischen Infrastruktur, insbesondere dem Zuliefernetzwerk. Das kostet natürlich Geld.
Im 3. Quartal 2019 allein 2,9 Mrd. $. Trotzdem schüttet das Unternehmen weiterhin eine üppige Dividende aus3. Geld ist tatsächlich genug da: in seinem Quartalsbericht weist Boeing liquide Mittel von 10,9 Mrd. $ aus. Zudem finanziert der Kapitalmarkt bereitwillig die Produktion aktuell unverkäuflicher Maschinen. Der Konzern zahlt einen Aufschlag von gerade mal einem Prozent gegenüber US-Staatsanleihen.
Auch Aktionäre halten dem Konzern die Stange. Nach der Regierungsübernahme durch die Republikaner verdreifachte sich der Aktienkurs. Der Aktienkurs hat nicht negativ auf das Flugverbot reagiert. Im Gegenteil: Als die WTO entschied, dass die Subventionen für Airbus illegal sind, erklomm die Aktie sogar ein Allzeithoch. Die Börse bewertet das Unternehmen mit einem KGV von 93, setzt also entschlossen auf eine vollständige Rehabilitierung des Unternehmens.
Es gelingt dem Konzern trotz eklatanter Führungsmängel und offensichtlichem Managementversagen sowohl die Öffentlichkeit als auch die Kapitalseite vom Geschäftsmodell zu überzeugen. Fast scheint es, als ob periodisch vermeintliche Kritiker vorgeschickt werden, die auf nicht leugbare Mißstände aufmerksam machen. Daraufhin gehen die Notierungen von Aktien und Anleihen zurück, was von interessierten Seiten als günstige Einstiegsgelegenheit genutzt wird.
Die Verschmelzung eines (imperialistischen) Staates mit der Wirtschaft wird landläufig als Staatsmonopolkapitalismus(Stamokap) bezeichnet. Derartige Entwicklungen sind auch im demokratischen Kapitalismus typisch für Krisenzeiten. Sektoren mit derartigen Strukturen entziehen sich einer rationalen Preisentwicklung.
Die Automobilindustrie ist traditionell stark konjunkturabhängig. Die staatlichen Rettungsaktionen nach der Finanzkrise ermöglichten rückblickend die Fehlentwicklung »Dieseltechnologie für PKW« und verzögerten die konsequente Entwicklung der Elektromobilität um ein Jahrzehnt.
In der Luftfahrtindustrie zeichnet sich eine ähnliche Fehlentwicklung ab. Ein wahrscheinlich grundlegend falscher Entwicklungsansatz für den Bau moderner Flugzeuge wird in einer konzertierten Aktion von Flugzeugbauer, Zulassungsbehörden, Politik, Fluggesellschaften und Kapitalmarkt mit erheblichem Aufwand in die nähere Zukunft »gerettet«. Auf der Strecke bleiben technischer Fortschritt, Flugsicherheit und mit Blick auf den Kapitalmarkt, die Fähigkeit, Risiken adäquat zu bepreisen. Die »schützende Hand« des Staats über die Automobilindustrie selbst in einer Phase der Hochkonjunktur hat der bundesdeutschen Automobilindustrie erheblich an Wettbewerbsfähigkeit gekostet. Ähnliches steht der US-Luftfahrtindustrie noch bevor.