In dieser Artikelserie stellt Hieronymus die Basics des Krypto-Marktsegments vor.
18.November 2022
Plötzlich ist Krypto wieder in aller Munde. Selbst die Tagesschau berichtet über den Zusammenbruch von FTX, der bis dato drittgrößten Krypto-Börse (nach Binance und Coinbase). »Schaut her, so wenig kann man selbst omnipräsenten Protagonisten trauen,« ist die zentrale Botschaft. Bei aller Empörung unterscheidet sich die aktuelle Wahrnehmung des Krypto-Markts deutlich von der im Umfeld der Pleite von Mt. Gox im Jahr 2014. Selbst Skeptiker gestehen dem Markt eine Zukunft zu, wenn auch als unbedeutende Nische.
Es vergeht kein Tag ohne eine neue Sensationsmeldung zu dem spektakulären Zusammenbruch. Treten wir einen Schritt zurück und ordnen die Ereignisse in einen übergeordneten Kontext ein.
Es liegt in der Natur der Sache, dass der Zusammenbruch einer Gesellschaft mit vielen Beschäftigten, intakten Kundenbeziehungen, Gesellschaftern und Gläubigern ein öffentliches Echo erzeugt. Zusammenbrüche zentraler Player einer Branche können auf die gesamte Volkswirtschaft ausstrahlen. Das gilt insbesondere bei Banken.
Gleich zur Eröffnung der Amtsgeschäfte des Gerichtes am 9. Mai 1873 meldete das Bank- & Börsengeschäft Adolf Petscheks Insolvenz an. Bis zur polizeilichen Schließung der Börse um 13 Uhr folgen 120 weitere Banken diesem Beispiel. Die Wiener Börse erlebte ihren Schwarzen Freitag.
Bankkunden und Spekulanten verloren ihr Vermögen gleicherweise. Zeitgleich zelebrierte das Establishment die Weltausstellung in der österreichischen Hauptstadt.
Vorher konnte sich niemand vorstellen, dass ausgerechnet die Bank Petscheks pleite gehen könnte. Hatte er doch einen ausgezeichneten Ruf. Er hatte über Jahre in allen Tageszeitungen des Landes auf den Titelseiten große Anzeigen geschaltet und für interessante Geldanlagen geworben. Die Analogien der öffentlichen Darstellung zu Sam Bankman-Fried sind unverkennbar.
Der Wiener Börsenkrach zerstörte die Aktienkultur in Mitteleuropa nachhaltig und gilt als Zäsur, die das Ende der Gründerzeit markiert.
Im Jahr 1907 wiederholte sich das Spiel in den USA. Der Zusammenbruch des Knickerbocker-Trusts trieb zahlreiche US-Banken in den Ruin. Die US-Börsen brachen um 50 Prozent ein. Die Krise wirkte auf die gesamte Gesellschaft: Aktien wurden mangels staatlicher Alterssicherungssyteme als veritable Geldspeicher für den Ruhestand betrachtet. Diese waren plötzlich fast wertlos. Mangels Liquidität konnten Farmer ihre Aussaaten nicht vorfinanzieren. Da der Staat nicht einspringen wollte und konnte, steuerte die USA in der Folge auf eine Nahrungsmittelkrise zu.
Wiederum hat die Krise mit den Knickerbocker-Brüdern ein prominentes Gesicht. Sie beendet die Periode der Eisenbahn-Barone in den USA und bereitete den Boden für die Spekulationsorgie der 1920er.
Enron war das erste virtuelle Energieunternehmen. Es handelte mit Strom- und Gas, hatte 22.000 Mitarbeiter und eine multinationale öffentliche Präsenz. Selbst in Deutschland konnte man sich damals via Enron mit Strom versorgen lassen.
Die Innovationskraft hatte ihren Preis: Die Organisation des Unternehmens passte nicht mehr zur Firmengröße und den Geschäftsfeldern. Das Ergebnis: der größte Bilanzskandal des noch jungen 21. Jahrhunderts.
Daraufhin wurden die Geschäftsmodelle und Organisationsformen der aufstrebenden Firmen der »Neuen Märkte« neu bewertet und Gelder im großen Stil abgezogen. Die Dot.Com-Blase war geplatzt.
Kleine Randnotiz: Der Umgang der Banken mit dem Enron-Skandal ist rückblickend ein Vorbote für die Finanzkrise sechs Jahre später:
Der Zusammenbruch von FTX markiert unzweifelhaft eine vergleichbare Zäsur, zumindest für das Marktsegment Krypto
Allen Zäsuren gemein ist auch ihr trendbestätigender Charakter. Das prominente Scheitern der neuen Geschäftsmodelle bedeutet nicht deren Ende. Im Gegenteil. Stets entwickelten sich aus den Ruinen tragfähige Unternehmensformen.
FTX war im Kern eine klassische Kryptobank. Man betrieb einen Börsenplatz für Kryptowährungen, wechselte FIAT-Geld in Blockchain-Token und umgekehrt. Kunden wurden durch intensives Marketing und schlaue PR auf die Plattform gelotst. Man gab einen eigenen Coin aus (FTT), eine unregulierte Aktie. Über diesen Coin warb man Gelder ein. Der Coin wurde auch als Sicherheit für Eigeninvestments hinterlegt.
Der Zusammenbruch von FTX zeigt deutlich, dass Coins nicht zweckentfremdet werden dürfen. Sie sind Instrumente des Tauschhandels und halten nur transiente Werte. Manche Coins berechtigen beispielsweise zur Mitbestimmung über die Geschicke eines Projekts. Über diese Funktion lässt sich sehr wohl ein immaterieller Wert zuweisen. Gleiches gilt für Rabattsysteme oder die Zugangsberechtigung für den Bezug exklusiver Produkte oder Dienstleistungen.
Dies wird am Markt bereits umgesetzt. Krypto-Banken, wie Kraken oder Coinbase, die keine eigenen Token haben, genießen einen Reputationsgewinn. Binance hingegen kämpft wie ein Löwe für die Fortführung seines Handels mit dem hauseigenen Coin.
Mit dem spektakulären Scheitern von Luna, einem algorithmischen Stablecoin, bemühten sich die Emittenten der übrigen StableCoins den Reputationsschaden zu beheben. Die Preisentwicklung von Tether, des größten algorithmischen Coins, ist ein Spiegelbild des Mißtrauens selbst kryptoaffiner Menschen.
Im Mai löste sich Luna in Rauch auf. Tether handelte wegen hoher Mittelabflüsse kurzzeitig mit einem Abschlag von 5 Prozent. Die FTX-Pleite wurde wesentlich besser gemanagt. In der Spitze war der Spread zwei Prozent.
Die Krise des Kryptomarkts ging bisher spurlos an Stablecoins vorüber. Sie werden gemeinhin als sichere Anker im volatilen Umfeld angesehen. Nicht unwichtig: Stablecoins haben auch eine reale ökonomische Relevanz. Sie bieten sowohl ukrainischen wie auch russischen Kriegsflüchtlingen Zugriff auf ihre Vermögen. Sie finanzieren auch den ukrainischen Widerstand.
Die Turbulenzen am Kryptomarkt ließen die Kassen in den dezentralen Wechselstuben Klingeln. Da den zentralisierten Börsenplätzen mißtraut wurde, wechselten die Marktteilnehmer ihre volatilen Coins an DeFi-Marktplätzen in Stablecoins. Die dort geführten Liquidity-Pools verzeichneten hohe Umsätze. Wer dort investiert hatte, verdiente entsprechend an den Handelsgebühren.
Hieronymus sieht dies als mittelfristig interessanteste Investmentoppurtunität im Kryptomarkt.