Mandelmilch und Honig sind auch keine Lösung

Forderungen nach einem radikal veränderten Lebens- und Konsumverhalten werden gerade aus der FridaysForFuture-Bewegung laut. Gleiches gilt für alternative Kapitalanlagen. Der Teufel steckt jedoch im Detail.

Industrieller Konsum

(Stuttgart, 9. Januar) Auch im Jahr 2020 besteigt die moderne Kleinfamilie jedes Wochenende ihr vierrädiges Statussymbol und rauscht zum nächstgelegenen Discounter. Dort schnappt man sich einen der übergroßen Einkaufswagen, mit dem festen Vorsatz, ihn komplett mit Dingen zu füllen. Dann fährt man die Waren ins Eigenheim zurück und beginnt mit dem Konsum.

Die unmittelbaren Folgen: Die biologischen Abbauprodukte landen in der kommunalen Kläranlage und werden zu Klärschlamm, Stickstoffgas, Kohlendioxid, und Wasser verarbeitet. Verpackungen kommen in den Gelben Sack. Was passiert mit der umgesetzten Nahrung? Ab ins Sportstudio, bevor sich Fettpolster bilden.

Die Lebensmittel stammen aus industrieller Produktion, selbst wenn BIO draufsteht. Bevor sie in den Auslagen der Läden zum Kauf angeboten werden, haben die Produkte meist sehr weite Reisen hinter sich und mehrere Veredlungsschritte. Jeder Transport, jede Veredelung kostet Energie, fossil erzeugte Energie. Auch die Produktion von Getreide und Gemüse ist letztlich eine Veredelung von Erdöl anstatt einer Umwandlung von Sonnenlicht in Nahrungsmittel. Die Klimagasemissionen der Landwirtschaft sprechen eine sehr deutliche Sprache.

Grüner Konsum

Der Gegenentwurf hat durchaus Charme. Der umweltbewußte Aktivist ernährt sich fleischlos, vielleicht sogar vegan. Die Nahrung stammt aus regionalem Anbau und wird mit dem Fahrrad aus dem Hofladen in die heimische Wohnung transportiert. Die Nahrungsmittel ergänzen die Ernte aus eigenem Urban-Gardening-Anbau. Der aktive Lebensstil ersetzt den Gang zum Sportstudio. Die Wohnung ist natürlich energieautark, es gibt keine Heizung und der Strom wird selbst produziert.

»Schaut her, wie einfach es ist, gesund zu leben, wie groß die Lebensqualität wird«, rufen die Umweltaktivisten bereits seit den 1970er Jahren der Kleinbourgeoisie zu. Im Jahr 2019 erlebte diese Bewegung ein erstaunliches Revival.

Natürlich gelingt es kaum jemanden, seinen Lebensstil radikal zu verändern. Aber man versucht es zumindest. Lässt Fleisch weg, nimmt Käse statt Wurst, trinkt Mandelmilch und kauft frisches Gemüse anstatt Fertiggerichte – uns bleibt vor allem seinem Discounter treu.

Unbeabsichtigte Wirkungen

Was für den Einzelnen sinnvoll und richtig erscheint, hat manchmal groteske ökonomische und ökologische Konsequenzen. Hieronymus greift exemplarisch zwei Themenfelder auf, die mit Bienen zusammenhängen.
Es ist löblich, Honig anstatt Zucker zu verwenden. Honig ist süß und gesund. Ebenso verhält es sich mit der Verwendung von Mandelmilch anstatt Kuhmilch. Viel ökologischer!

Nachfrage nach Honig übersteigt Angebot deutlich

Für einen Teelöffel Honig müssen 12 Arbeiterinnen ein Bienenleben lang Nektar sammeln und in den Bienenstock bringen. Pro Glas Honig (500g) muss eine Königin etwa 1000 Arbeiterinnen produzieren. Aktuell liegt der Verbrauch von Honig in Europa bei 1 bis 1,5 Kg pro Person. Bei 512 Millionen EU-Bürgern macht das 1,3 Billionen Bienen, die für die Honigproduktion benötigt werden. Jedes Jahr.

Wenn der Honig das ist, was auf dem Glas steht.
Hieran muss bei jeder, nicht direkt von einem Imker abgefüllten Ware gezweifelt werden. Die Stiftung Warentest hat im Februar 2019 insbesondere die Qualität von Bio-Ware beanstandet. Bei konventionell erzeugtem Honig wurde häufig eine unklare Deklaration bemängelt. Kurz gefasst: Kauft man Honig in einem Geschäft und lässt sich sich auf Bioware ein, erhält man eine Mischung aus Qualitätsware aus Europa und Honig aus China. Oder man bekommt für etwas weniger Geld eine klebrige Masse, die zwar wie Honig aussieht und riecht, aber höchstwahrscheinlich mit industriellen Ersatzstoffen gestreckt ist.1

Kriegsschauplatz Mandelblüte

Honig ist wenig mit Pestiziden belastet. Dies liegt nicht daran, dass die Imker darauf achten, dass die Futterblühpflanzen unbelastet sind. Tatsächlich liefern nur gesunde Bienen den gesammelten Pollen ordnungsgemäß im Bienenstock ab.

Große Agrarbetriebe mieten Imker, damit sie ihre Bienenvölker am Rand der blühenden Futterweiden aufstellen. Die in unseren Augen idyllische Natur ist für die Bienen oft ein brutaler Kriegsschauplatz. Imker, die verpflichtet werden, ihre Bienenvölker in die kalifornischen Mandelplantagen zu stellen, sprechen davon, ihre Bienen »in den Krieg« ziehen zu lassen. Tatsächlich bleiben die meisten Arbeiterinnen pestizitverseucht zurück, erreichen die Bienenstöcke gar nicht mehr. Der trotz alledem gewonnene Honig ist kaum belastet und dient als Basis für konventionell angebotenen Blütenhonig. Wenn nur genügend Arbeiterinnen rekrutiert werden, gelingt es auch, alle Blüten in den Plantagen zu bestäuben. Ökonomisch betrachtet ist der Mandelanbau kostengünstig und ertragreich. Eine interessante grüne Geldanlage. Umweltbewußten Stadtbewohner wird preiswerte Mandelmilch als Alternative zu Kuhmilch schmackhaft gemacht, die in jedem Discounter angeboten wird.

Wohin mit der Moral in der Geldanlage?

Umweltbewußte Kapitalanleger erhalten – und hier schließt sich der Kreis – eine tolle Dividende und die Perspektive auf ein wachsendes Geschäftsmodell. Sie freuen sich sogar, ihr Kapital für einen guten Zweck eingesetzt zu haben und preisen Ihr Verhalten als Vorbildlich, sehen in Mandelmilchproduktion eine positive Zukunftsinnovation.

Was im Kleinen hervorragend funktioniert, hat im Großmaßstab unerwünschte Konsequenzen. Solange es Minderheiten sind, die ihren Lebensstil verändern, dominieren positive Effekte. In dem Augenblick, wo das Ganze eine Massenbewegung wird, verlagern sich negative Umweltwirkungen.
Hieronymus wagt die These, dass die geplante, klimaneutrale Transformation der Industriegesellschaft die Probleme der Gesellschaft von der Emission von Klimagasen auf andere, ökologisch mindestens ebenso sensible Felder verlagern wird. Die Widersprüche der Konsumgesellschaft und auch der moralischen Kapitalanlage bleiben also erhalten.

  1. Auszug aus einem Artikel der FT: » Bees can be fed sugars to increase production and honey can be flavoured with artificial flavours, darkened with resin, and diluted with glucose, high fructose corn syrup or sugar beet; multi-floral honey might be labelled as single-flower — acacia, clover, orange blossom. Commodity honey is often ultra-filtered, removing the pollen, which makes it impossible to genetically identify its geographic origin. (…) China is the largest producer of honey and there have been historical issues of contamination with lead and antibiotics as well as repackaging and mislabelling. »